Originaltitel: Unhinged
Kinostart: 16.07.2020
DVD/Blu-ray – Release: 27.11.2020
Länge: ca. 90 Minuten
Produktionsland: USA
Regie: Derrick Borte
Schauspieler:innen: Russell Crowe | Caren Pistorius | Gabriel Bateman
Genre: Thriller | Action
Verleih: Leonine
Ob sich Regisseur Derrick Borte je zu träumen gewagt hätte, dass sein neustes Werk UNHINGED – AUßER KONTROLLE einmal zu den besten 16 Filmen eines Jahres nach Einspielergebnis zählen würde? Wohl kaum. Dennoch ist es genau so und so wie es scheint, wird sich daran wohl auch nicht mehr viel ändern, denn die weiterhin geschlossenen Kinos sorgen dafür, dass die Boxoffice-Zahlen weiterhin eingefroren bleiben. Mit 36,7 Millionen US-Dollar Umsatz hat der Actionthriller aber auch vergleichsweise gute Ergebnisse erzielt und als wohl einer der wenigen seine Ausgaben wieder eingespielt. Dies ist jedoch auch nicht so verwunderlich, dass dies die erste Großproduktion der USA nach dem ersten großen Lockdown war und somit viele Zuschauer heiß darauf waren sich dem Kinogenuss wieder hingeben zu können.
Mit an Bord der Filmkomponist David Buckley, der es sich wohl als einer der wenigen in diesem Jahr ganz gut gehen lassen kann, denn neben diesem Film konnten wir seiner Arbeit vor kurzem auch in GREENLAND lauschen, der ebenfalls überraschend gute Zahlen geschrieben hat im Angesicht der Umstände.
Mit Russell Crowe in der Hauptrolle konnte UNHINGED – AUSSER KONTROLLE zudem ein Garant für Blockbusterkino aufweisen. Zuletzt ist dieser zwar etwas abgetaucht und teilweise eher in Nebenrollen zu sehen gewesen, wie zum Beispiel im hervorragenden DER VERLORENE SOHN, aber natürlich kennen wir ihn vor allem aus Rollen wie ROBIN HOOD, 72 STUNDEN – THE NEXT THREE DAYS (der immer wieder gerne mal eine Empfehlung von mir bekommt) oder gar A BEAUTIFUL MIND – GENIE ODER WAHNSINN (welcher jedoch eher ein grandioses Aushängeschild der anspruchsvollen Filmkunst ist).
Darum geht es…
In UNHINGED – AUßER KONTROLLE bekommen wir Crowe allerdings eher in einer vergleichbaren Rolle zu sehen wie in THE NICE GUYS – als skrupellosen Mörder. Doch warum eigentlich? Normalerweise ist er doch so freundlich. Schuld daran ist Caren Pistorius, die als Hauptdarstellerin in der Rolle von Rachel eine völlig überforderte Mutterrolle einnimmt, und mit allerlei Problemen zu kämpfen hat. Nicht nur dass sie sich noch immer mit ihrer Scheidung beschäftigen muss, auch ihr Job bereitet immer wieder Probleme – insbesondere durch ihre chronische Unpünktlichkeit. Da macht es die Situation nicht gerade leichter, dass sie nun auch noch verantwortlich sein dürfte, dass ihr Sohn erneut zu spät zur Schule kommt und deshalb nachsitzen muss. Was ein schrecklicher Morgen. Als sie dann auch noch hinter einem großen Pick-Up an einer grünen Ampel warten muss liegen die Nerven blank und mit einem wütenden Hupkonzert versucht sie ihren träumenden Vordermann dazu zu bewegen sich endlich von der Kreuzung zu entfernen.
Als sie dann abgebogen ist beginnt jedoch der Wahnsinn erst. In dem Pick-Up sitzt der etwas überfreundliche Russell Crowe, der sich ganz schön beleidigt fühlt und dieses wütende Gehupe absolut nicht nachvollziehen kann. In einem anfangs scheinfreundlichen Monolog, denn Rachel ignoriert ihn eiskalt, entwickelt sich eine angespannte Atmosphäre, die Crowes Wut überschäumen lässt und ihn veranlasst der jungen Mutter einmal beizubringen, wie ein ordentlicher Umgangston zu sein hat und wie man sich ordentlich entschuldigt – notfalls auch mit allen Mitteln. Es entwickelt sich eine dramatische und spannende Geschichte, die dem Zuschauer kaum einen Augenblick zum Durchatmen lässt.
Review
Endlich wieder Actionkino der besten Art – oder sollte ich vielleicht lieber sagen: endlich wieder Kino!? In Russell Crowes neustem Film – ja, man kann es so bezeichnen, denn dem Bonusmaterial zu Folge hat er sich im Verlaufe der Dreharbeiten doch große Mitbestimmungsrechte eingeräumt – bekommen wir ein Leinwandspektakel, welches uns teilweise den Atem stocken lässt und doch irgendwie nichts Neues zeigt. Kennen wir die sich entwickelnde Handlung nicht sogar schon? Ein wesentlicher Faktor von UNHINGED – AUßER KONTROLLE ist zumindest der Verlust des Handys der Protagonistin, was zu einer Art totalen Kontrolle führt – denn natürlich wurde ja die Tastensperre nur kurz vorher deaktiviert. Nicht nur das Crowe plötzlich im Besitz jeglicher Termine und Telefonlisten ist, nein auch die Adressen aller bekannten Menschen, die Kontoverbindungen und E-Mails sind für ihn frei zugänglich.
Doch Moment einmal: Wer speichert eigentlich die Adressen seiner Familienmitglieder? Leben wir in einer Zeit, in der wir uns nicht einmal diese noch merken können? Und seit wann sind Kontozugänge ohne Passwort einfach einsehbar – sollte ich doch noch einmal mein eigenes Handy überprüfen und diverse Apps deinstallieren? Vermutlich ja, aber das ist wohl eher ein anderes Thema. Um zum Thema zurück zu kommen, bleibt wohl zu sagen, dass es im ersten Moment äußerst erschreckend wirkt, was alles mit dem Zugang zum Smartphone in der heutigen Zeit eingesehen werden und welcher Unfug daraus sich entwickeln kann. Hier kamen gleich Assoziationen zu Filmen wie STAATSFEIND #1 oder THE NET (zwei wirklich geniale Meisterwerke) auf. Umso faszinierender gleich Wohl, dass Caren Pistorius die Erkenntnis, dass Crowe im Besitz ihres Handys ist, zugleich mit der Kommentierung „Das ist mein Handy“ versieht – naja wem soll es denn auch sonst gehören?
Wer wird denn da gleich Aggro?
Doch genug über die moderne Technik geredet, denn natürlich bietet UNHINGED – AUßER KONTROLLE noch ganz andere Aspekte. Wir können beobachten wie schrittweise eine Alltagssituation eskaliert und zu einer äußerst bedrohlichen Situation ausartet und man muss gestehen, dass vor einigen Jahren so etwas fast noch utopisch klang – heute jedoch scheint der Film dokumentarisch eine bittere Realität aufzugreifen. Nicht nur das laut Statistik die Aggressivität im Straßenverkehr stetig steigt, plötzlich werden auch Menschen auf brutalste Weise auf der offenen Straße ermordet und die Gewalt im Alltag nimmt stetig zu. Ein bitterer und bedauerlicher Trend, der hier eine exemplarische Gestalt annimmt.
Guthalten kann ich dem Film jedoch, dass es einige wirklich smarte Entscheidungen im Film gibt. Natürlich fragt man sich immer wieder, wie Crowe sich von einem Ort zum anderen in kürzester Zeit beamen kann – hat hier etwa auch Star Trek seine Finger im Spiel gehabt – aber abgesehen davon nimmt Mrs. Pistorius zum Glück keine völlig naive Rolle ein und denkt gelegentlich tatsächlich nach, welche Handlungen sinnvoll sind. Da sie jedoch genau wie der Zuschauer unter einer ständigen angespannten Drucksituation steht, ist es nicht einmal verwunderlich, dass auch sie anfangs ihre Gedanken erst einmal ordnen muss. Besonders zum Ende hin jedoch, im finalen Showdown, gab es gleich mehrfach die Möglichkeit zu sagen: Starke Entscheidung. Mehrfach wurden Klischeehandlungen einfach umgangen und intelligent gelöst. Zwar wäre auch hier gelegentlich die Möglichkeit für bessere Lösungen gewesen, aber dies bewegt sich dennoch in einem akzeptablen Rahmen.
Das tut weh
Was ich UNHINGED – AUßER KONTROLLE ebenfalls gutheißen möchte ist die rohe und brutale Gewalt. Üblicherweise schaut man einen Film dieser Art und weiß sofort was einen erwartet – viel Gelaber und ein Bösewicht, der noch stundenlang seine finsteren Pläne erzählt und dann doch wieder überwältigt wird. All dies gibt es hier nicht. Crowe zeigt sich in einer skrupellosen Rolle, in der er nicht lange zögert, sondern einfach handelt, was das Geschehen zwar äußerst roh und makaber macht, mich jedoch davon überzeugt, dass ein lang aufgebauter Spannungsmoment nicht immer nötig ist. Auch kurze scharfe Entscheidungen können die Begeisterung der Zuschauer für sich gewinnen.
Erwähnenswert sind wohl noch die schauspielerischen Darbietungen. Zwar scheint sich Crowe in seiner drastischen Rolle ganz wohl zu fühlen, doch gibt die Rolle einfach keine wirklich schauspielerisch hochwertigen Ergüsse her – oder hat er doch einfach nur wieder gezeigt, dass man eine Rolle auch einfach nur so runterspielen kann ohne jegliches schauspielerische Talent? Regisseur Derrick Borte bietet seinen Darstellern jedoch beste Gelegenheit alles aus sich herauszuholen. So präparierte sein Team extra ein Auto für eine Verfolgungsjagd so um, dass ein zusätzlicher Fahrer auf dem Dach des Autos saß und dieses von dort aus in vollem Umfang steuern konnte. Dies sollte Caren Pistorius die Möglichkeit bieten völlig in ihrem Auftritt aufzugehen und Mimik und Gestik umfangreich der Situation anzupassen, ohne auf den tatsächlichen Verkehr achtgeben zu müssen. Ob dies die richtige Wahl war, bleibt fraglich, denn nun war die Gefahr groß zu „overacten“.
Abschließend bleibt wohl noch zu sagen, dass wir hier einen passablen Actionthriller erhalten haben, der durchaus mal die abendliche Unterhaltung bieten kann, die wir als Zuschauer gelegentlich brauchen. Und da eines bei jeder guten Geschichte nicht fehlen darf:
Und die Moral von der Geschicht‘? Hupen sollst du besser nicht!
Eine viel zu junge Mutter, eine viel zu harmlose Situation, die schließlich eskaliert, ein schauspielerisch einfallsloser Russell Crowe oder unausgereifte Ausschmückung mit Details – man kann UNHINGED – AUßER KONTROLLE sicherlich viel vorwerfen, aber zumindest bietet er endlich mal wieder Thrillerkino für zu Hause. Angesichts mangelnder Alternativen doch durchaus ein wichtiger Faktor, der mal Berücksichtigung finden dürfte. Doch das alles klingt nun schlechter als das Werk wirklich ist, denn einige smarte Entscheidungen der Protagonistin sowie unvorhergesehene Spannungsmomente liefern eine mitreißende Entwicklung, die den Zuschauer gelegentlich auch mal in Schockstarre versetzen kann. Eskalierende Alltagssituationen sind heute gegenwärtiger als je zuvor und somit trifft der Film doch ziemlich genau den Zahn der Zeit. Zudem bringt Regisseur Derrick Borte ein ordentliches Handlungstempo auf die Leinwand, welches unter anderem dafür sorgt, dass der Zuschauer kaum einen Moment bekommt, in welchem er wirklich einmal durchatmen kann. Doch das ist natürlich auch sinnvoll, denn wenn man sonst nicht so viel zu bieten hat, sollte man doch wenigstens mit den wenigen Stärken auch ausreichend spielen.
Für mich absolut ein Film, den man sich in der kalten Jahreszeit einmal gut anschauen kann mit der Voraussetzung, dass die Erwartungen klein gehalten werden..