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Einmal im Luxus schweben. Als Margot von Tyler eingeladen wird an einem exklusiven und opulenten Dinner teilzunehmen, welches in einer Showküche auf einer abgelegenen Insel zubereitet wird, macht das junge Paar das Erlebnis ihres Lebens. In jedem der fünf Gänge gibt es ganz besondere Köstlichkeiten, die von einem der renommiertesten Küchenchefs der Welt zubereitet werden. Doch vor allem Margot fühlt sich unwohl und passt nicht in die elitäre Gesellschaft, die um sie rum platz genommen hat. Nichtmagenfüllende Delikatessen passen nicht in ihr bodenständiges Weltbild und so bildet sich schnell ein Konflikt zwischen dem perfektionistischen und enigmatischen Koch Slowik und ihr. Es dauert nicht lange bis das Paar feststellen muss, dass dieses Essen selbst für bourgeoise Verhältnisse nicht normal ist, doch Tyler, der ein großer Fan von Slowik ist, lässt sich nicht beirren, während Margot verzweifelt versucht vor dem Dessert die Flucht zu ergreifen.
Rezension
Der französische Literat Franҫois de La Rochefoucauld stellte im 17. Jahrhundert bereits fest: „Essen ist ein Bedürfnis, Genießen ist eine Kunst.“ Diese versuchen vor allem US-amerikanische Filmemacher immer wieder aufs Neue einzufangen und ihrer Faszination für Delikatessen Ausdruck zu verleihen. Von KISS THE COOK und IM RAUSCH DER STERNE über MADAME MALLORY UND DER DUFT VON CURRY bis hin zur Animationshommage RATATOUILLE bekommen wir immer wieder Filme präsentiert, die uns das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Es gibt sogar eine ganze Anime- und Mangaserie die sich unter dem Titel FOOD WARS! SHOKUGEKI NO SOMA dem Gourmetthema widmet und Wettkämpfe um die beste Zubereitung zentralisiert. Diese wichtige Stellung von Nahrung kommt nicht von ungefähr, denn schon Ludwig Feuerbach sagte: „Der Mensch ist, was er isst.“, und hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen.
Mit THE MENU beschreibt Jungregisseur Mark Mylod, der sich zuvor vor allem auf Serien spezialisierte und unteranderem an einigen Folgen von GAME OF THRONES beteiligt war, nun eine etwas andere Herangehensweise und zelebriert nicht nur die Köstlichkeiten, sondern die Küche und Zubereitung im Allgemeinen auf eine äußerst perfektionistische Art, die wir zuletzt in einem ähnlichen Stil in THE OUTFIT erleben durften. Er entführt uns in die Welt der „Reichen und Schönen“ und lässt uns Platz nehmen in einem luxuriösen und einzigartigen Showrestaurant. Doch was wir bekommen, ist bei weitem kein Amuse-Bouche, sondern viel mehr das, was TRIANGLE OF SADNESS gern gewesen wäre: ein klassenkritischer satirischer Film, der auf subtilste Art und Weise mit der Bourgeoisie abrechnet und zeitgleich die Absurdität, der fast schon autistisch veranlagten Genialität von Spitzenköchen Ausdruck verleiht.
Delikat, doch nicht leicht verdaulich
Es ist ein Film, der den Spagat zwischen Luxusurlaub und Horrortrip mckayesk – denn tatsächlich ist es spürbar, dass Adam McKay, wenn auch nur als Produzent, seine Finger im Spiel hatte – meistert und der den Begriffen Perfektion und Berufsethos zumindest versucht ganz neu zu begegnen. Aufgesplittet in fünf Akte, die sich nach dem jeweiligen Essensgang richten schauen wir dem Meisterkoch Slowik, verkörpert von Ralph Fiennes, bei der Zubereitung seiner Spezialitäten zu und bekommen somit eine Art Erlebnisgastronomie serviert. So fantastisch manche Gerichte auch aussehen mögen, ist es jedoch schade, dass die Bilder vom MULHOLLAND DRIVE Kameramann Peter Deming es nicht schaffen die Exklusivität auszustrahlen. Selbst ein simples Omelett wurde in MADAME MALLORY UND DER DUFT VON CURRY in atemberaubenderen Einstellungen, die regelrecht den Zahn der Zuschauenden haben tropfen lassen, festgehalten. Angesichts des inhaltlichen Fokus ist dies tatsächlich ein tragischer Kritikpunkt am gesamten Werk.
Statt uns jedoch nur mit einem simplen Menü abzuspeisen, serviert uns Mylod einen sanften Genrewechsel, der sich den zunehmend anspruchsvoller werdenden Gängen anpasst und sich ähnlich drastisch entwickelt wie einst THE BEACH. Dabei ist allerdings schon früh spürbar, dass etwas im Argen lauert, gerade weil Fiennes die perfekte Inkarnation eines sadistischen aber zugleich auch akribischen Antagonisten darstellt. Wobei dieser Begriff mit Vorsicht genossen werden sollte, da sich im Verlauf des Werks die Grenzen zunehmend verwischen und eben jene Rolle deutlich in Frage gestellt werden kann. Mystisch angehaucht wird das Publikum lange Zeit in eine Scheinsicherheit gewogen, die nicht immer reibungslos funktioniert, aber für den atmosphärischen Aufbau ungemein wichtig ist und in der Gesamtbetrachtung eine hervorragende Dramaturgie bietet.
Im Alleingang gegen die Obrigkeit
Besonders bemerkenswert ist die immer weiterwachsende Kritik an elitären Symbolfiguren, die alle auf ihre Weise eine gewisse gesellschaftliche Klasse oder Gruppierung von Charakteren umfassen. Insbesondere auf Anya Taylor-Joy lastet dabei eine große Aufgabe, weil sie neben den vielen Bediensteten, die bis auf wenige Ausnahmen NPC artig durch die Handlung spazieren, als Vertretung der proletarischen und widerspenstigen Bevölkerung auftritt und sich im Alleingang durch die affektierte Zusammenrottung des Möchtegern Adels windet. Spätestens die erste Leiche zeigt hervorragend, wie weltfremd die bourgeoisen Figuren sich geben und mit welcher Gleichgültigkeit Realität betrachtet wird. Während SEE HOW THEY RUN und AMSTERDAM vorgeben Ensemblefilme zu sein, zeigt THE MENU tatsächlich, wie eine nahezu gleichberechtigte Ausleuchtung eines wunderbaren Casts funktioniert. So bekommt jede Rolle ausreichend Screentime, um sich angemessen zu entwickeln. Als unbeteiligte Dritte wandert das Publikum wie ein Kellner von Tisch zu Tisch und wohnt bruchstückhaft den Tischgesprächen bei.
Fazit
Somit ist THE MENU ein feinsinniges, ansehnliches, schmackhaftes und mitreißendes Drama, welches durch zunehmende Eskalation im Sinne von MIDSOMMAR ein ruhiges, aber trotzdem facettenreiches Spiel zeigt und sich weiter in Richtung eines drastischen Thrillers entwickelt. Tatsächlich finden auch immer wieder schwarzhumorige und perfekt pointierte Sequenzen ihren Weg in den Film, wodurch die anfangs lockere und ausgelassene, später beklemmende und angsterfüllte Atmosphäre gezielt untermalt wird. Wir lernen Kammerspielartig nur ein sehr kleines Set kennen, doch das reicht vollkommen aus, um deftige Botschaften zu platzieren und einen unverwechselbaren Film zu entwickeln, der das Potential hat sich ins Gedächtnis des Publikums zu brennen.
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