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Serienmörder vereinen grauenhaften Schrecken und eine seltsame Faszination. Jeder fürchtet sich vor ihnen und doch gibt es Menschen, die Zuneigung entwickeln und sich von Kriminellen der schlimmsten Art angezogen fühlen. Bekannt ist dies unter dem Begriff Hybristophilie oder auch volkstümlich Bonnie-und-Clyde-Syndrom genannt. Dadurch erreichen gewisse Gewalttäter sogar popkulturellen Status, und nicht selten wecken sie die Aufmerksamkeit von Drehbuchautor*innen. Als einer der schlimmsten Mörder wird Samuel Little eingestuft, der in rund 30 Jahren 50 Tötungen begangen haben soll. In das Ranking der Superstars der etwas anderen Art gliedert sich auch John Wayne Gacy ein, der es in den USA vor allem auf Jungen und junge Männer abgesehen hat und sie durch eine unscheinbare Tarnung anlockte. Als Clown konnte er die Sympathien der jungen Menschen gewinnen und schließlich 33 von ihnen ermorden. Zur „Belohnung“ gab es einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde für eine Verurteilung von 21-mal lebenslänglich und 12-mal die Todesstrafe.

The Black Phone - Sprich nie mit Fremden

The Black Phone – Sprich nie mit Fremden ©2022 Universal Studios. All Rights Reserved.

Diese Schreckenstaten dienten nun Scott Derrickson, der nach einem kleinen Ausreißer in das Marvel-Universum sich nun wieder seinem Lieblingsgenre widmet, als Inspiration für seinen neusten Film. Dieses Wissen nutzte er jedoch nur zur Verfeinerung seines Werkes, denn der gedankliche Anschub für die Entwicklung von THE BLACK PHONE – SPRICH NIE MIT FREMDEN stammt von Joe Hills gleichnamiger Kurzgeschichte, die gerade einmal 20 Seiten umfasst und von Derrickson und C. Robert Cargill umfassend erweitert wurde. Hill heißt eigentlich Joseph Hillström King und ist einer der Söhne des berüchtigten Horrorautors Stephen King. Nach Aussagen von Derrickson wurde die Geschichte jedoch nicht mit diesem Hintergrund ausgewählt, da er zum Zeitpunkt der ersten Wahrnehmung der zugehörigen Kurzgeschichtensammlung „20th Century Ghosts“ Hills Abstammung überhaupt nicht kannte. Produzent Jason Blum und Deuteragonist Ethan Hawke komplettieren das Quartett, welches bereits mit Sinister 2012 für ordentlich Aufruhe im Horror-Genre sorgte.




Darum geht es

Finney und seine jüngere Schwester müssen sich in einer kleinen Stadt in der Nähe von Colorado mit den üblichen Jugendproblemen der 70er-Jahre rumärgern. Differenzen werden hier noch mit Fäusten und nicht mit Worten geregelt. Doch im Grunde kennen die beiden es auch gar nicht anders, denn ihr alkoholkranker Vater ist keinen Dold besser und neigt mit seiner stark depressiven Art dazu, ebenfalls schnell zur Prügelstrafe zu greifen. Zuletzt hat es dieser vor allem auf die junge Gwen abgesehen, die in ihren Träumen Hinweise auf die lokalen Serienmorde zu finden scheint und damit nur den ermittelnden Beamten helfen will. Ihr Vater glaubt diesen Humbug jedoch keineswegs. Alles ändert sich jedoch als plötzlich auch Finney nicht mehr zu Hause auftaucht und offenbar vom sogenannten „Grabber“ eingefangen und entführt wurde. Es beginnt ein Kampf ums Überleben.

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Rezension

THE BLACK PHONE – SPRICH NIE MIT FREMDEN ist ganz klar ein Mystery-Horror-Film, wie er nur in der heutigen Zeit hätte entstehen können. Ganz im Stile von STRANGER THINGS, ES und diversen anderen modernen Retro-Produktionen, welche Kinder in den Mittelpunkt einer 70er-Jahre-Handlung stellen, um drumherum eine spannungsgeladene und triggernde Story zu platzieren, folgt auch Derrickson diesem Trend. Doch sein gutes Händchen sowie ein feinsinniges Gespür für mitreißende Geschichten und eine deutlich tiefsinnigere Story sorgen dafür, dass sich dieses Werk etwas von der breiten Masse abhebt und nur partiell als Horror-Streifen betrachtet werden sollte. Stattdessen führt uns der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor auf die Spur der heimischen Vergangenheit und verknüpft Realität mit Literatur-Fiktion und schließlich mit Erfahrungen aus seiner eigenen Jugend.

The Black Phone - Sprich nie mit Fremden

The Black Phone – Sprich nie mit Fremden ©2022 Universal Studios. All Rights Reserved.

Schon der deutsche Untertitel, der mal wieder nicht im Originalnamen enthalten ist und als vollkommen überflüssig betrachtet werden kann, gibt uns einen Hinweis darauf, dass das Filmteam mehr als nur einen schaurigen Film erzählen will und das Publikum auf eine Reise mitnimmt, die leider auch heute noch immer wieder Menschen durchleben müssen. Derrickson verknüpft grandiose Entführungsfilme wie RAUM mit einem Perspektivwechsel, der uns zeitweise versucht, etwas mehr Einblick in die Täterfigur zu geben, dennoch aber vor allem am Opfer kleben bleibt. Er schafft es, eine Handlung zu etablieren, die auch ohne Mystery- und Horrorelemente ihren Reiz mit sich bringt und in sich schon auf mehreren Ebenen schockierend genug ist.




Mit einfachen Mitteln zum Erfolg

Dabei hat er ein feines Händchen für die Besetzung seiner Rollen bewiesen. Dass Ethan Hawke jeden Film bereichern kann, ist längst kein Geheimnis mehr, und so schafft er es auch hier hervorragend in die Antagonistenrolle einzutauchen und sich so massiv zu verstellen, dass er kaum wiedererkennbar ist. Hauptfigur Mason Thames macht zwar seinen Job ganz ordentlich, wirkt aber dabei sehr generisch und unterscheidet sich zu wenig von anderen Jungs aus den bereits verglichenen Horrorwerken. Den großen Unterschied macht seine Schauspielkollegin Madeleine McGraw, die eine Augenweide ist und ein grandioses Spiel abliefert. Vor allem im ersten Part des Films ist sie recht häufig im Mittelpunkt der Handlung zu sehen, wird später aber leider zunehmend vernachlässigt. Sie schafft es, die Dialoge mit den diversen Erwachsenenfiguren regelrecht zu beleben und durch ihre impulsive und gleichzeitig charmante Art sofort zu begeistern. Ihre Wut bringt sie sowohl mimisch als auch stimmlich genau auf den Punkt.

Nighty night, naughty boy.<span class="su-quote-cite">The Black Phone</span>

The Black Phone - Sprich nie mit Fremden

The Black Phone – Sprich nie mit Fremden ©2022 Universal Studios. All Rights Reserved.

In der Bildgestaltung setzt das Team auf eher einfache Setdesigns, die sich nah am Stil der 70er-Jahre orientieren sollen, ebenso wie Kostüm, Make-up und Haarstyling. Besonders die dreiteilige Maske bietet Potenzial für den nächsten Halloweentrend. Ein wesentlicher Teil der Handlung fokussiert sich auf einen einzigen Raum, der in der Realität rund 72 qm Fläche bietet und im Film deutlich gedrungener dargestellt wird. Kahle Wände, eine einfache Matratze, vergitterte Fenster und eine unsinnige Tür liefern uns einen nahezu komplett leeren Raum, in dem einzig ein nicht angeschlossenes Telefon aus der Reihe zu fallen scheint. Sobald wir jedoch mehr von dem Kellergeschoss kennenlernen, verfliegt die schaurige Angst recht schnell und weicht der totalen Irritation, die sich durch einen einfach aufzukratzenden Erdboden sinnlos existierende Teppiche, einem undefinierbaren Seil und scheinbar übermenschlichen Kräften des Protagonisten auszeichnen. Klar sorgt ein klingelndes Telefon ohne Anschluss für Bestürzung, doch dieser Effekt verfliegt, je öfter er angewandt wird.

Horrorkino oder Entführungsdrama?

Damit sind wir wohl auch schon beim größten Manko: Es wirkt alles so perfekt unperfekt. In all der Angst und Aussichtslosigkeit, die hier vermittelt werden soll, scheinen die Zufälle sich doch viel zu sehr zu Gunsten des Protagonisten zu ergeben, wodurch das Publikum ein wenig aus der magisch schaurigen Szenerie gerissen und zurück in die leider etwas zu gekünstelte Realität verfrachtet wird, die zudem noch mit einem nicht unerheblichen Maß an überflüssiger Mystery versetzt ist. Statt uns einen Jungen zu präsentieren, der in einen psychischen Wahn verfällt, bleiben wir auf einer etwas absurden metaphysischen Idee sitzen, die gar nicht zu einem Film passen will, der viele verstörende Parallelen mit der Wirklichkeit aufweist. Glücklicherweise schafft es Komponist Mark Korven jedoch immer wieder mit seiner dramatisch schaurigen Musik die Stimmung und damit auch Dramaturgie etwas anzuheben und mit sorgfältig ausgewählten Songs wie beispielsweise Free Ride und Restless einen starken Kontrast zu bilden.

He was an idiot, but he was mine idiot.<span class="su-quote-cite">The Black Phone</span>

The Black Phone - Sprich nie mit Fremden

The Black Phone – Sprich nie mit Fremden ©2022 Universal Studios. All Rights Reserved.

Die Jump-Scare Kultur im modernen Horror scheint hingegen weitestgehend vorüber zu sein, was nicht immer tragisch ist, da diese oftmals etwas inflationär eingesetzt wurde. In THE BLACK PHONE – SPRICH NIE MIT FREMDEN erwarten uns zwei solcher erschreckenden Momente, die absolut die richtige Dosis darstellen und hervorragenden Einsatz finden. Sie sind nicht erwartbar und gleichzeitig schocken sie ordentlich. Abseits dessen erinnert nur wenig an einen Horrorfilm, sondern viel mehr an ein in sepia getauchtes Entführungsdrama, dessen Antagonist eine fast 1:1 Kopie von Pennywise ist, wodurch sich der Kreis zur Verwandtschaft des Vorlagengebers Joe Hill zu Stephen King schließt und damit auch ungefähr klar sein dürfte, auf welchem inszenatorischen Niveau wir uns bewegen.

Fazit

THE BLACK PHONE – SPRICH NIE MIT FREMDEN ist im Grunde ein ganz ordentlicher kleiner Schocker-Film, der uns vor Augen führt, wie schnell und schrecklich eine Kindesentführung geschehen kann. Den besonderen filmischen Reiz, den eine Story über einen skrupellosen Serienkiller mit sich bringt, kann das Werk leider nur bedingt ausspielen, setzt aber dafür auf eine annehmbare Gesamtgeschichte, die auch in den kleinen Nebenstorys punkten kann und sich nicht ausschließlich auf ein Thema fokussiert. Regisseur Derrickson hat es auf jeden Fall geschafft, mich emotional zu fesseln und zum Mitfiebern anzuregen, verkorkst dieses wunderbare Gefühl jedoch immer wieder durch seltsame Zufälle und Ideen, die eher dem Deus ex Machina gleichen. Im Gedächtnis bleibt auf jeden Fall Madeleine McGraw, die ihren Part wirklich überragend mimte und die wir schon bald in THE HARBINGER und CAPTAIN TSUNAMI’S ARMY wiedersehen werden.

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