FilmkritikDarsteller:innen und Rollen
FSK 16

FSK 16 ©FSK

Originaltitel: Lamb
Kinostart: 06.01.2022
Länge: ca. 106 Minuten
Produktionsland: Island | Schweden | Polen
Regie: Valdimar Jóhannsson
Schauspieler:innen: Noomi Rapace | Hilmir Snær Guðnason | Björn Hlynur Haraldsson
Genre: Mystery | Drama
Verleih: Koch Films

Lamb

Lamb ©2021 A24

Spätestens seit Ari Asters Horrorstreifen HEREDITARY – DAS VERMÄCHTNIS und MIDSOMMAR sowie dem 2017er Oscarerfolg MOONLIGHT sind die Filme der amerikanische Filmproduktionsgesellschaft A24 ein feste Größe im Kalender vieler Cineasten. Mit dem Fokus auf Independent-Filmen hat sich die Firma mittlerweile auch als Filmverleih etabliert und zuletzt unter anderem GREEN ROOM und THE WITCH im US-Markt verliehen.

Neben vielen weiteren heiß erwarteten Produktionen und zuletzt THE GREEN KNIGHT erreicht nun bald ein Film des isländischen Regisseurs Valdimar Jóhannson die deutschen Leinwände zunächst im Rahmen des diesjährigen Fantasy Film Festes und Anfang kommenden Jahres auch deutschlandweit. Das unter anderem vom ungarischen Großmeister Bela Tarr (DAS TURINER PFERD, SATANSTANGO) mitproduzierte Mysterydrama reiht sich in eine Reihe außergewöhnlicher Stoffe und Erzählungen ein und markiert zugleich das Langfilmdebüt Johannsons.

Darum geht es…

María und Ingvar leben weit abgeschieden in einem kleinen Gutshof mitten in der weiten isländischen Landschaft. Ihr Alltag besteht aus Hofarbeiten, Traktorenwartung und Schafe hüten, bis es eines Tages zu einem einschneidenden Erlebnis kommt. Bei der Geburt mehrerer Lämmer wird ein Wesen geboren, welches die Gestalt eines Menschen und die eines Schafes in sich vereint. Fürsorglich beschließen die beiden, das junge, verletzliche Wesen aufzunehmen und wie ihr eigenes Kind großzuziehen. Bald schon entwickelt sich eine außergewöhnliche Beziehung zwischen den dreien, die die frischgebackenen Eltern vor ungeahnte und moralische Herausforderungen stellt. Als Ingvars Bruder unverhofft zu Besuch kommt und das idyllische Land- und Familienleben misstrauisch beäugt, spitzt sich die Lage zu und eine verdrängte Vergangenheit droht aufzuleben. Im undurchschaubaren Nebel der verlassenen Gegend lauert außerdem eine mordende Kreatur, die es auf das ungewöhnliche Familienglück abgesehen…

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Rezension

Anders als es Trailer und erste Einordnungen zum Film vermuten ließen, handelt sich es sich bei LAMB weniger um einen Horrorfilm als mehr um ein Drama. Ein Drama, in dem blutverschmierte Spuren hinterlassen werden und Schafe plötzlich auf zwei Beinen zu laufen beginnen, aber vor allem ein Drama, in dem Familienkonstellationen und -vorstellungen beleuchtet werden. Zentral sind Noomi Rapace und Hilmir Snær Guðnason als einsames und wortkarges Ehepaar, die erst in Verbindung zu ihrer Filmtochter richtig aufzublühen scheinen. Das verantwortungsvolle, aber auch triste und weit abgeschiedene Leben der Figuren hat eben jene und ihren Kinderwunsch schwer gezeichnet und macht sie für das Publikum nur eingeschränkt zugänglich, wenngleich sie sich liebevoll um das Wesen kümmern.

Lamb

Lamb ©2021 A24

Die ambivalente Sympathie wird aber nur so lang aufrecht erhalten, bis sie sich mit der Schafsmutter, die verzweifelt blökend nach ihrem Kind sucht, konfrontiert sehen oder mit dem Bruder alte Kamellen über eine Affäre ausgepackt werden. Dann rutschen die Charaktere schnell wieder zurück in ihre unliebsamen Rollen und schaffen selten eine Verbindung zu den Zuschauer*innen aufzubauen. Der von Björn Hlynur Haraldsson dargestellte Bruder wirkt dabei wie häufig ein Mittel zum Zweck, um die Geschichte mit ein paar klischeehaften und verzichtbaren Konflikten anzuheizen.

Wirklich Feuer entfacht der Film in Sachen Spannung nicht. Die Handlung versprüht hin und wieder kleine Funken, zeigt einzelne barbarische Entscheidungen der Figuren oder die ungewisse, aber allgegenwärtige Bedrohung durch eine lang im Verborgenen bleibende Kreatur. Der Großteil zeigt das Miteinander der kleinen Familie, ein weitaus gediegen und weitgehend abwechslungsloses Drama ohne großen emotionalen Impact oder eindringlichen Charakterdarstellungen. Wer nach einhundert Minuten auf den großen Showdown und den schaurigen Stilbruch des Films wartet, wird auch vom Ende ernüchtert sein, denn in seiner Zurückhaltung und seiner eher distanzierten Betrachtung bleibt er sich bis zum Abschluss treu.

Lamb

Lamb ©2021 A24

Eine Herde an Möglichkeiten

Die Grundprämisse sprüht vor interessanten und zum Teil auch angedeuteten Konflikten und Potentialen. Was heißt es, Mutter und Vater zu sein? Können Eltern ein Kind lieben und großziehen, welches nicht ihr eigenes ist, welches sogar unabänderliche physische Verschiedenheiten besitzt, womöglich sogar ganz anders denkt als sie? Sollte ein Kind von seiner leiblichen Mutter getrennt werden, um einen (bisher unerfüllten) Kinderwunsch zu stillen, wenn doch die Mutter als Teil eines anthropozentrischen Weltbildes als unfähig angesehen wird, ein Kind großzuziehen? Und sollte sich der Mensch in die Natur und seine Umwelt einmischen und Tiere, Kreationen und Eigenschaften leichtsinnig für sich beanspruchen? Kritische und tiefgründige Antworten, Gedanken oder Auseinandersetzung zu jenen Fragen gibt es nur in Ansätzen und ganz unscheinbar. Mehr bedeutsame Dialoge oder Bilder hätten die Nachwirkung des Films deutlich bestärken können.

Selbiges gilt für die Atmosphäre, die durch eine packendere und unbequemere Inszenierung eine gespenstische Sogwirkung hätte entwickeln können, diese jedoch nur in wenigen Minuten anfängt aufzubauen. Vorherrschend ist die typisch nordländische Kälte und Nässe, zerfressen von Nebelschwaden und einsamen Grashügeln, in denen Horror- und Thrillerelemente nur sparsam zum Zuge kommen, leider zu sparsam. Die von Eli Arenson eingefangenen Bilder lassen sich dennoch auf der Leinwand sehen, wenngleich es ihnen oft an Kraft und Überzeugung mangelt.

Fazit

LAMB grast überwiegend gemächlich auf der nebelverhangenen Filmlandschaft und lässt dabei ein Menge unerfülltes Potential erkennen, welches er als waschechter Horrorfilm hätte entfalten können. So bietet das seichte Mysterydrama eine durchaus spannende Grundprämisse und philosophische Fragen in Ansätzen, die jedoch weder seine Figuren noch die Bilder so richtig tragen und auserzählen wollen. Als gediegene Betrachtung einer ungewöhnlichen Familienkonstellation fehlt es an originellem Drama, als Mysterystreifen an einem eindringlichen Mysterium. Jenes reizt er glücklicherweise niemals aus, sondern lässt es organisch mit den zwischenmenschlichen Konflikten seiner Protagonist*innen verschmelzen. Leider mit deutlich weniger Kraft und Surrealismus als erwartet.

Schauspieler:in Rolle
Noomi Rapace Maria
Hilmir Snær Guðnason Ingvar
Björn Hlynur Haraldsson Pétur
Ingvar Sigurdsson
Ester Bibi Bandmitglied