FilmkritikFakten + Credits

Die Hand Gottes

Die Hand Gottes ©2021 Netflix | Gianni Fiorito

Paolo Sorrentinos neuster Film ist nicht nur spürbar persönlich und intim, sondern zugleich der italienische Kandidat für den Fremdsprachen-Oscar 2022. Im Falle einer Nominierung wäre es Sorrentinos zweiter Film im Rennen um einen Goldjungen, seit er mit DIE GROẞE SCHÖNHEIT den Academy Award 2014 nach Italien bringen konnte. In DIE HAND GOTTES knüpft er an die großen schwärmerischen Bilder des sonnendurchfluteten Italiens an und verbindet sie mit eigenen Jugenderlebnissen und schmerzhaften Erinnerungen. Die verarbeiteten Verluste sind dabei ebenso biografisch wie die aufkeimende Leidenschaft fürs Filmemachen.

Porträtiert wird Sorrentinos Vergangenheits-Selbst von Newcomer Filippo Scotti, der für seine Darstellung des jungen Fabietto den Marcello-Mastroianni-Preis bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig gewann. An seiner Seite spielen unter anderem erfahrene Gesichter wie Toni Servillo als Saverio Schisa, Teresa Saponangelo als Maria Schisa und Renato Carpentieri als Alfredo auf. Ihr Zusammenspiel als Großfamilie füllt die Geschichte und die hochwertigen Bilder mit Emotionen auf, die DIE GROẞE SCHÖNHEIT über weite Strecken noch vermissen ließ. Das in der ersten Hälfte sehr nostalgisch gefärbte und familiäre überspitzte Porträt ist seit Anfang Dezember landesweit in einzelnen Kinos zu sehen, ab 15. Dezember dann schließlich im Programm von Netflix.

Die Hand GottesDarum geht es …

Neapel in den 1980er Jahren: Fabietto genießt sein Leben und Aufwachsen innerhalb einer Großfamilie, die gemeinsamen Feiern, Ausflüge und die gemeinsame Leidenschaft für Fußball. Sein lockeres und glückliches Leben als Heranwachsender wird jedoch unsanft aus den Fugen gerissen, als seine Familie von einem tragischen Schicksalsschlag heimgesucht wird. Auf einmal sieht sich der junge Mann mit dem Verlust seiner Eltern konfrontiert …

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Rezension

DIE HAND GOTTES lässt sich im Wesentlichen in zwei aufeinander aufbauende Hälften einteilen, die der Jugend, die Fabietto in vollen Zügen genießen kann und jene nach dem schweren Verlust seiner Eltern. Die erste Hälfte ist die Heiterkeit und Glückseligkeit und gleichzeitig Exposition der Familienmitglieder, denen unterschiedliches erzählerisches Gewicht zugestanden wird. Sind einige nähere Verwandte bloße von Erinnerungen verklärte Überspitzungen, erweist sich die Figurenzeichnung seiner Tante Patricia als durchaus feinfühliger und ernstzunehmender. Fabietto selbst sticht innerhalb der ersten Minuten kaum aus dem eigenwilligen und Situationskomik hervorrufenden Familiengefüge heraus, erst mit Beginn der zweiten Hälfte wird der Fokus auf ihn und seine Gedanken- und Gefühlswelt verstärkt.

Die Hand Gottes

Die Hand Gottes ©2021 Netflix | Gianni Fiorito

Zum unbeschwerten Leben Fabiettos und seiner Familie zählen neben Bootsausflügen und Familienfeiern ebenso die Schwärmereien für Fußballstar Diego Maradona, der ausgerechnet vom ortsansässigen Fußballclub unter Vertrag genommen wird. Sorrentino ikonisiert die Figur, wie es ihm vermutlich seine Erinnerung diktiert, lässt die Leidenschaft für den Fußball später jedoch deutlich aufweichen und ersetzt sie mit dem aufkeimenden Interesse fürs Filmemachen und dem Bedienen großer italienischer Namen wie Federico Fellini (DAS SÜẞE LEBEN, ACHTEINHALB).

Das Leben ist schön?

In der Mitte des Films ist der Umbruch unausweichlich. Der Umbruch von einem weitgehend sorgenlosen Leben zu der Konfrontation mit dem Tod im engsten Familienkreis. Sorrentino verzichtet auf eine überdramatisierende Darstellung der Geschehnisse, verzichtet auf Tränen anregende Musik und auf stringente Bebilderung des Vorfalls. Der Tod kommt gespenstisch leise und nüchtern, in den eingefangenen Reaktion jedoch umso kraftvoller. Filippo Scottis Zusammenbruch ist ergreifend und wirkungsvoll und gleichzeitig bitter anzuschauen. Die einstündige Einführung in das Familienleben zahlt sich aus, der Verlust ist für das Publikum spürbar.

Die Hand Gottes

Die Hand Gottes ©2021 Netflix | Gianni Fiorito

Trotz der Schwere der Verluste bricht die zweite Hälfte niemals unter ihrer Last zusammen, schöpft selbst Hoffnung und Orientierung in der Leidenschaft fürs Filmemachen. Fabietto tritt mehr und mehr aus dem Schatten seiner Familie hervor und zeigt vor allem in Szenen mit seinem Bruder seine Größe und Vielschichtigkeit. Nur der Subplot um die Freundschaft zu einem Fußballfan und einzelne schamlose Szenen, Stichwort Fledermausjagd im Zimmer der Baroness, wirken in ihrer Oberflächlichkeit und Willkür teilweise aufgesetzt und unpassend.

Zusammengehalten werden die erzählerischen Hälften durch einen beinah magisch realistischen und symbolischen Bogen und selbstverständlich durch die großartigen Bilder, in denen Sorrentino die Figuren immer gezielt setzt oder auf und ab gehen lässt. Vom felsenreiche Ambiente der Küstenstadt bis zu einem heruntergefallenen Kronleuchter entstehen Bildkompositionen, die eigentlich viel zu fesselnd für die Mediathek Netflixs sind und in breiterer Veröffentlichung auf die Leinwand gehören.

Fazit

DIE HAND GOTTES ist eine groß bebilderte Coming-of-Age Geschichte, die in ihrer ersten Hälfte ein Familienleben im Neapel der 1980er porträtiert und sich in ihrer zweiten Hälfte der persönlichen Auseinandersetzung mit einem Verlust widmet. Beisammensein und Sorglosigkeit beginnen hin und wieder zu bröckeln, bis sie ein faszinierend stiller Höhepunkt für immer einzureißen droht. Sorrentinos neuster Film schwankt zwischen Augenblicken voller Freude und Momenten tiefster Bedrückung, ist dabei amüsant und tragisch, aber nie manipulativ. Die herausragenden Bilder können indes über eine narrative Sprunghaftigkeit in der ersten und unebene Nebenstränge in der zweiten Hälfte hinweg scheinen – leise, aber kraftvoll.

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Originaltitel È stata la mano di Dio
Kinostart 02.12.2021
Streaming-Release 15.12.2021
Länge ca. 130 Minuten
Produktionsland USA | Italien
Genre Drama
Verleih Netflix
FSK
FSK 12

FSK 12 ©FSK


Regie Paolo Sorrentino
Drehbuch Paolo Sorrentino
Produzierende Paolo Sorrentino | Mattia Cantore D’Amore | Gennaro Formisano | Lorenzo Mieli | Riccardo Neri | Elena Recchia
Musik Lele Marchitelli
Kamera Daria D’Antonio
Schnitt Cristiano Travaglioli

Besetzung Rolle
Filippo Scotti Fabietto Schisa
Toni Servillo Saverio Schisa
Teresa Saponangelo Maria Schisa
Marlon Joubert Marchino Schisa
Luisa Ranieri Patrizia
Renato Carpentieri Alfredo
Massimiliano Gallo Franco
Betty Pedrazzi Baronessa Focale
Biagio Manna Armando
Ciro Capano Antonio Capuano
Enzo De Caro San Gennaro
Lino Musella Marriettiello
Sofya Gershevich Yulia
Birte Berg Graziella

 

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