Review Fakten + Credits


Schwere Themen für Kinder und Jugendliche verständlich aufzuarbeiten und filmisch leicht zu verpacken ist eine Kunst – wandert man doch immer auf einem schmalen Grat hin zum Moralapostel und dem pädagogischen Zeigefinger. Nur wenigen Jugendfilmen gelingt diese Gratwanderung.

Rezension

SIEGER SEIN ist definitiv einer davon – und das gleich in zweifacher Hinsicht. Nicht nur, dass es hier offensichtlich um Migration und Flucht aus Syrien und das Ankommen in einem fremden Land geht, sondern auch um Mädchen im Fußball. Noch immer werden Frauen im Fußball belächelt – dabei ist die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft mit die erfolgreichste Frauenmannschaft weltweit: zweimal Weltmeister, achtmal Europameister und 2016 die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Der Beweis dafür, dass Frauen im Fußball sehr wohl etwas auf dem Kasten haben.

Und was hat das jetzt mit SIEGER SEIN zu tun? Im übertragenen Sinne sehr viel: Es geht um Akzeptant, Toleranz, Fairness, Wachstum und generell den Glauben an sich selbst. Denn die Mädchen in SIEGER SEIN sind eine Schulmannschaft aus Wedding. Jeder, der Berlin kennt weiß, dass Wedding im Vergleich zu Charlottenburg oder Schöneberg keinen guten Ruf besitzt. Warum? Das wird im Film unverblümt deutlich.

die Protagonistin steht vor einem provisorisch mit Steinen abgegrenzten, staubigen Fußballplatz und hält einen schwarzgelben Fußball in den Armen

Sieger sein © 2024 Stephan Burchardt | DCM

Regisseurin Soleen Yusef erzählt in ihrem zweiten Kinofilm SIEGER SEIN die Geschichte der elfjährigen Mona (Dileyla Agirman), die zusammen mit ihrer kurdischen Familie aus Syrien nach Deutschland flüchten musste. Gestrandet ist die Familie in Berlin-Wedding. Ein Bezirk mit einem Ruf. Keinem Guten. Die Schule, an die Mona geht, ist eine Brennpunktschule mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationsgeschichte. Chaos steht ganz oben auf der Agenda. Die Lehrkräfte (u.a. gespielt von Peri Baumeister) sind überfordert. Die Schüler:innen genervt und eigentlich hat keiner mehr Lust irgendwas zu machen. Mona kann kaum Deutsch. Was sie aber kann: Fußball spielen. In ihrer Heimat hat sie es geliebt, mit ihren Freund:innen auf der Straße zu spielen. Sie war sogar besser als ihre Brüder. Sie vermisst ihr Zuhause in Syrien. Vor allem aber vermisst sie ihre Tante Helin (Hêvîn Tekin). In Deutschland hat Mona noch gar keinen Anschluss gefunden. Mit Hilfe ihres engagierten Klassenlehrers Herr Che (Andreas Döhler) schafft sie es dann aber in die Mädchenfußballmannschaft der Schule. Zunächst mehr Fluch als Segen, denn innerhalb der Mannschaft stößt sie auf wenig Akzeptanz und wird zur Außenseiterin. Zudem ist Teamwork für die Gruppe zudem ein Fremdwort, dabei steht doch bald ein wichtiges Berliner Fußball-Turnier an…

SIEGER SEIN ist eine Geschichte von Loslassen und Ankommen, von Toleranz und Wertschätzung. Verpackt in eine berührende Geschichte für junges Publikum wird ganz unverblümt und direkt von den Sorgen und Nöten eines Flüchtlingskind in Berlin-Wedding erzählt, dass ihre Heimat Syrien verlassen musste, ihr altes Leben loslassen und in einem fremden Land, mit fremder Sprache und Alltagsrassismus an der Tagesordnung zu kämpfen hat. Dabei will der Film nichts beschönigen, spitzt aber auch nichts zu. SIEGER SEIN ist ganz und gar ein Kinderfilm mit Moral – der mehr oder weniger offensichtlich damit umgeht. Besonders zum Ausdruck kommt diese “Moral” beim Fußball und dem Berliner Fußballturnier zur Geltung. Fußball ist nichts für Mädchen. Diese Meinung vertreten zumindest die Jungs in der Schule. Es entsteht eine Dynamik zwischen beiden Teams, die erfrischend komisch und schön zugleich ist. Denn die Kinder lernen zum ersten Mal zusammen zu funktionieren. Doch der Schein trügt und die Freude hält nicht lang…

Gewinner und Verlierer

eine Mädchen-Clique steht erwartungsvoll auf einem von hohen, graffitibeschmierten Mauern umringten Hof

Sieger sein © 2024 Stephan Burchardt | DCM

Die Grundschulen verschiedener Berliner Bezirken treten beim Fußballturnier gegeneinander an. Wedding gegen Schöneberg. Jede:r Berliner:in weiß, welchen Ruf die Bezirke haben: “Chic” gegen “Problemkind”. Die Mannschaften aus Schöneberg oder Charlottenburg standen nach Aussagen von Herrn Che immer auf der Gewinnerseite des Lebens. Verlieren kennen die Mädchen dort nicht. Das Selbstbewusstsein sprüht aus ihnen heraus. Dem gegenüber stehen Mona und die Mädchen aus Wedding – in zusammengeflickten Trikots und einem demolierten Selbstwert sowie einem angeknacksten Teamgeist, belächelt von den augenscheinlichen Gewinnern. Keiner glaubt wirklich an den Sieg von Wedding.

Der Film baut zwar genau diese realitätsnahen Klischees auf, reißt sie aber auch im nächsten Moment wieder ein. Deutlich zu spüren als Schöneberg sich ordentlich daneben benommen hat und nun mit Konsequenzen rechnen muss. Hier wird deutlich: Nicht alles ist Gold, was glänzt. Auch Schöneberg gerät mal außer Kontrolle und zeigt seine schlechte Seite..

Der besondere Kinderfilm

SIEGER SEIN ist auch im Wesentlichen die Geschichte der Regisseurin Soleen Yusef. Im Irak geboren, flüchtete sie als Kind mit ihrer Familie in den 90er-Jahren nach Berlin. Sie ging in Wedding zur Schule und hatte ebenfalls einen Lehrer wie Herrn Che. Auch Yusef hatte Startschwierigkeiten und nun… Seit ihrem Debütfilm HAUS OHNE DACH (2016), mit dem sie unter anderem den First Steps Award gewann, ist sie für internationale Produktionen von Netflix, Amazon Prime und Disney+ tätig.

im Inneren einer Sporthalle, ein Team aus jugendlichen Mädchen, gekleidet in Sportsachen und hellblaue Leibchen steht im Kreis und reißt die Arme nach oben

Sieger sein © 2024 Stephan Burchardt | DCM

Ein weitere Besonderheit des Film ist die Erzählweise und Perspektive von Mona sowie die direkte Ansprache ans Publikum mit dem Blick in die Kamera und somit das Durchbrechen der 4. Wand. Mona als Erzählerin spricht perfektes Deutsch, um es den Zuschauenden so verständlich wie möglich zu machen, was alles schief läuft und wie es sich anfühlt, ein ‘Flüchtlingskind’ zu sein. Dem gegenüber steht das holprige Deutsch, wenn sie mit ihren Mitschüler:innen interagiert. Was zunächst als Stilbruch erscheint, entwickelt sich im Laufe der Handlung zu einem der wichtigsten Merkmal des Films. Mona nimmt das Publikum an die Hand und versucht unverpackt und mit aller Klarsicht zu zeigen, was es heißt, in einem fremden Land anzukommen, bei sich anzukommen und eine neue Heimat zu finden, obwohl der Weg nicht gerade rosig erscheint.

Fazit

SIEGER SEIN ist ein erfrischender, bewegender und berührender Film, der nicht nur das jüngere Publikum anspricht, sondern auch mit dem ein oder anderen Vorurteil von Erwachsenen gegenüber Flucht und Migration versucht aufzuräumen. Kamera, Sounddesign, Schnitt und Dialog harmonieren und sind die Kirschen auf dem Sahnehäubchen. SIEGER SEIN gewinnt auf ganzer Linie.

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Originaltitel Sieger Sein
Kinostart 11.4.2024
Länge: 119 minuten
Produktionsland Germany
Genre: Drama
Regie Soleen Yusef
Producer Marc Schmidheiny | Sonja Schmitt | Christoph Daniel
Kamera Stephan Burchardt
Cast Dileyla Agirman, Andreas Döhler, Sherine Ciara Merai, Fatima Hamieh, Samira Hamieh, Tamira Bwibo, Heidi Tebroke, Yumin Hannah Cho, Carlotta Su Ipsen, Artemis Kostopoulou, Anisa Perk, Manasse Kiefer, Matteo Mermer, Halima Ilter, Dominic John Brandl

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