Review
Unter der ausdauernden somalischen Sonne führt Mamargade (Ahmed Ali Farah) ein einfaches Leben zwischen gelegentlichen Bestattungsaufträgen, als Obst- und Gemüselieferungen getarntem Waffenschmuggel und der Verantwortung für den jungen Cigaal (Ahmed Mahmoud). Das zentrale Dreigespann vervollständigt seine Schwester Araweelo (Anab Ahmed Ibrahim), die nach ihrer Scheidung eine Bleibe bei ihrem Bruder und Neffen sucht und von einem kleinen Geschäft mit selbstgenähten Produkten träumt. Geduldig begleitet Mo Harawe seine drei Protagonist*innen in einem Langfilmdebüt, das nicht nur die unterschiedlichen Lebenswege seiner Figuren, sondern auch gegenwärtige Konflikte und die vielschichtige Gestalt eines Landes porträtiert.

The Village Next to Paradise ©2025 eksystent Filmverleih
Denn THE VILLAGE NEXT TO PARADISE, so führt es der Regisseur in einem Interview aus, kann sich mit seinem Titel nicht nur auf das kleine Örtchen an der Küste Somalias, sondern auch auf das ostafrikanische Land als Ganzes beziehen. Von der Außenansicht eines westlichen Nachrichtenbeitrags taucht der Film in jenes und die nahbare Lebenswirklichkeit seiner Protagonist*innen ein, zeichnet unaufgeregte lebendige Alltagsausschnitte, die sich dramaturgisch nicht immer ganz ausgewogen, aber eingehend aus den drei Erzählperspektiven zusammensetzen.
Von Träumern und Totengräbern
Mamargades Geschichte ist die eines einsilbigen Gelegenheitsarbeiters, eines unverhofften Vaters, eines verschlossenen Mannes, der mit systemischen Ungerechtigkeiten lebt. Über illegale Geschäfte, auf die er sich im Schatten großer Bestattungsunternehmen angewiesen sieht, gibt der Film nur so viel preis, wie Mamargade auch selbst bewusst ist; über seine Vergangenheit noch weniger. Ausgenommen eines Monologs auf der Ladefläche eines kleinen Lastwagens: einer der wenigen Momente in dem sich die Figur nicht nur dem Publikum wirkungsvoll öffnet.

The Village Next to Paradise ©2025 eksystent Filmverleih
So wie es der Totengräber am ehesten im Zusammenspiel mit dem jungen Cigaal tut, der von der Schule zum Internat, in der tiefen Beziehung zu seiner Vaterfigur, vom Wändebemalen und Bottle-Flips zu gebrochenen Versprechen und verlorengegangenen Träumen eine bewegende Entwicklung durchläuft. Distanzierter ist Mamargades Beziehung zu seiner Schwester, die trotz steter Solidarität ohne emotionale Offenbarungen auskommt. Von solchen sieht der Film in seiner nüchtern-realistischen Erzählung und Inszenierung ohnehin ab, bleibt ohne melodramatische, emotional aufgeladene Gesten aufrichtig menschlich.
Beobachtungen in Sandgelb und in Himmelblau
Obwohl Araweelo im Vergleich zu dem Duo aus Vater und Sohn weniger Raum zur Entfaltung erhält, porträtiert Anab Ahmed Ibrahim eine der kraftvollsten Figuren des Films, die mit leiser Resilienz patriarchale Gesellschaftsstrukturen aufbricht und nicht nur mit einem zaghaften Lächeln zum Schluss einen Keim der Hoffnung in die geerdeten Bilder setzt. Von nahbaren Inneneinsichten der Figuren wie diesen weitet der Film seinen Blick wiederholt auf das Geschehen um die Figuren herum: das aktive Dorfleben, postkoloniale Konfliktfelder, eine Demonstration gegen illegalen Fischfang, einen Drohnenangriff. Stets befinden sich die mit inneren Konflikten angereicherten Handlungsstränge mit den von äußeren Konflikten nie befreiten Umständen im authentischen Wechselspiel.

The Village Next to Paradise ©2025 eksystent Filmverleih
Ein solches legen auch die Bilder, eingefangen von Mostafa El Kashef, an den Tag, die in den Aufnahmen von weiten Landschaften und kleinen Gebäuden immer wieder Gelb- und Blautöne aufeinandertreffen lassen: das Blau des Meeres und das Gelb des Sandstaubs, gelbe Mauern – blaue Uniformen, heller Asphalt – marineblauer Lieferwagen. Ein unaufdringlicher Farbdualismus, der die humanistischen Einblicke gemeinsam mit der Musik zwischen Tradition und Moderne, der ungeschönten Realität und den Träumen seiner Figuren illustriert. In großen Bildern von emotionaler Widerstandskraft, von Zukunftsträumen ohne je verklärt zu sein, von unaufgeregter, schnörkelfreier Imposanz.
Fazit
Träume kommen und ziehen dahin, einzelne Figuren lassen sie in Mo Harawes THE VILLAGE NEXT TO PARADISE niemals los. Drei Perspektiven verdichten sich in diesem zu einem eingehenden Porträt über leisen Zusammenhalt, Leben trotz Widerständen und Träumen von der Zukunft. In seinen Figuren- und Gesellschaftsstudien nicht immer lückenlos tiefreichend, aber eingehend gefilmt, menschlich und ermutigend.
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Originaltitel | The Village Next to Paradise |
Kinostart | 8.11.2024 |
Länge: | 133 minuten |
Produktionsland | Germany |
Genre: | Drama |
Regie | Mo Harawe |
Producer | Sabine Moser | Oliver Neumann | Mo Harawe | Jean-Christophe Reymond |
Kamera | Mostafa El Kashef |
Cast | Ahmed Ali Farah, Anab Ahmed Ibrahim, Ahmed Mohamoud Salleban, Axmed Cabdillahi Ducaale, Maxamed Xaaji Cabdi Faarax, Maxamed Axmed Maxamed, Maxamed Maxamuud Jaamac |
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