Republik Chile, 1901: Ein junger Halb-Chilene, ein US-amerikanischer Söldner und ein schottischer Lieutenant werden von einem Großgrundbesitzer auf Reise geschickt, die Grenzen seines Gebietes abzustecken.
Rezension
Auf leisen Sohlen pirscht sich Felipe Gálvez Haberles Neowestern ins Gedächtnis seines Publikums. Zwar rütteln Trommeln wiederholt an den stimmungsvollen wie bildgewaltigen Aufnahmen, den Film selbst können sie aber nicht aus der Ruhe bringen. Gediegen entfalten sich bekannte Genremotive und mit dem zusammengewürfelten Hauptcharaktertrio eine ebenso vertraut erscheinende Figurenkonstellation. Westernelemente gleichermaßen ausspielend wie unterwandernd entsteht ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt, welches ungeschönte Facetten und antikoloniale Erzählstränge anderer Neo-Western gekonnt fortspinnt und treffsicherer umsetzt als Martin Scorsese in seinem letzten Mammutwerk.
Die Reise seiner schroffen Figuren schildert Haberles in kernigen Kapiteln, von denen nur das letzte die zuverlässige Erzählstruktur verlässt. Bis zu diesem stehen allen voran drei Figuren im Mittelpunkt der eingehenden Bilder, die sich in wenigen Augenblicken und mit ebenso überschaubaren Redeanteilen charakterisieren. Anders als die im Original wie im Internationalen titelgebenden Siedler und ihrer willigen Handlanger, deren Profil oberflächlich bleibt, die sich über ihre Gewalttaten und ihre Rolle als Kolonialisten und Unterdrücker selbst beschreiben, ist die Zeichnung der einzigen indigenen Hauptfigur einsilbiger aber auch feinsinniger. Eindringliche Gesten und Mimiken Camilo Arancibias trotzen der vermeintlichen Wortkargheit, die sich auch als Ausdruck der kolonialen Hierarchien verstehen lässt. Solche haben sich in der harschen Landschaft längst festgekrallt, die Überhand über die Erzählung gewinnen sie glücklicherweise nicht.
Pistolenrauch in Patagonien
Von heroischen Klischees und verzichtbaren Nebenhandlungssträngen entschlackt konzentriert sich der Film auf die stets gegenwärtigen Spannungen innerhalb der dreiköpfigen Reisetruppe und jener gegenüber ihres Umfeldes. Ihr Auftrag durch den wohlhabenden José Mendez entblößt den reißerischen Sog aus fest verankerten Unterdrückungsmechanismen, kapitalistischer Korruption, verklärter Männlichkeitsideale, Kolonialismus und Nationalismus. Den Raum, den COLONOS mit seinem großen Bilderbogen, allen voran den weiten, naturgewaltigen Landschaftsaufnahmen, öffnet, schnüren die kompromisslosen Entwicklungen gewissenhaft zu perfiden Eskalationen zusammen, die unweigerlich in Gewaltakten münden. Schonungslos porträtiert der Film die Kolonialverbrechen, die nicht nur Schreie und ein Massaker im Nebel hinterlassen.
Das letzte Kapitel weitet den Blick auf das Nachwirken der Geschehnisse und die rassistische Fortschreibung dieser. Wo andere Film längst den erzählerischen Schlussstrich gezogen hätten, rückt die chilenische Produktion die (weiße) Deutungshoheit über das Gesehene und Geschehene in den Vordergrund. Erlebtes wird zur Imagination, Vergangenes zur formbaren Masse, COLONOS endgültig zur Verarbeitung postkolonialer Diskurse. Felipe Gálvez Haberle gelingt in seinem Schlussakt die nachhallende Abrundung seines gelegentlich sperrig inszenierten, schroff porträtierten Neo- und in Teilen auch Anti-Westerns. Ohne großen Knall, aber mit einem aussagekräftigen Close-Up als mahnendes Schlussbild.
Fazit
Seit Jahren ebnen Neo-Western den Weg für moderne Perspektiven eines sonst oft verstaubten Genres – nur wenige dieser Wegweiser sind in ihrer Ruhe so eindringlich und mit ihren Bildern so kraftvoll gewesen wie Felipe Gálvez Haberles eindrucksvolles Spielfilmdebüt COLONOS.
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Originaltitel | Los colonos |
Kinostart | 11.10.2023 |
Länge: | 101 minuten |
Produktionsland | Argentina |
Genre: | Drama | Western |
Regie | Felipe Gálvez |
Executive Producer | Amy Gardner | Fernando Bascuñán | Constanza Erenchún |
Producer | Mikkel Jersin | Matías Roveda | Eva Jakobsen | Santiago Gallelli | Stefano Centini | Katrin Pors | Kristina Börjeson | Emily Morgan | Benjamín Doménech | Thierry Lenouvel | Giancarlo Nasi | Ingmar Trost | Anthony Muir |
Kamera | Simone D'Arcangelo |
Visual Effects | Anders Nyman |
Musik | Harry Allouche |
Cast | Camilo Arancibia, Heinz K. Krattiger, Mark Stanley, Alfredo Castro, Benjamín Westfall, Agustín Rittano, Juan Imbert, Mariano Monsalve, Mariano Llinás, Maxmiliano Speranza, Joaquin Gabriel Pereira, Daniel Sanchez, Gianna Soledad Ceballos, Sam Spruell, Jorge Ojeda, Iván Granovsky, Santiago Gallelli, Mishell Guaña, Manuela Silva, Emily Orueta |
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