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Einst war auf Filmstarts.de das Fazit zu lesen: „Filme mit Eseln sind ja meistens sehr gut.“ Bezogen war dies auf die deutsche Kunstkatastrophe ICH WAR ZUHAUSE, ABER…, welcher die Grenzen der Erträglichkeit ausreizte und auf äußerst gemischte Meinungen gestoßen ist. Der Film wurde auf der Berlinale ausgezeichnet und hat damit wieder einmal bewiesen, dass in der deutschen Filmlandschaft es nicht zählt hochwertige Werke zu produzieren, sondern es lediglich wichtig ist, sich von anderen abzuheben und so zu wirken als hätte man eine bedeutungsschwangere Geschichte zu erzählen, selbst wenn sich die gesamte Arbeit in einem Bedeutungsvakuum befindet. Nun macht ein weiterer Streifen auf sich aufmerksam, der auf dem Poster einen Esel zeigt und neben Cannes auch auf weiteren Festivals und im europäischen Filmpreis mit vielen Nominierungen und Auszeichnungen aufwarten kann. Die Sorgen sind groß, dass es sich hierbei um ein polnisches Pendant handelt.
Darum geht es
Aus der Perspektive von EO wirkt die Welt ganz anders. Das mag daran liegen, dass EO ein Esel ist, der zusammen mit einem Zirkus durch Polen reist. Doch Europa ist im Wandel und auch in Polen gehen die Menschen auf die Straße, um für Tierwohl zu demonstrieren. So entsteht der Beschluss, dass Tiere im Zirkus nichts zu suchen haben. Als EO den Zirkus verlassen muss, beginnt eine aufregende Reise des ruhigen und gelassenen Tieres durch eine sich schnell entwickelnde Zivilisation. Auf seinem Weg begegnet er den unterschiedlichsten Menschen und Tieren, beobachtet gesellschaftliche Konflikte, erlebt Freude und Leid und lernt, wie es ist, einen nicht enden wollenden Kampf gegen die Gegenwart zu bestreiten.
Rezension
Nach GUNDA und COW bekommen wir mit EO den Abschluss einer scheinbaren Filmtrilogie, die nicht wissentlich als solche produziert wurde und in der die Filme lediglich einen inhaltlichen Schnittpunkt gemein haben: Sie zeigen uns die Welt aus einer animalischen Perspektive und geben uns einen neuen Blickwinkel auf die Gegenwart. In allen drei Werken stehen Tiere im Zentrum der Handlung, wodurch übliche Filmmechanismen über Bord geworfen werden müssen. Das macht sich sowohl erzählerisch als auch in der technischen Umsetzung deutlich bemerkbar. Tatsächlich ist EO jedoch eine Neuinterpretation von ZUM BEISPIEL BALTHASAR.
Statt eines Cast bekommen wir lediglich einige kaum nennenswerte Nebenfiguren, die unmittelbar auftauchen und genauso schnell wieder verschwinden. Niemand ist wirklich von Bedeutung. Lediglich Isabelle Huppert bekommt gen Ende einen etwas größeren Auftritt, der jedoch vollkommen überflüssig und regelrecht kontraproduktiv wirkt. Es scheint als wolle man unbedingt einen solch großen Namen auf dem Poster vermerken wollen, um die Leute ins Kino zu locken – doch damit einher geht auch, dass Huppert sich nicht mit einem kleinen Gastauftritt abspeisen lässt. So muss sich EO mit einem völlig überflüssigen Ende zufriedengeben, welches sich vom Rest der Handlung deutlich abhebt.
Spiegel einer Gesellschaft
Zusammengeschustert werden uns einzelne, oftmals nicht direkt zusammenhängende Szenerien gezeigt, in denen der Esel EO auf verschiedenste Themenbereiche trifft und zumeist als Unbeteiligter auf diese blickt. Da sehr sprunghaft geschnitten wird, ist es nicht immer leicht nachzuvollziehen, wie eine Situation entstanden ist oder wie es dazu kam, dass EO erneut im Besitz einer anderen Person ist. Dennoch verschafft uns Regisseur Jerzy Skolimowski einen unglaublich nahen Blick auf die Ereignisse in dem er dafür sorgt, dass Kameramann Michal Dymek stets nah am Esel ist und nicht selten direkt seinen Blickwinkel einnimmt. Skurrile Perspektiven und Kamerafahrten erwarten das Publikum, die sich in alle nur denkbaren Richtungen bewegen, in der Höhe variieren und mit vielen visuellen Effekten arbeiten. Dabei sei vor allem für den Anfang des Films eine kleine Epilepsiewarnung ausgesprochen. Im 4:3 Format wird uns ermöglicht die großen und imposanten Bilder noch besser genießen zu können.
Wir sehen einen Stummfilm, der durch eine vielfältige musikalische Begleitung zum Leben erweckt wird und eine beeindruckende Atmosphäre entwickelt. Lediglich einzelne Dialogfetzen, die teilweise sogar unverständlich gebrabbelt werden oder im Hintergrund stattfinden, durchbrechen die genussvolle Stille oder leiten in die nächste aufreibende oder harmonische Melodie über. Skolimowski schafft es, mehrere Genres in diesem Werk zu vereinen und die Zuschauenden durch eine mitreißende Dramaturgie über die gesamte Spieldauer im Bann zu halten. Vor allem ist dabei auffällig, dass er eine gewisse Spannung aufbaut, die nicht nur dafür sorgt, dass EOs Schweigen zu einem lauten Hilfeschrei mutiert, sondern auch dafür zuständig ist, dass wir hier nicht eine Dokumentation, sondern einen Spielfilm sehen, der sowohl mit Metaphern als auch Gesellschaftskritik arbeitet und sich mit Themen wie der polnischen Hooliganszene, Tierquälerei und Massentierhaltung auseinandersetzt.
Auf den Inhalt kommt es an
So wunderbar überraschend dieser kleine Film doch ist, so schade ist es auch, dass einige Ungenauigkeiten sich immer wieder unter die tollen Bilder mischen. Seien es erschreckend schlecht animierte Fledermäuse, die durch die Szenerie sausen, deutlich erkennbare Besetzungswechsel des Esels oder überinszenierte Sequenzen wie ein Fußballspiel, bei dem sich die Spieler recht unnatürlich bewegen. Auch in den Soundeffekten ist man etwas überambitioniert an die Materie ran gegangen und hat hin und wieder die Töne nicht auf das Bild abgestimmt oder sich einer Sounddatenbank bedient, die nicht den visuellen Geschehnissen entsprachen. Dies sind jedoch nur Kleinigkeiten, die den Genuss des Werks nur wenig schmälern und vor allem nicht dessen Bedeutung verwässern.
Fazit
Somit habe nun auch ich endlich einen Film gefunden, auf den das Fazit von Filmstarts.de zutrifft und welcher mir eine kurzweilige, aber doch einprägsame und intensive Zeit verschafft hat. EO wächst mit all seiner Beiläufigkeit so ans Herz, dass es leicht ist, sich in das Tier zu versetzen und die verschiedenen Erlebnisse aus einer neuen Perspektive zu erleben. Bilder sagen so viel mehr als Worte es je könnten, was dieses Werk eindrucksvoll unter Beweis stellt. Ein Kinobesuch ist ratsam für alldiejenigen, die etwas Entschleunigung vom Alltag brauchen und gleichzeitig mehr sehen wollen als einfallsloses Mainstreamkino.
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