Bewertung Michel Rieck

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Originaltitel: Soul
Streaming-Release: 25.12.2020
Länge: ca. 100 Minuten

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Produktionsland: USA
Regie: Pete Docter | Kemp Powers
Synchronsprecher: Jamie Foxx | Tina Fey | Graham Norton
Genre: Animation | Abenteuer | Familie
Verleiher: Walt Disney Germany | Pixar

Soul

Soul © 2020 Disney/Pixar

Bereits mit ALLES STEHT KOPF bewies Regisseur und Drehbuchautor Pete Docter, dass er es schafft eine scheinbar unvorstellbare Welt visuell zu realisieren und zudem auch noch mit einfachsten Mitteln verständlich zu erklären. Dabei nimmt er sich stets schwierige Fragen des Lebens vor, auf die wir Menschen zumeist keine Antwort zu finden scheinen und versucht diese in all ihrer Komplexität aus seiner eigenen Perspektive zu erläutern und lässt sich dabei gerne aus seinem eigenen Leben inspirieren. So entstand die Grundidee für SOUL vor allem aus einem 23 Jahre langen Entwicklungsprozess – seinem Sohn. Er erkannte, dass jeder Mensch scheinbar einer Bestimmung folgt, die seinen Talenten entspricht, unabhängig davon, ob eine Person es schafft diese zu verwirklichen oder nicht. Auch war ihm bewusst, dass schon mit der Geburt jedes Lebewesen eine eigenständige Persönlichkeit besitzen muss und geht somit der Frage auf den Grund: Wo kommt diese her?

Pete Docter hat sich aber auch abseits dieser transzendentischen Ideologie für immer einen Namen im Herzen vieler Disney und Pixar-Fans gemacht, denn er schrieb zudem auch die Drehbücher für die ersten beiden TOY STORY-Filme sowie für DIE MONSTER AG. Auch der unglaubliche Erfolgsfilm WALL·E stammt aus seiner Feder. Nicht vergessen werden darf, dass er zudem eines der schönsten Intros aller Zeiten produzierte und mit OBEN das Herz von Millionen von Menschen erwärmte. Zurecht ist er Stammgast bei den Oscars und konnte 2010 und 2016 die begehrte Trophäe auch mit nach Hause nehmen. Neben ihm gibt es aber noch weitere populäre Beteiligte, wie JAMIE FOXX (JUST MERCY), Tina Fey (WHISKEY TANGO FOXTROT), Daveed Diggs (HAMILTON) und Angela Bassett (VAMPIRE IN BROOKLYN, AVENGERS: ENDGAME), die allesamt den Figuren ihren Stimmen liehen.

Soul

Soul © 2020 Disney/Pixar

Darum geht es…

Joe Gardner lässt sich in seinem Leben ganz schön hängen. Er ist Lehrer an einer Schule und bekommt die Möglichkeit dort in Vollzeit anzufangen, doch befürchtet er, dass er dann seiner Leidenschaft, der Jazz-Musik nicht mehr ausreichend Folge leisten und seinen Traum, in einer berühmten Jazz-Band zu spielen, nicht mehr erfüllen kann. Diese Chance eröffnet sich jedoch für ihn kurze Zeit später. Er kann sein Glück kaum fassen und taumelt von nun ab heiter durchs Leben – leider etwas zu heiter, denn dabei merkt er nicht die Gefahren, die um ihn rum lauern – bis er plötzlich durch einen offenen Gulli fällt. Im nächsten Moment befindet seine Seele sich auf dem Pfad ins Jenseits. Als Joe dies begreift, kann er es nicht fassen und möchte sein Schicksal nicht akzeptieren. Er versucht zu flüchten und schafft es irgendwie ins Davorseits zu gelangen, von wo aus er wieder zurück ins Leben kehren möchte. Eine wilde Reise mit vielen Herausforderungen erwartet ihn.

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Rezension

Wie schon bei ALLES STEHT KOPF hat Pete Docter es erneut geschafft eine unfassbare Welt zu erschaffen, die uns auf beeindruckende Art und Weise das Leben erklärt, wie wir es noch nie betrachtet haben. Inhaltlich umfangreich und komplex, schafft er es trotzdem immer wieder die wesentlichen Informationen auf einen leichter erklärbaren Ansatz runter zu brechen, um damit auch Kindern ein ausgedehntes Verständnis zu ermöglichen. Immer wieder ist es imponierend zu sehen, wie ausladend er die Welten erschaffen hat, denn er fokussiert sich nicht nur auf die Darstellung der Stadt New York in allen Einzelheiten, sondern auch einer Metaebene, die kaum greifbar scheint. Doch trotz all dieser breiten Handlungsfläche besinnt sich die Geschichte immer wieder auf den kleinen wichtigen Fokuspunkt des Lebens von Joe Gardner. Sprich Docter schafft es die Grätsche zu schlagen zwischen einer exorbitanten, imposanten Geschichte und einer minimalistisch exemplarischen Erzählung, wie schon bei seinem vorherigen Film.

Soul

Soul © 2020 Disney/Pixar

Da SOUL  aus den Händen von Pixar und Disney stammt, bleibt fast nur eine logische Schlussfolgerung: Das Setting und die Aufnahmen sind äußerst überwältigend und ein visuelles Meisterwerk. Schon die Figuren wirken alle äußerst abstrakt, sind aber teilweise realen Vorbildern angelehnt. So entspricht die Figur von Joe Gardner einem schwarzen Ebenbild von Pete Docter – lang, schlaksig und mit einer äußerst ovalen Kopfform. „Sieht man Pete dabei zu, wie er etwas zu Joe veranschaulicht und durchspielt, stellt man fest, dass sie dieselben Proportionen besitzen, lange Gliedmaßen, die sich manchmal in alle Richtungen gleichzeitig bewegen“, beschreibt Animation Supervisor Bobby Podesta die Darstellung der Hauptfigur. Darüber hinaus ist Soul der erste Film des Mäusekonzerns, der mit fast ausschließlich schwarzen Charakteren gestaltet ist. „Die Figuren sollten die ganze afroamerikanische Vielfalt repräsentieren“, sagt Shading Art Director Bryn Imagire zur großen Palette der verschiedenen Hauttöne der Personen.

Wo bin ich hier nur?

Besonders die reale Welt, also die Darstellung von New York, weiß zu entzücken und ist mit viel Liebe zum Detail vorgenommen wurden. Jede Fuge einer Mauer, jedes Stück Müll auf der Straße und die gesamte Lebensumgebung sind äußerst präzise ausgeformt und zeigen ein erschreckend reales Abbild unserer Welt. Etwas tragischer und kreativloser sieht hingegen das Davorseits aus, welche weitestgehend aus vielen ruhigen und geraden Linien besteht, völlig ohne Schnörkeleien auskommt und somit keine wirkliche Augenweide bieten können. Dies liegt aber natürlich auch an der Funktionsweise dieses Ortes, denn hier besteht kein Nutzen darin aufwendige Darstellungen einfließen zu lassen, die für die Handlung gar keinen Sinn ergeben. Sprich die eher schwache Visualisierung rührt einzig aus der nicht Erforderlichkeit der Geschichte. Hier wiederum muss jedoch der Versuch der Schöpfung der „Fachberater“ gelobt werden – ihnen eine Lebensform zu verpassen, die erkennbar ist, aber dennoch so substanzlos, dass sie für alle Lebewesen gültig ist.

Soul

Soul © 2020 Disney/Pixar

An diesem Punkt hat sich jedoch leider eine massive Logiklücke aufgetan, die mich den gesamten weiteren Film beschäftigt hat: Im Davorseits gibt es sogenannte Mentoren, die den Seelen helfen sollen, ihren Lebensbestimmung zu finden und sie auf das Diesseits vorzubereiten. Dies sind zum Beispiel Persönlichkeiten wie Abraham Lincoln, Mahatma Gandhi, Aristoteles, Kopernikus, Marie Antoinette und viele weitere. Leider wird jedoch nie erklärt, wie sie zu diesem „Beruf“ kamen. Denn normalerweise sterben die Menschen und werden direkt ins Jenseits weitergeführt. Dies wird sogar akribisch dokumentiert und gezählt. Wer entscheidet nun also, welche Person für den Mentorenberuf geeignet ist und werden die Seelen dazu aus dem Jenseits zurückgeholt – geht dies überhaupt? Es ist seltsam, wie über den ganzen Film hinweg versucht wurde eine Erzählebene einzuhalten, die auf alle Menschen zutreffen könnte und an dieser Stelle plötzlich so spezifische Charaktere herausgepickt wurden.

Transzendentalisch durchdacht

SOUL schafft es aber dennoch viele Antworten auf scheinbar unlösbare Fragen zu finden und geschickte Brücken zwischen Alltag und überdimensionaler Existenz zu schaffen. So zum Beispiel durch die Fokussierung von uns Menschen auf bestimmte Leidenschaften. Befindet sich ein Mensch im sogenannten „Flow“, also einer enthusiastischen Ausübung seiner Begabung – einem äußerst kreativen Prozess – so gelangt er in eine ganz spezielle, nicht greifbare Welt, die wir alle sicherlich schon einmal gefühlt haben. Dies nutzt Docter zudem geschickt, um die umfassende Ernsthaftigkeit des Films ein wenig aufzulockern und mit charmantem Witz die Leichtigkeit zurück zu holen. Ganz lustig ist es dabei zu beobachten, wie einige Menschen in ihrem „Flow“ – beruflich oder privat – aus dem Konzept gebracht werden und plötzlich nicht mehr wissen wo vorne und hinten ist und ihre kreative Schaffensphase humorvoll beendet wird.

Soul

Soul © 2020 Disney/Pixar

Ihr merkt schon, dass der Film wieder einmal unfassbar viel zu bieten hat, was teilweise nur ganz kurz angerissen wird und dennoch eine äußerst starke Aussagekraft besitzt. Dies  ist unglaublich beeindruckend und macht das Werk an sich schon äußerst wertvoll. Doch nicht alles hat so reibungslos geklappt und sorgt für Begeisterung. So bekommen wir auch eine ganz klassische Character switch – Story präsentiert, die der ganzen restlichen Geschichte nicht so wirklich gerecht wird. Sie ist zwar ein geschicktes Mittel, um eine noch tiefere Ebene aufzustoßen, die schlussendlich auch einen extremen Selbstfindungszweck verfolgt, wirkt eigenständig betrachtet aber eher unkreativ und langweilig. Wir haben diese Art einfach schon zigmal in Filmen wie YOUR NAME – GESTERN, HEUTE UND FÜR IMMER oder eben auch FREAKY FRIDAY – EIN VOLL VERRÜCKTER FREITAG gesehen. Das Thema ist einfach schon vollkommen erschlossen und ausgeschöpft.

Es fehlt die Identität

Zudem muss einfach gesagt werden, dass bei all der Genialität, die in SOUL steckt, und bei all der Kreativität, es nicht geschafft wurde mich emotional zu berühren. Ich war immer wieder begeistert von so vielen Sachen, die mir gezeigt wurden und unterschreibe anstandslos, dass es sich hierbei um einen Geniestreich der Ideenfindung handelt, aber eine persönliche Ebene hat mir doch leider fast vollständig gefehlt und mich damit nicht emotional mitgerissen. Dies ist leider genau das Problem, unter welchem auch TENET zuletzt litt. Gedanklich überwältigend und kaum noch fassbar und allein daraus schon lobenswert, aber die tiefgreifende und mitreißende Verbindung zum Publikum wurde damit nicht erreicht. Aus diesem Aspekt heraus, ist eine schlussendliche Filmbewertung auch äußerst schwer.

Soul

https://www.youtube.com/watch?v=xOsLIiBStEs&ab_channel=Pixar

Doch bevor ich nun zum Fazit komme, möchte ich eine Aussage, die hier ebenfalls thematisiert wird, nicht unberücksichtigt lassen. Die Handlung lehrt uns nämlich die kleinen und völlig unscheinbaren Dinge im Leben wertzuschätzen und darin zu erkennen, was es für uns bedeutet zu leben. Docter hat auch diese Erkenntnisse aus seinem eigenen Leben gegriffen und erzählt kurz folgende Anekdote:

Ich war mal mit dem Fahrrad unterwegs und hielt kurz an, um eine Himbeere zu pflücken. Sie war sonnengewärmt und wirklich die großartigste Himbeere, die ich je gegessen habe. Dieser nahezu unbedeutende Moment ist mir lebhaft in Erinnerungen geblieben. Fast jeder kleine Augenblick unseres Lebens kann so eine transzendentale Wirkung entfalten und uns zeigen, warum wir hier sind, was das Leben lebenswert macht SOUL erzählt davon, dass wir uns nicht auf nur eine Sache beschränken sollten, sondern offen für alles bleiben, was das Leben uns und wir dem Leben zu bieten haben.

Fazit

SOUL ist wieder einmal ein Meisterwerk der Pixar-Schmiede, doch während vorhergehende Werke es stets schafften das Publikum zu packen und in die Handlung hineinzuziehen, wurden dieses Mal die Stellschrauben ein wenig variiert. Dadurch entstand zwar eine äußerst intelligente und gut durchdachte Geschichte, die sowohl jung und alt ein ausgezeichnetes Bild einer nicht greifbaren Ideologie verschafft, aber eben auch eine Story, die sich mehr auf die Geschehnisse als auf Emotionen fokussiert. In jedem Fall ist es dennoch wundervoll wieder in eine magische Traumwelt abdriften zu können, die vor allem visuell und akustisch eindeutig fürs Kino geschaffen wurde und nun unter falsch eingestellten Heimkinoanlagen und viel zu kleinen Bildschirmen kranken wird. Immer wieder gibt es smart pointierte Witze, die zum harten inhaltlichen Stoff einen angenehmen Ausgleich bewirken. Es lohnt sich auf jeden Fall diesen Film sich einmal anzuschauen, doch schafft er es nicht die Begeisterung anderer Pixar-Werke aufzurufen.

Lange haben wir drauf gewartet, doch eigentlich gehofft es im Kino ansehen zu können. Nun müssen wir uns hochklassige animierte Künste auf unseren heimischen TV-Geräten zu Gemüte führen. Soul reiht sich ein in eine lange Liste herausragender Filme, die Pixar bereits auf den Markt gebracht hat. Scheinbar schaffen sie es immer wieder sich selbst zu übertreffen und ausnahmslos jedes Werk ist eine Augenweide. Doch haben sie bereits mit ONWARD: KEINE HALBEN SACHEN einen eher qualitativ umstritteneren Film geschaffen, und werden sich wohl entsprechenden Diskussionen auch bei ihrem neusten Streich stellen müssen. Dieser glänzt zwar mit Vielschichtigkeit, Fantasie und Intelligenz sowie einer dicken fetten Portion liebreizender Moral, schafft es aber leider nicht unsere Herzen so recht zu berühren. Eher verfolgt das Publikum gespannt die 100 Minuten Spieldauer und fragt sich stets, welche bravouröse Erläuterung oder Erscheinung Regisseur Pete Docter als nächstes wohl aus seinem Hut ziehen wird als das es emotional mit dem Film mitgeht und eine persönliche Ebene zu den Figuren schafft aufzubauen. Es lohnt sich Soul anzusehen, es lohnt sich ihn zu erleben, aber die vollkommene Identifikation bleibt leider aus und damit auch die entsprechend unantastbare Begeisterung. Ergänzend zu meiner Gesamtpunktzahl sollte hier dennoch eine 10/10 erwähnt sein, da all die Arbeit, die darin steckt, eine solche Würdigung einfach verdient!

Soul

Soul © 2020 Disney/Pixar