Originaltitel: Malmkrog
DVD/Blu-ray – Release: 03.04.2021
Länge: ca. 201 Minuten
FSK: ?
Produktionsland: Rumänien | Serbien | Schweiz | Schweden | Bosnien | Mazedonien
Regie: Cristi Puiu
Schauspieler:innen: Agathe Bosch | Frédéric Schulz-Richard | Diana Sakalauskaité
Genre: Drama | Historie
Verleih: MUBI
Mit der Einführung der kompetitiven Sektion Encounters (englisch für „Begegnungen“) hat sich die Berlinale vor einem Jahr zum Ziel gesetzt, besondere Arbeiten eigenständiger wie innovativer Filmschaffender zu ehren und zu präsentieren, einen cineastischen Perspektivwechsel zu schaffen und zu fördern und hat sich nach eigenen Angaben einem Kontrapunkt und einer Ergänzung zum langjährigen Wettbewerb verschrieben. Die Filmbeiträge der noch recht jungen Sektion bestechen also zumeist durch ihre Andersartigkeit, gegenüber der Berlinalegewinner anderer Sektionen und des Hauptwettbewerbs, geraten sie eher in den Hintergrund.
Ein Beitrag zu dieser Sektion, der im Rahmen der 70. Berlinale im Jahre 2020 lief, ist seit Anfang April exklusiv auf der Streamingplattform MUBI zu sehen. Der Film des rumänischen Regisseurs Cristi Puiu, der unter anderem für Filme wie DER TOD DES HERRN LAZARESCU und SIERANEVADA bekannt ist, fällt vor allem durch seine üppige Laufzeit und seine ungewöhnliche Dialogschwere auf und war 2020 der Eröffnungsfilm der Sektion Encounters, in selbiger Puiu auch den Regiepreis gewann. Als Grundlage für den Film dienten Texte eines Buches des russischen Philosophen und Dichters Wladimir Sergejewitsch Solowjow, deren Ausgangslage angepasst wurde und nun im abgelegenen Schloss einer ungarischen Adelsfamilie in dem titelgebenden, heute rumänischen Dörfchen spielt.
Darum geht es…
MALMKROG ist Puius siebter Langfilm und findet größtenteils in kühlen, aber schick dekorierten Räumen des Schlosses statt, dessen Umfeld bis auf wenige Außenaufnahmen kaum auszumalen ist. Am Vorabend des 20. Jahrhunderts treffen sich dort verschiedenste, aristokratische Vertreter zum gemeinsamen Essen und Diskutieren, unter ihnen beispielsweise ein Landbesitzer, ein Politiker und die Frau eines Generals. Ist das erste Gespräch einmal ins Rollen gekommen, lässt sich der anschließende Sprachfluss der Charaktere nur selten bändigen und der Film versinkt in Gesprächen über wortwörtlich Gott und die ganze Welt.
Rezension
Viel mehr lässt sich über die Handlung des Films nicht verraten, ohne die Gespräche der Charaktere selbst zu transkribieren. Denn statt ein paar klare, thematische Punkte zu setzen, dreht und dreht sich das Gespräch so lang, bis selbst die Figuren anmerken, nicht mehr zu wissen, worüber sie eigentlich sprechen. Die Tatsache, dass der Film auch nach dieser Feststellung noch gut zwei Stunden weitergeht, charakterisiert ihn schon fast als Herausforderung. Die Dialoglast des Films wird nur selten von ein paar Szenen herausgefordert, die in diesem 200minütigen Koloss fast schon erlösend wirken. Es sind nur einfache Akzente, die aufgrund ihrer Seltenheit jedoch eine formidable Wirkung haben, auch wenn manche Entwicklungen gleich im nächsten Moment wieder nichtig gemacht werden. Und geredet wird danach trotzdem weiter.
Im Gespräch selbst stecken viele Ansätze und Weltanschauungen mit theologischen und philosophischen Exkursen, mit Gedanken verschiedenster Persönlichkeiten wie Nietzsche, Marx und Rousseau und natürlich Zitaten aus der Bibel, bei denen ich keinen Hehl daraus mache, wenn ich sage, hier und da den Anschluss verloren zu haben. Nicht zuletzt wegen der enormen Wortdichte, die die Untertitel nur so vorbeirauschen ließ, gestaltet sich der Film als alles andere als leichte Kost. Philosophiert wird die meiste Zeit auf französisch, doch auch andere Sprachen finden ihren Weg ins Geschehen und sorgen für eine glaubhafte Dichte in der intellektuellen Wortflut.
Es sind kleine Szenen und auch Geschehnisse im Hintergrund, die über das Gespräch hinaus einen Mehrwert bieten, die ebenso für Interpretationsstoff sorgen, wie die weltanschaulichen Diskussionen rundum Krieg und Frieden. Nichts scheint zufällig, weder die wenigen Orte und Requisiten, die ihren Weg auf die Bildfläche finden, noch das zurückhaltende, stellenweise aber doch vordergründige Auftreten der Bediensteten. Kein Detailreichtum, aber eine gewissenhafte Ausarbeitung von Details, die bei einem weiteren Schauen sicherlich einen Effekt haben kann.
Ob sich eine Laufzeit von über drei Stunden zu einem Rewatch anbietet, muss jeder für sich selbst entscheiden, schon eine Erstsichtung ist alles andere als ein kurzweiliges Vergnügen. Der Zuschauer bekommt die Länge des Films zu spüren, genau wie die Eigenheiten der Charaktere und deren Ansichten. Ein cineastisches Erschwernis, welches man nicht vernachlässigen und auf das man sich, wenn man sich diesen Film vornimmt, einlassen sollte.
Und warum ist er trotzdem auf seine Art und Weise sehenswert? Die wenigen Bilder, die er entwirft, angefangen von der schneereichen Außenaufnahme zu Beginn, bishin zu den beinah statischen Bildern üppig ausgestatteter Räume, in dem die Charaktere wie Modelle ihrer selbst stehen, sind allesamt großartig. Tudor Vladimir Pandurus Kameraarbeit ist überaus gelungen, die langen, ungeschnittenen Szenen unterstreichen das Gefühl einem anspruchsvollen Theaterstück beizuwohnen und erinnern in vielen Momenten an die Kameraarbeit von Sven Nykvist in unter anderem Andrej Tarkovskys „Opfer“. In beiden Filmen werden Innenräume perfekt ausgenutzt und die Figuren fast schon als lebendige Möbelstücke in die Bildkomposition integriert.
Die Schauspieler verkörpern die kühlen, distanzierten und ungastlichen Charaktere passend, stellenweise auch abstoßend. Nach Identifikationsfiguren braucht man nicht richtig zu suchen, am ehesten noch an einzelnen Gedanken, die sich aus den Diskussionen herauskristallisieren. Es ist kein Film, der die Zuschauer über Emotionen der Charaktere erreicht, wohl aber über ihre Darstellungen durch ihre Aussagen, wenn man diesen denn über die monströse Laufzeit folgen kann.
Fazit
MALMKROG ist ein Film, bei dem man vorher wissen sollte, auf was man sich einlässt, ein Brocken von einem Film, der mit großer Dialoglast über den Zuschauer walzt. Es ist ein Film, der von technischer Seite aus überzeugt, dem unauffällige Dinge im Hintergrund gelingen und der im Rahmen seiner erzählerischen Bandbreite durchweg gut aussieht. Aber auch ein Film bei dem es gar nicht nötig ist, jeden einzelnen Gedanken zu verstehen, nachzuvollziehen und erst recht nicht zu teilen. Aus dem Gespräch der Aristokratie im Ganzen, dem intellektuellen Schwadronieren über Krieg und Frieden, die Zukunft von Europa und der Welt, kann man viel mehr Dinge herauslesen, die gesellschaftskritische Ansätze aufzeigen. Und selbst wenn sich der Film Anfang des 20. Jahrhunderts bewegt, kann man aus den Gesprächen gespenstische Aktualität ziehen.
Schauspieler:in | Rolle |
Edith Alibec | Maid |
Vitalie Bichir | General |
Agathe Bosch | Madeleine |
Ugo Broussot | Edouard |
Lucian Diaconu | Koch 1 |
Sorin Dobrin | Kammerdiener |
Bogdan Farcas | Husar 2 |
Bogdan Geambasu | Jancsi |
Simona Ghita | Maid |
László Mátray | Husar 1 |
Levente Nemes | Oberst |
Marina Palii | Olga |
Zoe Puiu | Kind |
Frédéric Schulz-Richard | Nikolai |
Diana Sakalauskaité | Ingrida |
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