Am 8. Oktober 2023 war es wieder soweit: Die FIRST STEPS Awards zeichneten die talentiertesten Nachwuchsfilmschaffenden des Filmjahrs 2023 aus.

Der deutsche Nachwuchspreis FIRST STEPS ist eine jährlich stattfindende Preisverleihung, die Abschlussfilme von Student*innen deutschsprachiger Filmhochschulen prämiert und die begehrten First Steps Awards vergibt. Ursprünglich ins Leben gerufen wurde der Preis 1999 als private Initiative der Filmwirtschaft von den Produzenten Bernd Eichinger und Nico Hofmann. Dieser Nachwuchspreis ist mit insgesamt 131.000 Euro dotiert, wobei die Gewinner*innen der Kategorie des abendfüllenden Spielfilms 20.000 Euro erhalten. In der Kategorie des besten Dokumentarfilms werden 15.000 Euro an die Gewinner*innen vergeben.

Zusätzlich wird der Götz-George-Nachwuchspreis seit 2017 von der Götz George Stiftung verliehen, um junge, herausragende Schauspieltalente zu ehren. Die Stiftung hat sich dabei das Ziel gesetzt, Götz Georges Vision, die ihm zu Lebzeiten besonders am Herzen lag, fortzuführen. Ihre Schwerpunkte liegen in der Unterstützung erfahrener Schauspieler*innen in künstlerischen, beruflichen und sozialen Belangen. Im Jahr 2019 wurde erstmals ein Ensemble ausgezeichnet: Banafshe Hourmazdi, Eidin Seyed Jalali und Benjamin Radjaipour erhielten den Götz-George-Nachwuchspreis für ihre schauspielerischen Leistung im abendfüllenden Spielfilm FUTUR DREI von Faraz Shariat.

Der Filmpreis umfasst insgesamt neun Kategorien, in denen jeweils fünf Filme nominiert werden. Die Veranstaltung wird von der Deutschen Filmakademie ausgerichtet und fand dieses Jahr im Theater des Westens statt. Die Preisverleihung wurde dieses Jahr von der FIRST-STEPS-Gewinnerin Sara Fazilat moderiert. 1200 geladene Gäste waren bei der Preisverleihung vor Ort – das Erste übertrug live in der ARD Mediathek.

Hier eine Übersicht aller Gewinner*innen:

In die Kategorie „Mittellanger Spielfilm“: DER RISS von Paul Ertl. Begründung der Jury: Der mittellange Film ist Segen und Fluch zugleich für Filmemacher:innen. Er ist zu kurz, um in die Kinos zu kommen und zu lang, um auf den hunderten Kurzfilmfestivals weltweit zu laufen. Doch diesem Film sieht man an, dass die Länge nicht relevant ist. Er will eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die sich traut. Eine Geschichte, welche die Grenzen zwischen den Genres so leicht wie möglich bricht und doch wieder aufbaut. Es wird eine Geschichte erzählt, in dem das Publikum versinkt und man mit der Protagonistin Tiefen und vor allem Höhepunkt erlebt. Das unglaublich fein durchdachte Szenenbild und die meisterhaft geführte Kamera tun noch ihresgleichen, um diesen Film zu einem Erlebnis auf der Leinwand zu machen.

 

In der Kategorie „Abendfüllender Spielfilm“: DRIFTER von Hannes Hirsch. Begründung der Jury: Dieser Film ist eine aufregende Reise, eine Odyssee, an deren Ende vielleicht so etwas wie die Erkenntnis des Selbst steht. Dieses Selbst war am Anfang noch jemand anderes, wenigstens äußerlich, aber dann kommt ein harter Schnitt und ein anderes Leben beginnt. Die Beobachtungen hier sind fein und sehr genau. In einer zuerst überfordernden Großstadtszene entdeckt dieser Film eine Zärtlichkeit, eine Zerbrechlichkeit und eine Einsamkeit, der es zu entkommen gilt. Ganz beiläufig und uneitel präsentiert uns DRIFTER von Hannes Hirsch die Heldenreise eines Antihelden in naturalistischen Bildern und mit einem überragend durchlässigen Hauptdarsteller. Dabei liefert DRIFTER eine kluge Bestandsaufnahme von Communities und Ritualen, von sexuellen und sozialen Unverbindlichkeiten, Begehren und letztlich, so kitschig es klingen mag – vom Wunsch Liebe zu finden.

Im „Götz-George-Nachwuchspreis“: Bayan Layla für ihre Rolle in ELAHA. Begründung der Jury: Diese Rolle fordert Mut und einiges ab. Es geht um Selbstbestimmung und Freiheit und letztlich um das Recht auf die eigene Sexualität und den eigenen Körper. In einer restriktiven Gemeinschaft sucht die junge Elaha ihren eigenen Weg. Bayan Layla macht in ihrem Spiel keine Kompromisse und schafft es bravourös die Widersprüche ihres Umfeldes in der Zerrissenheit ihrer Figur zu zeigen. Mal kindlich und verletzlich, dann sehr bestimmt, furchtlos, rebellisch, aber vor allem kraftvoll spielt sie die Elaha. Eine schwierige Gratwanderung, die Bayan Layla nuanciert meistert und uns mit ihrer Leinwandpräsenz begeistert.

Den „Big Audience Award“ hat gewonnen: CLASHING DIFFERENCES von Merle Grimme. Begründung der Jury: Ein aktuelles gesellschaftliches Thema in dem eigenen Debüt mit dem Mittel der Satire und nicht der üblichen dramatischen Abwärtsspirale zu erzählen, erfordert Courage und vor allem Selbstbewusstsein. Merle Grimme zeigt in CLASHING DIFFERENCES mit ihrem Buch und ihrer Regie, dass sie das „Big Audience“ nicht fürchtet, sondern durch Humor und scharfen Blick mitnehmen möchte. Und das gelingt ihr sowohl im Film und in der Serie, ohne dabei ihre eigene Handschrift zu verlieren und nur für die eigene „Bubble“ zu erzählen. Merle Grimmes Debüt sticht daher als Gesamtwerk, insbesondere auch in der Auswahl und Führung eines großartigen Ensembles aus der Vielzahl von Produktionen auch erfahrener Filmemacher:innen heraus, die sich mit dem Thema Diversität und Identität beschäftigen. Wir freuen uns auf mehr.

 

In der Kategorie „Dokumentarfilm“: HAO ARE YOU von Dieu Hao Do. Auszug aus der Begründung der Jury: Dieu Hao Do macht sich auf die Reise zu den in der Welt versprengten Geschwistern, nach Hongkong, Los Angeles, Vietnam und zu seiner Mutter, seinem Vater, seinem Onkel in Deutschland, und versucht das Unbegreifliche sichtbar zu machen, für sich, für seine Familie und uns. Er trifft auf Wut und Abwehr, Schmerz und Trauer, und auch einer Sprachlosigkeit, in der eine Erkenntnis oder auch ein Frieden nicht möglich scheinen. HAO ARE YOU erinnert an eine filmische Skizze, die sich alles erlaubt: Die Bilder von Florian Mag erzählen im Stil des Direct Cinema, sie werden verzahnt mit Archivbildern, dazu mit Gesprächen, die Dieu Hao Do mit den Familienmitgliedern führt, die sich dann zwischen den Geschwistern verselbständigen und eskalieren. Dann hält der Film kurz inne, in einem Raum, einem Gang, einer Straße – wie ein kurzes Atemholen – zusammengehalten von der Stimme Dieu Hao Dos, der Musik von Delphine Malaussée, den Geräuschen der Straßen in Saigon. HAO ARE YOU ist dabei so luftig leicht und emotional erzählt, um dann wieder abrupt abzubrechen. Eine Familienerzählung die zersplittert scheint, so wie die Welt, in der wir leben.

Den Michael-Ballhaus-Preis für Kameraabsolvent*innen hat gewonnen: Caroline Spreitzenbart für den Dokumentarfilm LIFE IS NOT A COMPETITION. BUT I’M WINNING. Begründung aus der Jury: Selbstbewusst und provokant. Klassisch und progressiv. Farbig und schwarz-weiß. Visuell eindrucksvoll wird eine urkonventionelle Ästhetik neu interpretiert und mit spannenden Ideen zu einem Look verwoben, den man in seiner Kraft, Individualität, Stärke und Mut selten gesehen hat. Eine stilsichere Handschrift, die die abgebildeten Menschen zu Ikonen macht und gleichzeitig in ihre Herzen blicken lässt. Dokumentarische Bilder kombiniert mit Archivmaterial und inszenierten Momenten durchschütteln stereotypische Gendervorstellungen und präsentieren uns ein frisches und neues Sehgefühl in pastelligen Farben.

Den NO FEAR Award für Produktionsabsolvent*innen hat gewonnen: Clara Gerst für den Spielfilm SPRICH MIT MIR. Begründung aus der Jury: Gute Produzent:innen müssen viele, sehr unterschiedliche Qualitäten haben. Sie müssen überzeugen und motivieren, sie müssen ausgleichen und verhandeln, sie müssen Ruhe bewahren und durchhalten, sie müssen den Überblick bewahren und gleichzeitig das Gespür für die Details haben. Die Gewinnerin des diesjährigen NO FEAR Award hat all dies. Sie hat eine kreative Vision von Anfang an unterstützt und mitgestaltet, hat trotz größter Budget-Herausforderungen für faire und nachhaltige Bedingungen gesorgt, hat ein überwiegend weibliches Kern-Team zusammengestellt und eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre geschaffen. Und als die Corona-Pandemie kam und den mit so viel Leidenschaft und Umsicht geplanten und bereits fertig vorbereiteten Dreh im Ausland unmöglich machte, hat sie den Film nicht scheitern lassen, sondern mit dem Team so umgestaltet, dass er stattdessen im Lockdown in Deutschland realisiert werden konnte. Herausgekommen ist ein sehr berührender Film.

In der Kategorie „Drehbuch“: Mathis van den Berg für DIE SCHLACHTEN DER MADAME KAULLA. Auszug aus der Begründung der Jury: Auf sage und schreibe 183 atemberaubenden Seiten werden wir in eine selten gezeigte historische Epoche ins Württembergische Herzogtum von Friedrich II. geführt. Mit einer beeindruckenden Genauigkeit und lyrischen Kraft wird uns das Treiben am napoleonischen Hof ebenso plastisch vor Augen geführt, wie das grassierende Elend im jüdischen Ghetto von Hechingen. Gebannt folgen wir der Heldin und können uns der Sogkraft der Geschichte kaum entziehen.

 

In der Kategorie „Short Steps“: BLOOM von Michael Dämmig. Begründung der Jury: Der traurige Baum Karl kann seinen Wehmut für einen Augenblick vergessen, als ihm eine Mango von den vielen hochgewachsenen, fruchttragenden und feiernden Mangobäumen um ihn herum zufällt. Als ihm ein hungriger Affe die Frucht wegschnappen möchte, wird es ungemütlich und es kommt zu einem Streit. BLOOM stellt über eine metaphernreiche Bildwelt Fragen nach dem Zwischenmenschlichen, dem Eigentlichen – und überzeugt durch seine Expressivität, die Lebhaftigkeit der Erzählung und die anspruchsvoll designten Charaktere, die es einem nicht schwer machen, mitzufühlen und zu -fiebern. Michael Dämmig ist es gelungen eine in sich geschlossene und technisch eindrucksvolle Welt zu kreieren, in der die Spannung konstant zugegen ist. Das Spiel von Nähe und Distanz ist eingebettet in eine ausgewiesene Dramaturgie, die keiner gesprochenen Sprache bedarf und von einer kontrastierenden Musik getragen wird. Gerade in Zeiten globaler Krisen, wo das gesellschaftliche Miteinander ständig herausgefordert ist und sich die Frage nach Gerechtigkeit und Verantwortung stellt, erscheint ein Animationsfilm wie BLOOM als Lichtblick, der das Warme und Menschliche in den Mittelpunkt rückt und für das Gemeinsame, Nachsichtige und Wohlwollende steht. BLOOM ist ein Spiegel für uns alle.