Review Kurzkritik Fakten + Credits


Wer schon mal den einen oder anderen Film gesehen hat, wird über die immer gleichen Muster gestolpert sein. Wir begleiten eine Figur, die wir im ersten Akt des Films kennen lernen, im zweiten Akt gibt es einen Konflikt, der im letzten Akt aufgelöst wird. Gerade Hollywoodfilme zeigen uns diese immer gleichen Handlungsabläufe. Dabei wird gerne auf bekannte Formen zurückgegriffen, um keine Risiken einzugehen. In Horrorfilmen sehen wir beispielsweise häufig das sogenannte „Final Girl“, dass dem Killer entgegen aller Umstände entkommen kann. Die Filmwelt entwickelt sich zwar weiter, doch gerade bei großen Produktionen, wird sich auf diese Formeln, diese Klischees verlassen, bis sich bei den Zuschauenden irgendwann eine Müdigkeit einstellt (ich schaue in deine Richtung Kevin Feige).

We Have a Ghost Filmstill

We Have a Ghost ©2022 Netflix, Inc.

Ein Filmemacher, der sich in den letzten Jahren bekannter Formeln bedient hat, um dann mit Ihnen zu brechen, ist Christopher Landon. Seit 2015 ist Landon mit Horror-Komödien aufgefallen, die auf den ersten Blick, wie Stangenware wirken, sich bei genauerem Hinsehen allerdings zu spaßigen Genre-Perlen entwickelt haben. Mit SCOUTS VS ZOMBIES hat er uns einen Film präsentiert, in dem sich Pfadfinder in einer Zombieapokalypse wiederfinden. In den folgenden Jahren konnte der Filmemacher die Filmfans mit HAPPY DEATHDAY, einem Zeitschleifen-Horrorfilm und FREAKY, einem Körpertausch-Horrorfilm, in dem eine Schülerin (Kathryn Newton) ihren Körper mit einem Serienkiller (Vince Vaughn) tauscht, überzeugen. Landon nimmt sich bekannte Filmklischees, durchleuchtet diese und gibt ihnen einen neuen Anstrich. Deswegen war ich sehr gespannt auf WE HAVE A GHOST, den ersten Film, den Landon direkt für Netflix produziert hat.

Darum geht es…

Familie Presley zieht in ein neues Haus. Bei der Besichtigung sind Vater Frank (Anthony Mackie) und Mutter Melanie (Erica Ash) über den niedrigen Preis erstaunt. Klar benötigt das alte Haus einiges an Arbeit, trotzdem erscheint der Kaufpreis immer noch sehr gering. Als die Maklerin auf Nachfrage versichert, dass sie einfach Glück gehabt hätten und nichts schlimmes im Haus passiert sei, freuen sie sich über ihr Glück. Die beiden Söhne Kevin (Jahi Di’Allo Winston) und Fulton (Niles Fitch) haben nur wenig Lust auf die neue Umgebung und auf dieses unheimliche alte Haus. Besonders Kevin tut sich schwer, er hat eh schon nicht das beste Verhältnis zu seinem Vater und muss nun seinetwegen umziehen. In einer der ersten Nächte wird Kevin durch Geräusche geweckt, die vom Dachboden zu kommen scheinen. Von seiner Neugier getrieben, streift er los und entdeckt etwas Ungewöhnliches.

Auf dem Dachboden ist ein Geist zuhause. Erst versucht er dem Jungen Angst einzujagen, doch Kevin lässt sich nicht einschüchtern und freundet sich mit Ernest (David Harbour) an. Als dann aber Frank ein Video vom Geist auf dem Handy seines Sohnes entdeckt, sieht er seine Chance und will mit dem ihm auf Social Media berühmt werden. Während Frank nur nach Ruhm und Reichtum strebt, versucht Kevin mit seiner Klassenkameradin Joy (Isabella Russo) herauszufinden, wer Ernest eigentlich ist. Der Geist kann sich selbst nicht an sein Leben erinnern. In seiner Vergangenheit muss es irgendein traumatisches Ereignis gegeben haben, dass seine Erinnerungen blockiert. Die Suche nach Hinweisen wird allerdings erschwert von den vielen Fans, die Ernest durch Franks Social-Media-Aktivität bekommt. Wie bei einem Popstar kampieren Menschen vor dem Haus der Familie, nur um einen Blick auf den Geist zu erhaschen.

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Rezension

Wie auch schon bei Landons anderen Filmen, klingt die Handlung von WE HAVE A GHOST erstmal wie einer der durchschnittlichsten Filme aller Zeiten. Wenn man dann noch liest, dass es sich diesmal um einen Film handelt, der keinen Kinostart bekommt, sondern direkt bei Netflix landet, könnten die Alarmglocken ertönen. Ihr könnt aber beruhigt sein, Landon scheint um seine Fähigkeiten zu wissen und hat auch dieses Mal wieder einen sehr unterhaltsamen Film inszeniert. Das Drehbuch ist dabei aus einer Kurzgeschichte von Geoff Manaugh entstanden, die auf den Titel „Ernest“ hört. Wie auch schon seine anderen Filme, lebt WE HAVE A GHOST von den liebenswerten und interessanten Figuren, sowie dem Brechen der Erwartungen. Normalerweise würde man bei einer Horrorcomedy, bei der sich ein Geist auf dem Dachboden befindet, beobachten, wie die Bewohner*innen des Hauses versuchen die Seele loszuwerden, nicht aber in diesem Film. Landon hat einen Blick darauf geworfen, wie sich Menschen heutzutage verhalten würden, wenn sie einen Geist hätten. Das Resultat: Ernest landet auf Social Media.

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We Have a Ghost ©2022 Netflix, Inc.

Gerade zu Beginn spielt der Film dabei seine humorvollen Stärken aus. Zuerst sehen wir einen transparenten David Harbour, der versucht einem Teenager mit Jaulen und Schluchzen Angst einzujagen. Das Ganze wirkt zu albern, dass Kevin nicht anders kann als zu lachen. Später sehen wir dann eine Montage, in der Menschen auf der ganzen Welt in ihre Handys sprechen, wie sehr sie Ernest lieben. Sie geben sich Challenges auf, imitieren die Videos, die sie vom Geist gesehen haben und Schlachten den Ernest Trend bis ins kleinste Detail aus. Landon beweist dabei, was er für ein cleverer Beobachter unserer Zeit ist. Alles, was wir in diesen Szenen sehen wirkt realistisch, als könnte es wirklich in unserer Welt passieren. Dabei rutscht WE HAVE A GHOST aber nie in übertriebenen Klamauk ab. In Ernest sehen wir keinen dummen August, der immer wieder in Slapstick Situationen gerät, stattdessen wird er zu einer sehr tragischen Figur. Je mehr wir ihn kennen lernen, desto mehr wächst er uns ans Herz.

Ein geistreicher Film mit viel Seele

Das liegt nicht nur an der gut geschriebenen Figur, sondern auch an der herausragenden Darstellung von David Harbour. Der Schauspieler hat in der Vergangenheit bereits mehrfach bewiesen, mit wie viel Seele er seine Figuren füllen kann. Mit WE HAVE A GHOST stand er nun vor der Herausforderung, selbst zu einer Seele zu werden und zu spielen, ohne zu sprechen. Ernest kann zwar ein paar laute von sich geben, richtig artikulieren kann sich der Geist allerdings nicht. Obwohl es schade ist, dass der Film auf Harbours sehr prägnante Stimme verzichtet, sorgt dieser Kniff für eine gehörige Portion Tragik. Immer wieder versucht Ernest mit Kevin zu kommunizieren, scheitert allerdings an seinen begrenzten Mitteln. Andere Filmemacher hätten hier Gags eingebaut, Landon erzeugt eher emotionale Situationen. Wir merken, dass es sich bei Ernest, im wahrsten Sinne des Wortes, um eine verlorene Seele handelt, die nicht weiß wer sie ist, noch mit lebenden Menschen interagieren kann, da bis auf Kevin vorher alle geflohen sind. Wenn sich die Geschichte um den Geist offenbart, bietet der Film noch viel mehr Tiefe, die man nicht vorwegnehmen sollte.

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We Have a Ghost ©2022 Netflix, Inc.

WE HAVE A GHOST lebt allerdings nicht nur von David Harbour, alle Darsteller*innen machen einen guten Job, auch wenn sie von Harbours Präsenz etwas überstrahlt werden. Sämtliche Figuren fühlen sich lebendig an, alle haben ihr eigenes Päckchen rumzuschleppen. Landon setzt dabei immer wieder auf subtile Verweise. Keine der Figuren wird uns umfangreich erklärt, wenn man sie genau beobachtet, ergibt sich dann aber bei jeder Figur ein stimmiges, und vor allem menschliches Bild. Auch handwerklich ist der Film gut gelungen. WE HAVE A GHOST ist kein audiovisuelles Meisterwerk, aber alles was man sieht und hört, fügt sich in ein stimmiges Gesamtbild ein. Es gibt zwar immer mal Bilder, die laut „Greenscreen“ rufen, aber im Großen und Ganzen ist der Film gut anzusehen. Gerade durch das kleine Szenario im Haus, mit einigen Nebenschauplätzen fühlt sich die Welt echt an. Unterstützt wird das ganze von einem teilweise orchestralen Score, der für Stimmung sorgt und einigen Pop- und Rockstücken, die ebenfalls gekonnt in ein Gesamtkonzept gewoben werden.

Fazit: stilisierter Zelluloidfilm mit roter Ziffer "7"

Christopher Landon hat mal wieder einen Treffer gelandet. WE HAVE A GHOST ist bei weitem kein perfekter Film, aber eine sehr unterhaltsame und liebenswerte Horror-Komödie, bei dem der Comedy Aspekt eher im Fokus steht als der Grusel. Der Film lässt eine klare Vision erkennen, die Landon bis zum Ende durchzieht. Wie auch schon in seinen vorigen Filmen, nimmt er ein bekanntes Konzept und drückt diesem seinen Stempel auf. Der Film lebt dabei insbesondere von einem schweigsamen David Harbour, der seiner Figur mit Blicken und Gesten eine unglaubliche Tiefe verleiht. Man könnte Christopher Landon unterstellen, dass er mit seinem Weg nur versucht das Mainstream-Publikum abzuholen, dadurch, dass er immer etwas Eigenes in seine Filme bringt, könnte er allerdings dafür sorgen, dass ein paar Zuschauer*innen Interesse für andere Filme entwickeln, als die immer gleichen Blockbuster.

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