Rezension
gesehen im Rahmen der 59. Internationalen Hofer Filmtage
Fünf Jahre nach seinem Porträt des dienstältesten fahrenden Filmvorführers Deutschlands folgt Matthias Ditscherlein in seinem aktuellen Dokumentarfilm dem Alltags- und Bühnenleben einer bayerischen Musikerfamilie. Vom Münchner Süden zieht es Franz Himpsl, Gründer der Unterbiberger Hofmusik, seine Frau und Söhne bis nach Marrakesch und auf den Nil, aus den bayerischen Woid in die weite Welt. ÜBER UNTERBIBERGER betont, – gerade als diesjähriger Eröffnungsfilm – ganz bestimmte Facetten der Hofer Filmtage: positive wie negative, eigenwillige Charaktere und bequeme (Heimat-)Gefühle, Offenheit und reichlich Regionalstolz.
Franz & co
Lässt der Titel noch offen, worauf genau der Fokus Ditscherleins anderthalbstündiger Doku liegt, ist bereits nach wenigen Minuten klar, wessen Geschichte hier im Vordergrund steht. Die des kreativen Kopfes, des ehemaligen Lehrers und Sportlers Franz Himpsl, der kein Blatt vor den Mund nimmt, seiner dörflichen Heimat tief verbunden ist, der die Trompete spielt, immer etwas Neues kreiert und hocharabisch zumindest ausprobiert. Statt reiner bayerischer Volksmusik steht er mit seiner Überbiberger Hofmusik für eine traditionelle Musik mit Jazzklängen, – etwa im Zusammenspiel mit Genregrößen wie dem brasilianischen Jazztrompeter Claudio Roditi – oder mit Einflüssen aus anderen Ländern wie der Türkei.
„Man darfs bissl wichtiger nehmen“, sagt Himpsl zu Beginn sinngemäß über sein Schaffen – und hat sich offenbar auch Ditscherlein selbst zum Motto genommen, wenn es um seinen oft mit unkritischer Nähe porträtierten Protagonisten geht. Während andere Familienmitglieder die größte Aufmerksamkeit im Abspann erfahren, dreht sich der Dokumentarfilm vor allem um die Sicht des bayerischen Lebemanns. Seine Geschichte wird in Archiv- und Alltagsaufnahmen konventionell aufbereitet, voice-over-lastig ausgestaltet und steht mit einem Fuß entweder im Heimatkitsch oder in der Selbstdarstellung. „Aber ned sooo wichtig“, antwortete seine Frau auf obengenannten Satz und behält damit Recht. In beiderlei Hinsicht.
![Fünf Personen stehen im Schnee vor einem mehrstöckigen Haus mit grünen Fensterläden. Sie tragen unterschiedliche Kleidung, darunter ein rotes Kleid mit schwarzen Stiefeln, ein blaues Hemd und traditionelle indische Kleidung. Die Personen halten verschiedene Blasinstrumente, darunter eine Trompete, ein Horn, eine Posaune und ein Akkordeon. Im Vordergrund liegt ein großes Blechblasinstrument im Schnee. Im Hintergrund sind schneebedeckte Bäume zu sehen. [erstellt mit KI]](https://riecks-filmkritiken.de/wp-content/uploads/2025/10/Ueber-Unterbiberger-Still-7-1400x788.webp)
Über Unterbiberger ©2025, Hofer Filmtage
Hof- und Weltmusik
Aber nicht nur der Rest der Familie, auch die Unterbiberger Hofmusik als solche bietet mehr Möglichkeiten zur Auseinandersetzung. Plädiert wird für einen kulturellen Austausch auf Augenhöhe und mit Respekt, gesprochen aber kaum mit nicht-weißen Künstler*innen; angestrebt eine tiefe Auseinandersetzung mit der Kunst, weil sie anders zu „McDonalds-Ware“ verkomme, und trotzdem spricht man verallgemeinernd von „arabischer Musik“, trotzdem ist sie im Film so gut wie unsichtbar.
Jenen füllen neben der zentralen Persona vor allem touristische Reiseendrücke, unbeschwerte Musizierszenen, banale Blicke hinter die Kulissen, Stammtischrunden in der Heimat. Dazu kommen funktionale Interviewsequenzen, ein Potpourri aus Erinnerungen, informelle Gespräche bei einem Glas Bier – all das ohne eine Perspektive von außen. Sprunghaft wechselt Ditscherlein zwischen bayerischem Dorf und nordafrikanischer Millionenmetropole, wobei letztere eher exotische Kulisse bleiben.
![Eine Gruppe von sieben Personen steht auf einer Bühne vor einem großen Publikum bei Nacht. Die Personen halten verschiedene Blechblasinstrumente, darunter Trompeten, Posaunen und eine Tuba. Die Bühne ist mit Lautsprechern und Mikrofonständern ausgestattet. Im Hintergrund sind viele Zuschauer zu sehen, die auf Stühlen sitzen oder stehen. Die Personen tragen legere Kleidung in verschiedenen Farben, darunter Hemden und T-Shirts. [erstellt mit KI]](https://riecks-filmkritiken.de/wp-content/uploads/2025/10/Ueber-Unterbiberger-Still-13-1400x788.webp)
Über Unterbiberger ©2025, Hofer Filmtage
Ähnlichen Eindruck erwecken auch heimische Bühnenauftritte. Das Fremde wird exotisiert, die Musik, die Kultur des „Anderen“ fungiert als Stimmungsaufheller, als Bühnenattraktion auf dem ländlichen Volksfest. Als Dokumentarfilm über den Austausch von Kunst, das Aufbrechen tradierter Volksmusikformen, über die Offenheit für neue Töne reflektiert der Film ebendies oder etwa das Machtgefälle, das durch die Rolle der Familie als weiße Europäer entsteht, kaum. Wohler fühlt sich die Doku da dann doch in der Kneipe oder in einem Festzelt bei einem Bier. Dort, wo es beim Beklatschen oberflächlicher Reize bleibt, man sich aber letztlich vor allem eine rhetorische Frage stellt: „Wo ist es (schon) besser als im bayerischen Wald?“.
Fazit
ÜBER UNTERBIBERGER zeigt ein sprunghaft wie bequem erzähltes Familien- oder besser Einzelporträt, dessen Protagonist alle anderen, und auch die Auseinandersetzung mit der Musik und deren Einflüssen aufdringlich in den Schatten stellt. Egal ob am Stammtisch, auf der Bühne oder bei der Fahrt über den Nil: mehr Heimatfilm, mehr persönlicher Bericht als gründliche Dokumentation.
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| Originaltitel | Über Unterbiberger |
| Kinostart | 21.10.2025 |
| Länge: | 92 minuten |
| Produktionsland | Germany |
| Genre: | Dokumentarfilm |
| Regie | Matthias Ditscherlein |
| Cast |
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![Ein Mann steht im Vordergrund mit erhobenen Händen und dirigiert. Er trägt ein weißes Hemd, eine rote Weste und eine braune Hose. Im Hintergrund stehen mehrere Personen, die auf ihn schauen. Einige sitzen auf Stühlen, andere stehen. Die Wand im Hintergrund ist blau. [erstellt mit KI]](https://riecks-filmkritiken.de/wp-content/uploads/2025/10/Ueber-Unterbiberger-Still-12.webp)

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