In Deutschland existieren im Durchschnitt stets 1.900 bis 2.500 Krankenhäuser, die sehr gemischt betrieben werden. Zu Beginn der 90er waren die meisten dieser medizinischen Einrichtungen im staatlichen Besitzt und wurden vor allem durch Freigemeinnützige Krankenhäuser unterstützt. Seither wurden jedoch immer mehr der Betriebe privatisiert, so dass wir 2019 knapp 38% aller Unternehmen in privater Hand verzeichnen konnten und gerade mal 29% sich in öffentlicher Hand befanden. Das große Problem daran ist, dass private Kliniken auf weit weniger Betten setzen und daher ein massiver Abbau der Pflegemöglichkeiten stattfindet. Auch in Frankreich setzt man auf massive Einsparungen, was immer wieder dazu führt, dass Krankenhäuser schnell an ihre Kapazitätsgrenzen kommen und eine Überlastung im Raum steht. Dennoch sieht es hier genau umgekehrt aus, und gerade mal rund ein Viertel aller Einrichtungen sind privatisiert. Dennoch sind medizintechnisch und personaltechnisch viele Ähnlichkeiten mit dem deutschen Gesundheitssystem erkennbar.
Bereits mehrfach hat sich Regisseurin Catherine Corsini umfassenden historischen Themen gewidmet und sich zum Beispiel in ihrem Erfolgsfilm LA BELLE SAISON – EINE SOMMERLIEBE auf die sexuelle Revolution bezogen. Nun jedoch wollte sie sich einmal einem aktuellen Thema widmen und eine Studie über die sogenannten Gelbwesten-Bewegung, die im November 2018 erstmalig aufflammte, erstellen. Während der Arbeit daran wurden ihr aber auch weitere Problemfelder der französischen Sozialpolitik immer bewusster, und ein eigener Klinikaufenthalt sorgte dafür, dass sie sich den Bedingungen in französischen Krankenhäusern nähern wollte. Für eine realistische Darstellung ihrer Vision setzt sie sowohl auf professionelle Schauspielerinnen als auch ein Team von Laiendarstellenden aus dem Gesundheitswesen. Hauptdarstellerin Marina Foïs hat bereits in EIN BECKEN VOLLER MÄNNER sowie einigen anderen erfolgreichen Filmen ihr Talent für Komödien-Rollen gezeigt. Valeria Bruni Tedeschi hingegen ist eher aus dem Bereich Drama bekannt und hat kürzlich erst auf der 72. Berlinale ihre neueste Filmrolle in LA LIGNE präsentiert.
Darum geht es
Wieder einmal kommt es in Paris zu verheerenden Demonstrationen der Gelbwesten, die sich gegen Macrons Steuerpolitik auflehnen und mehr soziale Gerechtigkeit fordern. Gewalttätige Krawalle und eine massive Radikalisierung haben Einzug in die Proteste gefunden, weshalb diese Eskalationen von der französischen Polizei arg missbilligt wurden. In den Auseinandersetzungen kommt es unweigerlich zu Verletzungen und einer damit verbundenen Überlastung des Gesundheitssystems. Raf, die gerade in massiven Beziehungsproblemen mit ihrer Partnerin Julie steckt und eine Trennung verhindern will, fällt in ihrer verzweifelten Ekstase hin und verletzt sich ihren Arm schwer. Eine Einlieferung ins nächste Krankenhaus ist unvermeidbar, doch dort erlebt sie die schrecklichen Bedingungen, mit denen Ärzt*innen und Pflegende tagtäglich zu kämpfen haben. Die eigene Gesundung rückt mehr und mehr aus dem Fokus der sonst recht selbstverliebten Komikzeichnerin.
Rezension
IN DEN BESTEN HÄNDEN will vieles auf einmal sein und ist dabei letztlich nichts so richtig in Gänze. Einerseits möchte Catherine Corsini das Drama um eine Romanze einer homosexuellen Partnerschaft entwickeln, die toxisch aufgeladen ist und kurz vor dem endgültigen Scheitern steht. Auf der anderen Seite widmet sie sich intensiv den Problemen im Gesundheitssystem und will darüber hinaus auch noch einen Blick auf die Proteste in Frankreich werfen – das ist einfach zu viel. Sie versucht, all diese Thematiken in einen großen Topf zu werfen und kräftig zu verrühren, um damit einen großen Brei an Gesellschaftskritik und Liebesdrama zu schaffen, doch letztlich schafft sie es dabei nicht, in ihrer Aussage deutlich genug zu werden und ein klares Statement zu präsentieren, bis auf salopp gesagt: alles ist schei**.
Dennoch ist der Ansatz wirklich gut gelungen und sogar sinnig, denn eine Berichterstattung über die Zustände in Krankenhäusern ist unbedingt notwendig, um den Menschen vor Augen zu führen, wie sich die in den Medien viel zitierten Problematiken in der Realität auswirken. Dies wiederum hätte aber zu einer sehr drögen und unattraktiven Dokumentation führen können. Dadurch, dass Corsini jedoch eine persönliche Geschichte als Leitfaden etabliert und eben jene Wahrnehmungen nah an der Geschichte hält, erhalten wir doch einen klaren roten Faden, der uns die Auswirkungen der Sparpolitik anschaulich vor Augen führt. Dies wird umso realistischer, als das die pflegenden Personen tatsächlich zumeist aus der Branche stammen und nicht strikt nach Drehbuch arbeiten, sondern ihre eigenen Erfahrungen einfließen lassen. Dennoch wirkt der grundlegende rote Faden oftmals noch zu dominant und opfert die Zeit der kritischen Auseinandersetzung der dramaturgischen Spielfilmzeit. Das Verhältnis stimmt daher nur bedingt.
Realer Irrsinn
In einem Gespräch mit einer deutschen Krankenschwester, die selbst in der Notaufnahme arbeitet, wurde klar, wie erschreckend realistisch IN DEN BESTEN HÄNDEN wirklich ist. Darüber hinaus erfuhr ich, dass dieser Film oftmals sogar noch ziemlich harmlos in seiner Gestaltung bleibt und es in der Realität teilweise noch deutlich derber zugeht und die Arbeitsbedingungen ein schier unüberwindbares Problem darstellen, insbesondere im Falle von Ausnahmesituationen, wie es die Corona-Pandemie gerade erst gezeigt hat. Die völlige Überlastung des Personals ist ein Problem, welches zwar hierzulande immer mehr Gehör erhält, aber dennoch nicht die entsprechende Würdigung bekommt, die notwendig wäre. Dies liegt unter anderem daran, dass die brisanten Folgen einer solchen Überlastung nach außen hin vielfach nicht wahrgenommen werden und das Personal oftmals mittels ungeplanter, teilweise massiver Überstunden einen Kollaps verhindert.
Die Kamera ist zwar vor allem auf das Protagonistinnenpärchen gerichtet, wandert dabei aber auch ganz oft zu dem Pflegepersonal und missachtet regelrecht die eigenen Hauptfiguren. Das ist auch gut so, denn das ewige Geschrei von Valeria Bruni Tedeschi und die nervige und egoistische Art der Figur werden schnell unerträglich und lassen uns nachempfinden, wie schrecklich es sein muss, mit solch anstrengenden Charakteren im normalen Berufsalltag immer wieder konfrontiert zu werden. Dennoch wird hierdurch die Erzählweise oftmals etwas wirr, und es ist unklar, wohin Corsini die Geschichte überhaupt entwickeln will.
Am Rande der Verzweiflung
Einen weiteren, sehr spannenden Aspekt arbeitet die Regisseurin und Drehbuchautorin mit dem Blick auf die Mittellosigkeit ihrer Figuren heraus. Verkörpert durch Pio Marmaï erleben wir einen nicht weniger nervtötenden Mann, der am Rande der finanziellen Verzweiflung steht und sich sein Leben durch seinen Job als Berufskraftfahrer gerade so noch finanzieren kann. Er selbst steht jedoch ebenfalls für die Werte der Gelbwesten-Bewegung ein, da er statt überleben auch leben will. Ein Unfall jedoch bringt dieses System für ihn ins Wanken, und er blickt einer totalen Depression entgegen, die seine Handlungsmöglichkeiten auf ein Minimum beschränken. Tatsächlich ist die Geschichte um die Figur Yann Caron eine sehr spannende, da es sehr vielen Menschen weltweit so geht, dass eine Verletzung und ein damit verbundener Arbeitsausfall nicht leistbar ist und Gesundheit somit zum unattraktiven Gegengewicht der Mittellosigkeit wird. Demzufolge verdient diese Systemkritik eigentlich einen eigenen und unabhängigen Film, denn hier kommt der Ausblick zu kurz.
Fazit
Im Grunde entwickelt Catherine Corsini somit einen wunderbaren kleinen Film, der sowohl durch einen charmanten Humor besticht als auch provokativ auf die Probleme Frankreichs und weiterer Länder aufmerksam macht. Dabei versucht sie, sich von der oberflächlichen gesellschaftlichen Meinung in Bezug auf die Steuerkritik und Gesundheitskritik zu lösen und einfach ein realistisches Bild zu erzeugen, welches der Bevölkerung einmal die Augen öffnet. All dies funktioniert auch wirklich großartig, wäre da nicht das angedichtete Drama um die beiden Protagonistinnen, welches stets einen unschönen Schatten auf die Handlung wirft und im Grunde nur existiert, um einen Leitfaden zu etablieren, gleichzeitig aber auch in seiner unrelevanten Handlung viel zu groß aufgebauscht wird und schließlich sogar noch mit der Verherrlichung eines Diebstahls von Krankenhauseigentum einen Abschluss findet. Mit etwas mehr Scharfsinnigkeit wäre es möglich gewesen, noch viel mehr aus IN DEN BESTEN HÄNDEN herauszuholen.
Wie hat Dir der Film gefallen?
Es ist schändlich, wie staatliche Mediziner*innen und entsprechendes Pflegepersonal behandelt und entlohnt werden. Alltäglich geben sie alles dafür, den Menschen zu helfen und werden leider nicht selten dafür von Patienten unangemessen behandelt, wenn nicht sogar bedroht. IN DEN BESTEN HÄNDEN gibt uns einen Einblick in diese Erlebnisse und zeigt sie uns anlässlich eines fiktiven Falls, der als eigentliche Hauptgeschichte etabliert wird. Grundsätzlich ist dies ein hervorragender Ansatz, denn tatsächlich muss den Menschen einmal vor Augen geführt werden, wie egoistisch und niederträchtig sie sich teilweise verhalten. Dieser Denkzettel kommt jedoch ein wenig zu kurz, da letztlich der medizinische Alltag immer nur eine Nebengeschichte bleibt, während alles rund um die Hauptfiguren eigentlich vollkommen belanglos und überflüssig (bis auf die Vorgabe der roten Linie, um nicht als Dokumentation durchzugehen) ist. Nichtsdestotrotz sehen wir ein mitreißendes Werk, welches es durchaus einmal auf die Watchlist schaffen kann.
Wie hat Dir der Film gefallen?
On average, there are always 1,900 to 2,500 hospitals in Germany, which are operated in a very mixed way. At the beginning of the 1990s, most of these medical facilities were state-owned and supported mainly by non-profit hospitals. Since then, however, more and more of the operations have been privatised, so that in 2019 we could record just under 38% of all enterprises in private hands and just 29% were in public hands. The big problem with this is that private hospitals are relying on far fewer beds and therefore there is a massive reduction in care options. In France, too, massive savings are being made, which repeatedly leads to hospitals quickly reaching their capacity limits and overcrowding. Yet the situation here is exactly the opposite, and only about a quarter of all facilities are privatised. Nevertheless, in terms of medical technology and staffing, many similarities with the German health system are recognisable.
Director Catherine Corsini has already devoted herself several times to comprehensive historical themes and, for example, referred to the sexual revolution in her hit film LA BELLE SAISON. Now, however, she wanted to devote herself to a current topic for once and create a study on the so-called Yellow Vests movement, which flared up for the first time in November 2018. While working on it, however, she also became increasingly aware of other problem areas in French social policy, and a hospital stay of her own ensured that she wanted to get closer to the conditions in French hospitals. For a realistic portrayal of her vision, she relies on both professional actresses and a team of lay actors from the health sector. Lead actress Marina Foïs has already shown her talent for comedy roles in A POOL OF MEN as well as several other successful films. Valeria Bruni Tedeschi, on the other hand, is better known for drama and recently presented her latest film role in LA LIGNE at the 72nd Berlinale.
What it’s about
Once again, devastating demonstrations by the yellow waistcoats take place in Paris, rebelling against Macron’s tax policies and demanding more social justice. Violent riots and massive radicalisation have found their way into the protests, which is why these escalations have been strongly disapproved of by the French police. In the clashes, there are inevitably injuries and a consequent overloading of the health system. Raf, who is currently having massive relationship problems with her partner Julie and wants to prevent a break-up, falls down in her desperate ecstasy and seriously injures her arm. Admission to the nearest hospital is unavoidable, but there she experiences the terrible conditions that doctors and nurses have to deal with every day. Her own recovery becomes more and more out of focus for the otherwise rather self-absorbed comic artist.
Review
LA FRACTURE wants to be a lot of things at once, and in the end is nothing really in its entirety. On the one hand, Catherine Corsini wants to develop the drama around a romance of a homosexual partnership that is toxically charged and on the verge of final failure. On the other hand, she devotes herself intensively to the problems in the health system and also wants to take a look at the protests in France – it’s just too much. She tries to throw all these themes into one big pot and stir them vigorously to create a big mash of social criticism and romantic drama, but in the end she doesn’t manage to be clear enough in her message and present a clear statement, except to say casually: everything sucks.
Nevertheless, the approach is really well done and even makes sense, because reporting on the conditions in hospitals is absolutely necessary to make people aware of how the problems much cited in the media play out in reality. But this in turn could have led to a very dry and unattractive documentary. However, by establishing a personal story as a guide and keeping those very perceptions close to the story, Corsini gives us a clear thread that vividly shows us the effects of austerity policies. This is made all the more realistic by the fact that the carers are in fact mostly from the industry and do not work strictly according to a script, but let their own experiences flow into it. Nevertheless, the basic red thread often still seems too dominant, sacrificing critical examination time to dramaturgical feature film time. The relationship is therefore only partially right.
Real insanity
In a conversation with a German nurse who herself works in the emergency room, it became clear how frighteningly realistic LA FRACTURE really is. In addition, I learned that this film often remains quite harmless in its presentation and that in reality things are sometimes even more crude and the working conditions are an almost insurmountable problem, especially in the case of exceptional situations, as the Corona pandemic has just shown. The complete overloading of staff is a problem that is increasingly being heard in this country, but still does not receive the appropriate appreciation that would be necessary. One of the reasons for this is that the explosive consequences of such overwork are often not perceived externally and staff often prevent a collapse by working unplanned, sometimes massive overtime.
Although the camera is mainly directed at the protagonist couple, it often wanders to the nursing staff and really disregards its own main characters. This is a good thing, because Valeria Bruni Tedeschi’s constant shouting and the character’s annoying and egotistical manner quickly become unbearable and make us feel how terrible it must be to be confronted again and again with such exhausting characters in the normal course of everyday work. Nevertheless, this often makes the narrative a bit muddled, and it is unclear where Corsini wants the story to go at all.
At the end of despair
The director and scriptwriter works out another very exciting aspect with the view of the destitution of her characters. Embodied by Pio Marmaï, we experience a no less nerve-racking man who is on the verge of financial despair and can barely finance his life through his job as a professional driver. However, he himself also stands up for the values of the yellow waistcoat movement, because instead of surviving he also wants to live. An accident, however, shakes up this system for him, and he faces a total depression that limits his options for action to a minimum. In fact, the story around the character Yann Caron is a very exciting one, as it is the case for very many people around the world that an injury and the associated loss of work is not affordable, and health thus becomes an unattractive counterweight to destitution. Consequently, this critique of the system actually deserves its own and independent film, because here the outlook comes up short.
Conclusion
Basically, Catherine Corsini thus develops a wonderful little film that both captivates with its charming humour and provocatively draws attention to the problems of France and other countries. In doing so, she tries to break away from the superficial social opinion regarding tax criticism and health criticism and simply create a realistic picture that opens the eyes of the population for once. All of this works really great, if it weren’t for the drama attached to the two protagonists, which always casts an unattractive shadow over the plot and basically only exists to establish a guiding thread, but at the same time is also blown up far too big in its irrelevant plot and finally even finds a conclusion with the glorification of a theft of hospital property. With a little more astuteness, it would have been possible to get much more out of LA FRACTURE.
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Originaltitel | La fracture |
Kinostart | 21.04.2022 |
Länge | ca. 98 Minuten |
Produktionsland | Frankreich |
Genre | Komödie | Drama |
Verleih | Alamode Film |
FSK |
Regie | Catherine Corsini |
Drehbuch | Catherine Corsini | Agnès Feuvre | Laurette Polmanss |
Produzierende | Anne-Laure Labadie | Jean Labadie | Elisabeth Perez |
Musik | Robin Coudert |
Kamera | Jeanne Lapoirie |
Schnitt | Frédéric Baillehaiche |
Besetzung | Rolle |
Valeria Bruni Tedeschi | Raphaëlle Catania dite Raf |
Marina Foïs | Julie Bataille |
Pio Marmaï | Yann Caron |
Aïssatou Diallo Sagna | Kim |
Jean-Louis Coulloc’h | Laurent Maillard |
Camille Sansterre | Elodie |
Marin Laurens | Adrien |
Caroline Estremo | Pat |
Ferdinand Perez | Eliott |
Clément Cholet | L’interne sec |
Ramzi Choukair | Hamza |
Norman Lasker | Jalil |
Chamaïl Kahaloun | Naïla |
Cécile Boncourt | Blandine |
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