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Originaltitel:  Die Adern der Welt
Kinostart: 29.07.2021
DVD/Blu-ray – Release: 03.12.2021
Länge: 96 Minuten
Produktionsland: Deutschland | Mongolei
Regie: Byambasuren Davaa
Schauspieler:innen: Bat-Ireedui Batmunkh | Purevdorj Uranchimeg | Algirchamin Baatarsuren
Genre: Drama | Familie
Verleih: Pandora Filmverleih

Es war einmal vor langer Zeit
Ehe Habgier die Menschen beherrschte
Am Anbeginn der Zeit
War unsere Erde aus Gold gewebt
Darum nennt man sie „Goldene Welt“
Lasst uns dieses Lied singen, um die Menschheit daran zu erinnern

Die Adern der WeltVon einem Schamanen zum musikalischen Leben erweckt, durchziehen diese mystischen Worte die Geschichte eines Jungen mit großen Träumen und die Geschichte naturverbundener Nomaden, die sich mit der Destruktion ihrer Lebenswelt konfrontiert sehen. In ihrem vierten Spielfilm taucht Regisseurin Byambasuren Davaa wiederholt in die Rituale und Lebensgefühle mongolischer Nomaden ein, für deren dokumentarische Begleitung sie 2005 eine Oscarnominierung erhielt. Wohingegen DIE GESCHICHTE VOM WEINENDEN KAMEL das Leben Umherziehender in der Wüste einfing, begibt sich Davaa in ihrem ersten Spielfilm in die mongolische Steppe.

DIE ADERN DER WELT verknüpft sowohl einen ruhevollen, fast schon dokumentarischen Stil mit einem fiktiven Familiendrama, einer Geschichte, rundum Träume und Selbstverwirklichung und Einflüssen der westlichen Welt. Tradition trifft auf Moderne, Naturverbundenheit auf erbarmungslose Industrie, unberührte und meditative Ruhe auf schrille Castingshow. Byambasuren Davaa inszeniert einen ernstzunehmenden Familienfilm mit großen Bildern und schweren Themen, aber dennoch mit Leichtigkeit.

Darum geht es

In der mongolischen Steppe lebt der zwölfjährige Amra mit seiner Mutter Zaya, seinem Vater Erdene und seiner kleinen Schwester Altaa ein traditionelles Nomadenleben. Während sich Zaya um die Ziegenherde kümmert und Erdene als Mechaniker und durch den Verkauf von Käse auf dem lokalen Markt sein Geld verdient, träumt Amra einen ganz anderen Traum: Er will ins Fernsehen und bei der Show „Mongolia’s Got Talent“ auftreten. Doch das friedliche und ursprüngliche Leben der Familie wird durch das Eindringen internationaler Bergbauunternehmen bedroht, die den Lebensraum der Nomaden rücksichtslos zerstören. Erdene ist der Anführer derer, die sich der Ausbeutung widersetzen. Ein tragischer Unfall ändert jedoch alles. Plötzlich muss Amra den Kampf seines Vaters fortsetzen. Er tut dies mit der Klugheit und der unbekümmerten Gewitztheit eines zwölfjährigen Jungen…

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Rezension

Die Regisseurin selbst beschrieb ihren vierten Film als Fiktion auf dokumentarischen Hintergrund, als Auseinandersetzung mit Tradition und Kultur auf der einen und dem Einbezug von Land- und Naturwissenszerstörung auf der anderen Seite. Es ist jedoch ebenso ein Familienfilm, was spätestens durch die junge Hauptfigur deutlich wird – kurzum ein Film, der generationsübergreifend funktionieren und unterhalten soll, darüber hinaus Möglichkeiten zur eigenen Reflexion offenlassen kann und mit all diesen Aufgaben auch etwas anzufangen weiß.

Wenn die letzte Goldader aus dem Boden gezogen
Erwachen die Dämonen

Die Adern der Welt

Die Adern der Welt ©2021 Pandora Filmverleih

Als Kinder- und Familienfilm folgt DIE ADERN DER WELT dem Leben des jungen Amras, dessen traditionsbewusster Alltag von dem Traum auf der Bühne zu stehen aufgebrochen und beeinflusst wird. Im Wechselspiel verbinden sich beide Lebenswelten des Jungen, die traditionell mongolische deutlich dichter und nahbarer als die eher oberflächlich und zuweilen kitschig in Szene gesetzte Modernität. Den Höhepunkt erreicht die Kontrastierung in einem direkten Aufeinanderprallen beider Welten: der Performance des Jungen auf der großen Bühne. Ein unerwartet wohlwollendes Ende für einen Film, der sich bis dahin nicht vor Ernsthaftigkeit und schweren Themen scheut.

Denn während Amras Traum allmählich Formen annimmt, bricht ein Schicksalsschlag über ihn und seine Familie herein. Eine tragischer Unfall, der nicht nur der Hauptfigur Schuldgefühle auferlegt, sondern auch die Nebenfiguren glaubhaft einbindet. Der traurige Wendepunkt, nach welchem der Film selbst für einige Zeit in Schweigen versinkt, verbildlicht außerdem ein weiteres Aufeinanderprallen: jenes von Natur und den Schatten der Industrie, verkörpert durch Goldschürfer und gigantische Bohrmaschinen, – dem Sterben einer Lebenswelt und der Tradition.

Die Adern der Welt

Die Adern der Welt ©2021 Pandora Filmverleih

Die Bildgewalt der Mongolei

DIE ADERN DER WELT ist kein lockerer und durchweg spaßiger Film, jedoch einer, der seine Schwerpunkte gut zu setzen weiß und trotz der Hülle und Fülle an Themen niemals überladen wirkt. Der zuvor erwähnte Kontrast von Tradition und Moderne ist mit einfachen Mitteln in Szene gesetzt und fließt nicht immer organisch ineinander. Davaa beweist ein wesentlich besseres Händchen für die Inszenierung des Nomadenlebens als bei den seichten Begegnungen mit der Moderne. Ferner sind viele der Handlungselemente bereits bekannt (die Teilnahme an einem Wettbewerb als Underdog, der Verlust eines Familienmitgliedes), was die großartigen Bilder jedoch mit Leichtigkeit zu überspielen wissen.

Weite nebeldurchdrungene Landschaften, Bilder der Steppe und des Nomadenlebens – Davaas naturverbundenes Spielfilmdebüt liefert einige der schönsten Aufnahmen des Jahres und eine Bildsprache, die Teile der Geschichte auf visueller Ebene in ihren Aussagen stärken. Die bedrohlichen Maschinen als herannahender Tod der Tradition und die Schafsherde als etwaige Auskehrung innere Gefühlswelten. Als weiterer Bogen spannt sich das eigens für den Film geschriebene und eingangs bereits zitierte Lied sowie eine Geräuschkulisse, die statt beseelter Hintergrundmusik oft Naturgeräusche in den Vordergrund stellt.

Darum nennt man sie „Goldene Welt“.
Lasst uns dieses Lied für alle Geschöpfe der Erde singen.

Fazit

Das Schicksal eines Jungen zwischen Träumen, Tradition und Trauerbewältigung verfließt mit einer althergebrachten Geschichte über Ausbeutung und Zerstörung. DIE ADERN DER WELT ist ruhevoll und lehrreich, stellenweise zu gesetzt, kontrastreich, aber durchweg herausragend bebildert. Ein Spielfilmdebüt, welches seine Zielgruppe ernst nimmt, erwachsene Themen aufgreift und sie zugleich mit Musik, Poesie und einer reichen Bildsprache in Verbindung setzt.