Originaltitel: Ema
Kinostart: 22.10.2020
DVD/Blu-ray – Release: 25.03.2021
Länge: ca. 107 Minuten
Produktionsland: Chile
Regie: Pablo Larraín
Schauspieler:innen: Mariana Di Girólamo | Gael García Bernal | Santiago Cabrerea
Genre: Drama | Musikfilm | Romanze
Verleih: Koch Films
Reggaeton ist eine Musikrichtung, die sich erst in jüngster Zeit entwickelte. Es ist ein Mix aus Reggae, Hip-Hop, Merengue und elektronischer Tanzmusik und erfährt seinen Ursprung wohl vor allem gen Ende der 90er Jahre in Puerto Rico, auch wenn bereits erste Züge davon in Panama und New York ersichtlich waren. Dieser Stil breite sich vor allem in Südamerika stark aus, schaffte es aber auch Erfolge auf der ganzen Welt zu erzielen. So widmete sich der deutsch-kolumbianische Musikproduzent Lucry auch hierzulande dieser Musik. Regisseur Pablo Larraín erzählt in einem Interview, das er selbst keine persönlichen Verbindungen zum Reggaeton pflegte, sich im Laufe der Arbeit an diesem Projekt jedoch das Interesse manifestierte und er verstand, was jüngere Generationen an dieser Musik begeistere. In diesem Zusammenhang spricht er vor allem den markanten Rhythmus an, „der alles durchdringt“.
Larraín ist ein chilenischer Filmemacher des 21. Jahrhunderts und gehört somit zur aufstrebenden Generation, die sich im dortigen Land in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Seine wohl bedeutendsten Produktionen sind EL CLUB und JACKIE: DIE FIRST LADY. Letzter wurde sogar gleich dreifach für einen Oscar nominiert (beste Hauptdarstellerin, Beste Filmmusik und bestes Kostümdesign). Für den hiesigen Film sicherte er sich für die Hauptrolle das schauspielerische Talent der 31jährigen Schauspielerin Mariana di Girólamo, die bisher zwar noch keinen großen Durchbruch verzeichnen konnte, Larraín jedoch durch einen Zeitungsartikel aufgefallen ist. Gerade einmal ein zehnminütiges Treffen reichte dem Regisseur, um sich für sie zu entscheiden. Neben ihr bekommen wir auch Santiago Cabrera (bekannt durch verschiedene Serien und Filme wie TRANSFORMERS: THE LAST KNIGHT oder WHAT HAPPENED TO MONDAY?) und Gael García Bernal (zuletzt in VOM GIEẞEN DES ZITRONENBAUMS) zu sehen.
Darum geht es…
Ema ist eine impulsive junge Frau, die schon lange versucht mit ihrem Partner Gastón ein Kind zu bekommen – leider jedoch völlig vergeblich. Dies führte zum Entschluss den gerade einmal achtjährigen Polo zu adoptieren, der für reichlich Furore in ihrem Leben sorgt. Doch nicht alles läuft nach Plan, denn als Polo das Haus in Brand setzt, wird Emas Schwester schwer verletzt. Eine Kurzschlussreaktion führt dazu, dass Polo dem Jugendamt wieder übergeben wird. Dies jedoch führt zu umfassender Kritik nicht nur von ihrem Partner, sondern auch im Kollegenkreis und ihrer Tanzkompanie. Ema jedoch lässt sich davon nur wenig beeindrucken. Sie beginnt sich völlig neu zu erfinden und auszuleben und lässt sich dabei leiten vom starken Rhythmus des Reggaeton.
Rezension
Auch wenn die Ähnlichkeit des Titels eine Verbindung zum Film EMMA. aus dem vergangenen Jahr aufzuweisen scheint, so handelt es sich dabei doch um zwei völlig unterschiedliche Werke, die kaum vergleichbar sind. Völlig unterschiedlich? Tatsächlich nicht ganz, denn wie schon in dem britischen Film, welcher ebenfalls nur ein Remake ist, bekommen wir im hiesigen Werk eine weibliche Hauptfigur präsentiert, die mit den kulturellen Eigenheiten ihres Landes eine Art Rebellion gegen etablierte Normen eingeht. Aus dieser Perspektive betrachtet finden sich doch einige Parallelen, die anfangs nicht zu existieren scheinen.
Dennoch geht EMA einen deutlich künstlerischeren Weg und nimmt sich dafür ein ernstes Thema an die Brust: Adoptivkinder, der Umgang mit diesen und welchen Einfluss diese auf das eigene Leben haben können. Gleichzeitig jedoch steht vor allem im Mittelpunkt die persönliche Identitätskrise, die sich bei der Protagonistin immer wieder deutlich zeigt. Ähnlich experimentell wie die tänzerischen Einlagen, die es hier zuhauf gibt, scheint auch das Design und die Aufmachung dieser Produktion sich zu entwickeln. Szenen, die sich der Persönlichkeitsformung der Hauptdarstellerin widmen, münden zumeist in farbintensiven optischen Explosionen, die das Bild stets in kraftvolles Licht tauchen. Dabei werden verschiedene Phasen der Selbsterkenntnis durchlaufen, in denen die Figur von Mariana Di Girólamo immer mehr ihren eigenen Zukunftsweg erkennt und sich zunehmend befreit von Normen, die ihr aufgedrückt wurden.
Verblüffende Ähnlichkeit
Und wenn wir schon bei der noch jungen Schauspielerin sind, sollte unbedingt erwähnt werden, dass sie es auf magische Weise schafft das Interesse des Zuschauers zu bündeln und stets auf sich zu ziehen. Sie dominiert den gesamten Film und schafft es leidenschaftliche Emotionen genauso gut zu transportieren wie herzzerreißende Verzweiflung. Gleichzeitig ist es vor allem das Maskenbild und die Frisur, die dafür sorgen, dass sie erschreckende Ähnlichkeit mit Haus des Geldes – Star Alba Flores in der Rolle von Nairobi aufweist. Gerade dies tut jedoch der Figur sehr gut, da beide Charaktere eine Sehnsucht nach umfassender persönlicher Entfaltung eint. Auch die unbeschwerte Art mit Problemen umzugehen spiegelt sich herausragend wider, wodurch es einfach ist gewisse Persönlichkeitszüge einfach 1:1 zu übertragen und der Figur somit noch mehr Leben einzuhauchen. Leider jedoch wirkt die Mimik von Mariana Di Girólamo etwas eingefroren und eintönig. Da fehlte noch das gewisse Etwas.
Spannenderweise hat auch Nebendarsteller Gael García Bernal die Attitüde eines deutschen Kollegen, sowohl in der Art der Figureninszenierung als auch tatsächlich im Aussehen – seine Rolle erinnert doch sehr an Max Riemelt, der mittlerweile auch auf internationalem Parkett auftaucht und demnächst in MATRIX 4 zu sehen sein wird. Durch diese erschreckenden Ähnlichkeiten sorgte EMA tatsächlich anfangs für einiges an Verwirrung – hier musste erst einmal eine persönliche Distanz zu den internationalen Pendants aufgebaut werden.
Atmosphärisch, aber undurchsichtig
Mit diesem Film bekommen wieder einmal eine wunderbare Atmosphäre geliefert. Es ist einfach fantastisch, wenn Werke im Raum spürbar werden. Dies geschieht häufig durch ein hervorragendes Zusammenspiel von Kamera, Bildgestaltung und Musik. Alle drei Aspekte sind hervorragend gelungen. Insbesondere die zumeist großen Hallen und Räume, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie recht leer und ausladend gestaltet sind, sorgen dafür, dass nicht nur die Protagonistin sich viel zu klein in einem lebensbeherrschenden System fühlt. Zeitgleich scheint es aber auch den Ausdruck der Freiheit stets zu verstärken, welcher zudem in der Bildsprache ergänzt wird durch das radikale Auftreten mit einem Flammenwerfer. Zudem wurde der Sound wunderbar abgemischt und somit ein allumfassender Surround-Sound erzeugt, der leider viel zu selten in diesem Maße in sonstigen Filmen Einfluss findet.
Während die Entwicklungen des Films das Publikum in eine Art Rauschzustand versetzt, welches daraufhin der Handlung gnadenlos ausgeliefert ist, schleichen sich auch immer wieder fragwürdige Handlungen ein, die möglicherweise nicht immer vollends mitgetragen werden können. So scheinen die diversen Szenen mit einem Flammenwerfer zwar ein Ausdruck der Persönlichkeit zu sein, erklären uns aber weder, wo die Hauptfigur diese Gerätschaft herhat, noch welche Sinnhaftigkeit dessen Einsatz explizit zeigen soll. Natürlich werden hiermit nicht nur spektakuläre Bilder kreiert, sondern auch gewisse Aussagen getroffen, doch wirkt die Bedeutung etwas dünn für einen solch massiven künstlerischen Eingriff. Auch wird nicht so ganz klar, ob sich die Figur der Promiskuität oder der Polyamorie hingibt, oder gar beidem und ob dies wirklich zu einem inneren Gleichgewicht führt.
Fazit
EMA ist ein intensives Filmerlebnis von der ersten Sekunde an, welches sich vor allem durch begeisternde Rhythmen, beeindruckende Tanzchoreographien und ausgeprägter Bildsprache auszeichnet. Ergänzt wird dies noch von der Lebhaftigkeit der Protagonistin, die durch ihren auffälligen Look und das markante Auftreten lange in Erinnerung bleibt. Fraglich jedoch ist es, ob es Pablo Larraín tatsächlich geschafft hat ein Spiegelbild der Gegenwart zu entwickeln, oder dies eher eine Wunschvorstellung der Energie heutiger Jugend repräsentiert.
Ein Abbild der Lebenskultur junger Generationen oder eine moderne Zurschaustellung wünschenswerter Lebensenergie, die es eigentlich gar nicht gibt? Diese Frage stellt sich doch recht deutlich angesichts dieses chilenischen Films. Auf der einen Seite will dieser nämlich die Pop-Punk-Energie heutiger Jugend einfangen und in einen Kontext bringen, auf der anderen Seite könnte die gesamte Handlung auch einfach 20 Jahre früher spielen und würde nicht an Glaubwürdigkeit verlieren. Somit begründet sich wohl zurecht die Überlegung, ob hiermit tatsächlich ein Abbild heutiger Generationen geschaffen wurde, wie es den Aussagen des Regisseurs Pablo Larraín zu entnehmen ist, oder einfach ein allgemeingültiges Konstrukt widerspenstiger und rebellierender Generationen aufgezeigt wird. Abseits dessen zeigt sich uns ein künstlerischer, fast schon expressionistischer Film, der sich vor allem in der technischen Ausgestaltung vom Bild bis zum Ton bravourös auszeichnet und uns zeitgleich eine mitreißende Geschichte präsentiert, die das Publikum in eine Art Rauschzustand versetzt und nicht mehr loslässt. Trotz, dass er recht kurzweilig wirkt, bleiben einige Szenen doch deutlich länger hängen als erwartet. Meine persönliche Sympathie gilt der Hauptdarstellerin, die einem Ebenbild des Haus des Geldes – Stars Alba Flores zu sein scheint. Ein Film, den man sich durchaus einmal ganz wunderbar zu Gemüte führen kann.
Schauspieler:in | Rolle |
Mariana Di Girólamo | Ema |
Gael García Bernal | Gastón |
Santiago Cabrera | Aníbal |
Paolo Giannini | Raquel |
Christián Suárez | Polo |
Giannina Fruttero | Sonia |
Josefina Fiebelkorn | Perla |
Mariana Loyola | Sara |
Catalina Saavedra | Marcela |
Paula Luchsinger | Maria |
Paula Hofmann | Laura |
Antonia Giesen | Renata |
Susana Hidalgo | Paulina |
Eduardo Paxeco | Carlos |
Natalia Bakulic | Lisa |
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