Die Ölmalerei gibt es seit dem 13. Jahrhundert und findet immer wieder begeisterte Anhänger. Sie löste die Arbeit m mit Tempera schrittweise ab, auch wenn lange Zeit beide Farbstile kombiniert wurden, wie zum Beispiel beim berühmten Das letzte Abendmahl von Leonardo Da Vinci. Im Laufe der Jahrhunderte gesellten sich namhafte Malende wie Peter Paul Rubens, Tintoretto und natürlich auch Vincent van Gogh, dessen Bild Sternennacht von 1889 Teil des Allgemeinwissens sein sollte, dazu. Doch natürlich entwickeln sich auch Kunststile immer weiter und passen sich modernen Techniken an. So ist der russische Künstler und Filmemacher Alexander Petrow ein Aushängeschild für die Kombination von Ölmalerei und Film. Er malte seine Ölgemälde auf Glasflächen, die schließlich abfotografiert wurden und im Stop-Motion-Stil zu einem Film zusammengesetzt wurden. Da Öl eine Weile benötigt, um zu trocknen, ist es mit dieser Kunsttechnik relativ einfach möglich, die Bilder immer wieder umzugestalten und eine Geschichte entstehen zu lassen.
Für Petrows Oscar®-Film THE OLD MAN AND THE SEA wurden ganze 29.000 Einzelbilder angefertigt. Dabei sind dies noch nicht einmal viele, denn der Film hat gerade einmal eine Spieldauer von rund 20 Minuten. Mit DIE ODYSSEE bekommen wir nun ein Werk, welches von Florence Miailhe, die zuvor bereits mehrere Kurzfilme dieser Art entwickelte, im gleichen Stil erschaffen wurde. In Zusammenarbeit mit Marie Desplechin, die das Drehbuch schrieb und somit für die Verfeinerung der Geschichte zuständig war, sowie mit einem kleinen und tatkräftigen Team wurde das Werk in dreijähriger Kleinstarbeit fertig gestellt. Doch die Arbeit zahlt sich aus, denn bereits 2010 wurde DIE ODYSSEE mit einem Drehbuchpreis ausgezeichnet, und im Zuge der letzten Festivalsaison heimste die Animation mehrere Siege ein.
Darum geht es
Kyonas Familie hat im Grunde alles, was es zum Leben braucht. Das ändert sich jedoch in kürzester Zeit, als ihre Heimat nahe Odessa überfallen wird und das Mädchen zusammen mit ihrem jüngeren Bruder und ihren Eltern um ihr Leben fliehen muss. Ihre Reise in eine hoffnungsvollere Umgebung wird jedoch schon früh gestört, und die beiden Kinder werden von ihren Eltern getrennt. Doch gemeinsam haben sie einen Zielort ausgemacht, und so ist es nun an Kyona und Adriel, sich selbst durchzuschlagen und die angefangene Reise zu beenden. Ihr Weg beherbergt viele Herausforderungen, denen sie sich gemeinsam oder gar alleine stellen müssen. Die Gefahr lauert überall. Doch hin und wieder treffen sie auch auf liebevolle Menschen, die ihnen helfen und den Weg weisen. Doch die beschwerliche Reise zehrt immer mehr an den Kindern. Werden sie ihre Eltern also jemals wiedersehen?
Rezension
Scheinbar tagesaktuell wirkt die Thematik, der sich Regisseurin Florence Miailhe angenommen hat. Umso erschreckender ist es, dass ihre Reise vor über einem Jahrzehnt begann und sowohl an die Flüchtlingswelle 2015, als auch den Krieg in der Ukraine nicht zu denken war. Dies führt jedoch vor Augen, dass die menschliche Schutzsuche eine Sache ist, die über Generationen hinweg immer aktuell ist. So sehr wünschenswert ein Frieden auf Erden wäre, so sehr ist auch klar, dass es dazu niemals kommen wird. Macht, Gier, Glaube und Idiotie führen immer wieder dazu, dass Konflikte entstehen, die wiederum zur Bedrohung der friedlichen Bevölkerung werden können.
DIE ODYSSEE ist nicht nur eine Reise der beiden Hauptfiguren, sondern auch eine emotionale und persönliche Reise, denn die Familie der Regisseurin ist selbst in den 20er Jahren auf der Flucht vor antisemitischen Pogromen gewesen. Die Geschichte bietet uns ein Auf und Ab der Gefühle und schafft es immer wieder, uns zu schockieren, zu begeistern und sowohl das Gute als auch das Böse im Menschen feinfühlig herauszuarbeiten. Der Film ist mutig und ehrlich, gleichzeitig aber auch eine verschleierte und schemenhafte Darstellung der Realität, welche dafür sorgt, dass die Story sich universal in den Geschichten aller Migranten wiederfinden kann. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass eine Sichtung des Films nicht nur wegen der Nennung der Stadt Odessa eine Parallele zum Ukraine-Krieg aufbaut. Doch trotz all des Realismus spielt auch Fiktionalität eine wichtige Rolle, weshalb die Handlung wie eine Heldenreise aus DER HERR DER RINGE wirkt.
Traumhaft schön
Wie jedoch die einleitenden Absätze dieser Rezension suggerieren, ist die Essenz, die den Film ganz besonders macht, nicht die Geschichte, sondern die visuelle Arbeit. Auch für nicht Kunstinteressierte, wie ich es bin, ist es ein grandioses Schauspiel der Farben und Formen, welches sich auf der Leinwand abzeichnet. Es wirkt, als würden die berühmten Gemälde der Kunstgeschichte, die in Ölfarben erschaffen wurden, plötzlich zum Leben erwachen und uns viele kleine und große Geschichten erzählen. Jedes dieser Bilder ist expressionistisch angelegt und verzichtet auf jegliche Details. Die Künstlerin möchte ganz klar nur einen Eindruck und einen Umriss des Erlebten, den Betrachtenden präsentieren, wofür kleine Feinheiten oftmals überflüssig sind. Nichtsdestotrotz bekommen wir immer wieder auch Bilder gezeigt, die in ihrer Komplexität in der Kürze der Zeit gar nicht vollends erfasst werden können und in denen sich gerade im Hintergrund immer wieder auch spannende Komponenten befinden.
Besonders auffällig ist die Farbgebung des Films, die im Verlaufe der Handlung immer wieder neue Züge annimmt. Unterschiedliche Szenerien erhalten wie in der richtigen Kunst durch verschiedene Intensitäten der Farben andere Bedeutungen. Dunklere und hellere Töne wirken sich massiv auf das Stimmungsbild aus und zeigen uns entsprechend dramatischere oder entspanntere Sequenzen. Die Gewalt eines Sturmes präsentiert sich ohne viele Details und besticht durch dunkle und schwere Farbtöne, eine Entführungssequenz ist in bedrohlichen Rottönen gehalten und die Schönheit der Heimat begeistert mit einer lebhaften Vielfalt an hoffnungsvollen Kompositionen.
Wie aus einem Museum
Zudem wirkt DIE ODYSSEE wie eine visualisierte Lesung. Eine Off-Kommentatorin führt uns als Erzählerin durch die gesamte Geschichte und berichtet von prägenden Gesetzlosigkeiten wie Kinderhandel, Gewalt, vorsätzlichen Mord sowie Missbrauch der militärischen Macht, wie wir ihn auch in MYANMAR DIARIES zu sehen bekommen. Teilweise entstehen dabei Szenerien, bei denen eine Jugendfreigabe absolut fraglich ist, auch wenn der Film speziell an junge Menschen gerichtet ist. Gleichzeitig bekommen wir durch die Gottperspektive auch einen Eindruck in die Gefühle und Gedanken der Figuren, die sich jedoch auch selbst ausdrücken können und eine individuelle Synchronisation erhalten.
Fazit
Technisch ist DIE ODYSSEE ein regelrechtes Meisterwerk, denn es ist wirklich überragend, welche Arbeit Florence Miailhe und ihr Team in diesen Film gesteckt haben, um so viele beeindruckende Einzelaufnahmen zu realisieren und zusammenzufügen. Gekrönt wird dies im Abspann, in welchem wir Eindrücke der künstlerischen Arbeiten erhalten, die in die Bilder geflossen sind. Auch die Story zeigt sich aktueller denn je und nimmt uns mit auf eine emotionale Achterbahn, bei der wir jedoch nicht einsteigen, sondern nur als Zuschauende danebenstehen. Leider ist es nämlich eben jene expressionistische Art, welche die Bilder so wundervoll anzuschauen macht, die gleichzeitig dafür sorgt, dass stets eine Distanz zwischen Konsumenten und Leinwandgeschehen gewahrt wird. Diese neutrale Betrachtung führt wiederum dazu, dass der Film an manchen Stellen einige Längen aufweist, die angesichts der eigentlich wichtigen Thematik schade sind. Ein wenig kürzer hätte der Film gerne sein können. Dieser Film wird jedoch seine Liebhaber*innen finden.
Wie hat Dir der Film gefallen?
Wenn Kunst und Kino sich vereinen, dann gibt es häufig großes zu sehen, doch nicht selten nur ein kleines Publikum, welches diesen Genuss auch wahrnimmt. Auch Regisseurin Florence Miailhe präsentiert uns mit ihrem Werk DIE ODYSSEE, dessen Drehbuch bereits 2010 fertig war, ein visuelles Meisterwerk, welches aus abertausenden von Einzelbildern besteht, die mühsam aneinandergefügt wurden. Das besondere daran ist, dass jedes dieser Bilder ein eigenes kleines Kunstwerk zeigt, denn durch die Öl-auf-Glas-Technik werden einzelne Bilder ähnlich wie beim Stop-Motion immer wieder verändert. Doch DIE ODYSSEE hat noch mehr zu bieten als nur traumhaft schöne Aufnahmen. Tatsächlich wird uns eine Story präsentiert, die aktueller kaum sein könnte, denn wir sehen Kindern bei der Flucht aus ihrer Heimat nahe Odessa zu und begleiten sie auf einer schweren und lebensverändernden Reise. Die gegenwärtigen Überschneidungen sind jedoch nur zufällig.
Uns wird eine facettenreiche Handlung gezeigt, die sich zwischen Abenteuer, Märchen und Drama bewegt und der Film ist zurecht mehrfach auf Filmfesten ausgezeichnet wurden. Auch wenn sich zwischenzeitlich ein paar Längen einstellen, so handelt es sich hierbei doch regelrecht um ein Kunstwerk. Allerdings ist dies kein Film, der der breiten Publikumsmasse zusagen wird, und daher ist es ratsam, individuell anhand des Trailers zu entscheiden, ob dieser Stil persönlich gefällt.
Wie hat Dir der Film gefallen?
Oil painting has been around since the 13th century and continues to find enthusiastic followers. It gradually replaced work m with tempera, even if for a long time both colour styles were combined, as for example in the famous The Last Supper by Leonardo Da Vinci. Over the centuries, renowned painters such as Peter Paul Rubens, Tintoretto and, of course, Vincent van Gogh, whose painting Starry Night from 1889 should be part of common knowledge, joined in. But of course, art styles are always evolving and adapting to modern techniques. The Russian artist and filmmaker Alexander Petrov, for example, is a poster boy for the combination of oil painting and film. He painted his oil paintings on glass surfaces, which were eventually photographed and assembled into a film in stop-motion style. Since oil takes a while to dry, this art technique makes it relatively easy to keep reshaping the images and let a story emerge.
For Petrow’s Oscar® film THE OLD MAN AND THE SEA, a whole 29,000 individual images were made. And this is not even a lot, because the film has a running time of only about 20 minutes. With LA TRAVERSÉE we now get a work created in the same style by Florence Miailhe, who previously developed several short films of this kind. In collaboration with Marie Desplechin, who wrote the script and was thus responsible for refining the story, as well as with a small and energetic team, the work was completed in three years of painstaking work. But the work is paying off, because LA TRAVERSÉE was already awarded a screenplay prize in 2010, and in the course of the last festival season the animation won several awards.
What it’s about
Kyona’s family basically has everything it needs to live. However, this changes in no time when their home near Odessa is attacked and the girl has to flee for her life together with her younger brother and her parents. Their journey to a more hopeful environment is disrupted early on, however, and the two children are separated from their parents. But together they have identified a destination, and so it is now up to Kyona and Adriel to fend for themselves and complete the journey they have begun. Their path harbours many challenges that they must face together or even alone. Danger lurks everywhere. But every now and then they meet loving people who help them and show them the way. But the arduous journey wears on the children more and more. So will they ever see their parents again?
Review
The subject matter that director Florence Miailhe has taken on seems to be topical. It is all the more shocking that her journey began over a decade ago and that both the wave of refugees in 2015 and the war in Ukraine were unthinkable. However, this brings to mind that the human quest for protection is one that is always relevant across generations. As much as peace on earth would be desirable, it is also clear that it will never come. Power, greed, faith and idiocy always lead to conflicts arising, which in turn can become a threat to peaceful populations.
LA TRAVERSÉE is not only a journey of the two main characters, but also an emotional and personal one, as the director’s family was itself on the run from anti-Semitic pogroms in the 1920s. The story offers us an ups and downs of emotions and always manages to shock, excite and delicately bring out both the good and the bad in people. The film is courageous and honest, but at the same time it is a veiled and shadowy representation of reality, which ensures that the story can find itself universally in the stories of all migrants. It is therefore not surprising that a viewing of the film draws a parallel to the Ukraine war, and not only because of the mention of the city of Odessa. But despite all the realism, fictionality also plays an important role, which is why the plot seems like a hero’s journey from THE LORD OF THE RINGS.
Dreamlike beauty
However, as the opening paragraphs of this review suggest, the essence that makes the film quite special is not the story but the visual work. Even for those not interested in art, as I am, it is a magnificent spectacle of colours and shapes that emerges on the screen. It seems as if the famous paintings of art history, created in oil colours, suddenly come to life and tell us many small and big stories. Each of these paintings is expressionistic in style and does without any details. The artist clearly only wants to present an impression and an outline of what she has experienced to the viewer, for which small subtleties are often superfluous. Nevertheless, time and again we are shown pictures whose complexity cannot be fully grasped in the short time available and in which, especially in the background, there are always exciting components.
Particularly striking is the colouring of the film, which repeatedly takes on new features in the course of the plot. Different sceneries take on different meanings through different intensities of colour, just as in real art. Darker and lighter tones have a massive effect on the mood and show us correspondingly more dramatic or more relaxed sequences. The violence of a storm is presented without much detail and captivates us with dark and heavy hues, a kidnapping sequence is in threatening red tones and the beauty of home delights us with a vivid variety of hopeful compositions.
Like something out of a museum
Moreover, LA TRAVERSÉE seems like a visualised reading. An off-screen commentator leads us as narrator through the entire story and reports on formative lawlessness such as child trafficking, violence, premeditated murder as well as abuse of military power, as we also see in MYANMAR DIARIES. In some cases, this creates scenes where a youth rating is absolutely questionable, even though the film is specifically aimed at young people. At the same time, through the God perspective, we also get an insight into the feelings and thoughts of the characters, who, however, are also able to express themselves and are given an individual dubbing.
Conclusion
Technically, LA TRAVERSÉE is a veritable masterpiece, for it is truly outstanding the work Florence Miailhe and her team put into this film to realise and assemble so many impressive individual shots. This is crowned in the end credits, where we get impressions of the artistic work that went into the images. The story is also more topical than ever and takes us on an emotional roller coaster, but we don’t get on board, we just stand by as spectators. Unfortunately, it is precisely this expressionistic style that makes the pictures so wonderful to look at, while at the same time ensuring that a distance is always maintained between the consumer and what is happening on screen. This neutral view, in turn, leads to the film being a little long in places, which is a pity in view of the actually important subject matter. The film could have been a little shorter. However, this film will find its lovers.
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Originaltitel | La traversée |
Kinostart | 28.04.2022 |
Länge | ca. 84 Minuten |
Produktionsland | Frankreich | Tschechien | Deutschland |
Genre | Animation | Drama |
Verleih | Grandfilm |
FSK |
Regie | Florence Miailhe |
Drehbuch | Florence Miailhe | Marie Desplechin |
Produzierende | Dora Benousilio | Luc Camilli | Olivier Père |
Musik | Philipp E. Kümpel | Andreas Moisa |
Kamera | Guillaume Hoenig |
Schnitt | Julie Dupré | Nassim Gordji Tehrani |
Besetzung | Rolle |
Emilie Lan Dürr | Kyona |
Florence Mialihe | ältere Kyona |
Maxime Gemin | Adriel |
Arthur Perreira | Iskender |
Serge Avedikian | Jon |
Axel Auriant | Erdewan |
Jocelyne Desverchère | Florabelle della Chiusa |
Marc Brunet | Maxime della Chiusa |
Aline Afanoukoe | Madame |
Polina Borisova | Shaké |
Mehdi Guerbas | Issawa |
Samuel Debure | Le père |
Anne Cart | La mère |
Hélène Vauquois | Marie |
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