Review Kurzkritik Fakten + Credits


Fragil Filmstill

Fragil ©2022 UNITÉ – France 3 Cinéma

Wenn man sich französische Filme anschaut, wird man bemerken, dass es häufig ein zentrales Thema gibt, dass neben der eigentlichen Handlung immer wieder auftaucht. Ob es nun Horrorfilme wie RAW, Dramen wie BLAU IST EINE WARME FARBE oder Romantische Komödien wie FRAGIL sind. Die Rede ist von der Liebe fürs Essen. In Emma Benestans neustem Film steht dabei eine ganz bestimmte Speise im Zentrum, eine Meeresfrucht, die in weiten Kreisen als Delikatesse gilt. Die Auster. Die meisten von euch haben vermutlich schon mal Austern gesehen, es handelt sich dabei um Muscheln, die man direkt aus der Schale schlürft. Beide Hälften der Schale werden dabei mit einem Messer aufgebrochen und das noch lebende Tier in einem Stück verschluckt (mir stellen sich bei dem Gedanken daran die Nackenhaare auf).

Seit der Antike wird der Auster eine aphrodisierende Wirkung zugesprochen. Von den alten Griechen wurde die Muschel mit der Göttin der Liebe und dem weiblichen Geschlechtsteil in Verbindung gebracht, weshalb sich dieser Mythos über Jahrhunderte, bis heute, gehalten hat. Man sollte dazu erwähnen, dass nichts Wahres dran ist an dieser Legende, nichtsdestotrotz kann dieser starke Glaube an die liebessteigernde Wirkung für einen Placebo-Effekt sorgen. Bei dem kopflosen Verschlingen dieser armen Tiere wird häufig vergessen, dass es sich um sehr interessante Lebewesen handelt. Im Gegensatz zu anderen Muscheln handelt es sich bei Austern um Zwitter, die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale besitzen. Außerdem sind sie in der Lage Fremdkörper in ihrer Schale mit Perlmutt zu überziehen, wodurch die bekannten Perlen entstehen. Jetzt aber genug mit den Austern Facts, in meinem Text will ich euch erzählen, warum ihr euch FRAGIL ansehen solltet.

Darum geht es…

Az (Yasin Houicha) ist ein einfacher Austernfischer, der mit seiner Freundin Jessica (Tiphaine Daviot) im Süden Frankreichs lebt. Nachdem sie nun schon eine ganze Weile ein Paar sind, hat sich Az dazu entschieden Jess einen Heiratsantrag zu machen. Wie er es aus Filmen kennt, geht er mit seiner Freundin in ein schickes Restaurant und lässt den Ring im Essen, einer Auster, verstecken. Als Jess den Ring entdeckt, ist sie völlig perplex und gesteht Az, dass sie eine Pause von der Beziehung braucht. Der junge Austernfischer versteht die Welt nicht mehr, alles war so perfekt und nun steht er allein da. Als seine Freunde bemerken, dass sich Az immer mehr zurückzieht, versuchen Sie ihn aus seiner Schale der Traurigkeit zu befreien. Sie kleiden ihn neu ein und steigern sein Selbstbewusstsein. Mit seiner guten Freundin Lila (Oulaya Amamra) heckt er einen ganz besonderen Plan aus. Die Tanzlehrerin will ihm beibringen zu Tanzen, um Jess auf einer anstehenden Party eifersüchtig zu machen.

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Rezension

Nachdem man die Inhaltsangabe von FRAGIL gelesen hat, könnte man denken, dass es sich bei dem Film von Regisseurin Emma Benestan um die nächste durchschnittliche romantische Komödie handelt. Die französische Filmemacherin geht allerdings etwas anders ans Thema Liebe heran, als wir es von den Hollywood-Produktionen kennen, an die man im Genre vermutlich als erstes denkt. Erst einmal betrachten wir im Film einfache Menschen, mit normalen Problemen, zu denen wir einen wesentlich leichteren Zugang finden als zu reichen Führungspersonen, die irgendwo in Beverly Hills leben. Az und seine Freunde sind vielleicht nicht die cleversten Personen, gerade seine Freunde denken häufig in irgendwelchen sexistischen Klischees, die vom Film aber immer wieder geschickt aufgenommen und anschließend gebrochen werden. So tun die Männer der Freundesgruppe die Tanzstunden von Az als feminin ab und fühlen sich in ihrer Männlichkeit verunsichert, bis Lila ihnen zeigt, welche Wirkung das Tanzen auf andere hat.

Fragil Filmstill

Fragil ©2022 UNITÉ – France 3 Cinéma

Grundsätzlich zeichnet Frau Benestan in FRAGIL einige sehr interessante Figuren. Besonders Az und Lila, die einen Großteil des Films tragen, werden zu Sympathieträgern. Gerade Oulaya Amamra schafft es ihrer Figur sehr viel Tiefe zu geben. Sie ist mit Az und den anderen an der Küste aufgewachsen, ist dann aber nach der Schule nach Paris gezogen. Hier hat sie ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe gemacht und ist schwer verletzt worden. Deswegen beschließt sie zurück in ihre Heimat zu ziehen. Amamra spielt die Klaviatur der unterschiedlichen Emotionen mit einer unglaublichen Leichtfüßigkeit, dass sie wirkt wie eine echte Person. Wir sehen Zerbrechlichkeit und Trauer, aber auch Freude und Glückseligkeit. Unglücklicherweise schafft es niemand anders an diese schauspielerischen Qualitäten heranzukommen. Trotzdem machen viele andere ebenfalls einen guten Job. Hauptdarsteller Yasin Houicha füllt seine Figur auch mit Leben, teilweise wirkt seine Darstellung allerdings etwas drüber. Bei den Nebenfiguren muss man leider sagen, dass es sich, bis auf wenige Ausnahmen, zwar um liebenswerte, aber dennoch eindimensionale Figuren handelt.




Französische Leichtigkeit mit einer Prise Humor

Die größte Stärke von FRAGIL ist die Stimmung, die der Film erzeugt. Es handelt sich beim Film um eine romantische Komödie, dementsprechend sollte auch für ausrechend Humor gesorgt sein. Statt auf Slapstick, oder andere sehr plakative Humorformen zu setzen, bietet der Film eher subtilere Gags. So sehen wir immer wieder Figuren, die durch kleine Situation für große Lacher sorgen. Da wäre beispielsweise Az‘ Großmutter, eine herzensgute und offene ältere Dame, die versucht durch Online-Dating einen Mann zu finden, der mit ihr auf das jährliche Austernfestival geht. Sie steht ihrem Enkel mit Rat und Tat zur Seite und durchschaut seine Freundin sehr schnell. Eine weitere sehr schrullige Figur ist Giaccomo, ein Schauspielkollege von Jess. Er ist die Karikatur eines Künstlers, der glaubt die Welt verstanden zu haben. Insbesondere auf inszenatorischer Ebene wird mit der Schauspielerei von Jess gespielt. Sie ist Darstellerin in einer CSI-artigen Produktion, aus der man immer wieder Ausschnitte sieht, die diese Art von Krimiserien parodieren.

Fragil Filmstill

Fragil ©2022 UNITÉ – France 3 Cinéma

Was FRAGIL so besonders macht ist der Blick auf die Gefühle der Charaktere. Viele romantische Komödien präsentieren uns die Liebe als ein scheinbar binäres System. Entweder ist man verliebt oder eben nicht. Dabei wird die Komplexität der menschlichen Emotionen gerne ausgelassen. Nicht aber bei FRAGIL, der Film zeigt beispielsweise, dass man sich in eine Person verlieben kann und dabei trotzdem noch Gefühle für den/die Ex-Partner*in haben kann, immerhin hat man viele Jahre miteinander verbracht. Außerdem geht der Film auf die Unterschiede von emotionaler Verbundenheit und sexueller Lust ein. Als dritte Ebene sehen wir dann noch die Freundschaft, ebenfalls eine Form der Liebe, eine Liebe, die allerdings ohne jegliche Sexualität und Körperlichkeit auskommt. Zusätzlich verdeutlicht uns Emma Benestan, dass zu einer Beziehung immer (mindestens) zwei Menschen gehören, die eine eigene Gefühlswelt haben.

Fazit:

Emma Benestan hat mit FRAGIL einen sehr feinfühligen Film über die Liebe geschaffen. Wir begleiten zwei Figuren, die sehr verletzt worden sind und versuchen diesen Schmerz zu überwinden. Der Film zeigt uns dabei, dass Liebe wesentlich komplexer ist als „verliebt“ und „nicht verliebt“. Menschliche Emotionen sind ein komplexes und sehr fragiles System an unterschiedlichen Impulsen, die jede Person anders wahrnimmt. Auch wenn der Film nicht perfekt ist, einige Längen hat und ein paar eindimensionale Nebenfiguren zeigt, lohnt es sich trotzdem einen Blick zu wagen. FRAGIL ist ein Film voller Herz und Humor, mit zwei großartigen Hauptdarsteller*innen, die uns einen Einblick in die Gefühlswelt von normalen Menschen geben.

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