“Hear no evil, see no evil, speak no evil.” Hinter den drei lustigen Affen aus der Emoji-Schaltfläche unseres Smartphones steckt tatsächlich ein jahrhundertealter japanischer Leitsatz. Da wir in der westlichen Welt die eigentliche Botschaft („Weise über Schlechtes hinwegsehen“) falsch interpretiert haben, steht sie hierzulande sinnbildlich für fehlende Zivilcourage und dafür, sich vor dem Leid der Welt zu verschließen. Aber inwiefern machen wir uns überhaupt mitschuldig, wenn wir unsere Augen von Unrecht abwenden? Macht uns das Wegsehen ebenfalls zu Tätern? Und inwieweit sollte sich die Strafe zwischen der ausführenden Person und der Mitwisser*in unterscheiden? Drei im Kern zutiefst philosophische Fragen, die sich jedoch ganz rational und sachlich beantworten lassen. Die Gesetzeslage ist eindeutig: Wer bei einer Straftat wegschaut, macht sich ebenfalls strafbar. Unter §323c des Strafgesetzbuchs wird dies als unterlassene Hilfeleistung klar und deutlich definiert – selbst das Strafmaß ist dort festgelegt. Die Geschichte hingegen zeigt uns, dass es gerade im Fall des Nichtstuns und des Nichtsagens schwer ist, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. So blicken wir auf Jahrzehnte des Kindesmissbrauchs in kirchlichen Institutionen zurück, in welchen niemand etwas gesehen haben will und Täter unentdeckt blieben.
Für sein Langfilm-Regiedebüt COMING HOME IN THE DARK nimmt sich der unter anderem für seine Schauspielrolle im neuseeländischen Fun-Splatter BLACK SHEEP bekannte James Ashcroft dieser Schuldfrage an und verarbeitet sie vor dem Hintergrund wahrer Fälle aus Neuseeland, da dort der psychische, physische und sexuelle Missbrauch in staatlichen und kirchlichen Kinderheimen weit verbreitet ist. Doch statt das Thema tiefgehend aufzuarbeiten, suhlt er sich lieber in gängigen Genrekonventionen. So verfolgt das auf der gleichnamigen Kurzgeschichte des Schriftstellers Owen Marshall basierende Drehbuch grundsätzlich einen interessanten Ansatz, welcher sich bei näherer Betrachtung jedoch schnell als reine Zwecksetzung entlarvt. Was bleibt ist ein erbarmungsloser Terrorfilm und gleichzeitig auch das Gefühl, dass mit etwas mehr Fingerspitzengefühl seitens der Autoren – das Buch stammt von James Ashcroft und seinem Co-Autor Eli Kent (MILLIE LIES LOW) – deutlich mehr möglich gewesen wäre.
Darum geht es…
Eigentlich wollte Alan Hoaganraad (Erik Thomson) nur einen schönen Familienausflug genießen. Gemeinsam mit seiner Frau Jill (Miriama McDowell) und seinen beiden Söhnen Maika (Billy Paratene) und Jordan (Frankie Paratene) reist er durch die idyllischen, naturbelassenen Weiten seines Heimatlands Neuseeland, um sich von seinem Job als Lehrer etwas zu erholen. Doch die gelöste Stimmung nimmt ein jähes Ende, als die kleine Familie bei ihrem Picknick irgendwo im Nirgendwo ungebetenen Besuch von zwei Herumtreibern bekommt. Dass mit Mandrake (Daniel Gillies) und Tubs (Matthias Luafutu) nicht zu spaßen ist, scheint von Anfang an klar. Als dann jedoch ein kleines Detail aus Alans Vergangenheit ans Licht kommt, wird aus einem zufälligen Raub ein ganz persönlich motivierter Höllentrip, der kein gutes Ende nehmen kann…
Rezension
Lautstark diskutierende Geschwister auf dem Rücksitz, das gemeinsame Singen von Fahrtenliedern, um sich die lange Zeit im Auto etwas erträglicher zu machen, Klopf-Klopf-Witze und das obligatorische Familienfoto per Selbstauslöser – COMING HOME IN THE DARK beginnt als klassischer Familienurlaub und wirft das Publikum in ein heiteres Szenario, wie wir es vermutlich alle aus unserer Kindheit kennen dürften. Mit eindrucksvollen, von Sonnenstrahlen durchfluteten Bildern der malerischen Landschaften Neuseelands wird von der ersten Minute an eine ansteckende Stimmung geschaffen. Doch die Idylle soll nicht von Dauer sein. Mit dem Auftreten der beiden Antagonisten und dem darauffolgenden Einbruch der Nacht verliert der Thriller nicht nur seinen vorherrschenden ausgelassenen Ton, sondern auch vieles von seinem Schauwert. Dieser Bruch ist natürlich dem Genre geschuldet und dennoch bleibt das Gefühl, sich an den Landschaftsaufnahmen noch nicht satt genug gesehen zu haben. Daran ändern auch die technisch einwandfreien und gut ausgeleuchteten Nachtaufnahmen nichts, mit denen man sich für die restliche Laufzeit arrangieren muss. Ein unverkennbarer Look weicht unspektakulärer Dunkelheit – bedauerlich.
Der tonale Umschwung wird mit einem Schlag in die Magengrube eingeleitet, von dem man sich nicht so schnell wieder erholt. Ein früher Dämpfer für das empfindliche Gemüt, aber auch ein wichtiger und nachhaltig verstörender, der so im späteren Verlauf leider nie wieder reproduziert werden kann. Zwar geizt COMING HOME IN THE DARK auch dann nicht mit unvorhersehbaren Gewaltausbrüchen und kompromissloser Härte – die wohldosiert und nie Selbstzweckhaft eingestreut wird – diese verpuffen aufgrund diverser Probleme, die sich mit fortlaufender Spielzeit auftun, aber eher wirkungslos. James Ashcrofts Rachethriller ist dabei stets brutal, labt sich aber nie daran oder kostet es in Form von Gore und Splatter aus. In Anbetracht dessen, wie sich die Gewalt in wenigen Momenten entlädt – es werden Schädel zertrümmert und Köpfe durchsiebt – wirkt der Film in seinen Bildern fast schon sparsam mit dem Einsatz von Blut. Ashcroft geht es nicht um die körperlichen, sondern die psychologischen und seelischen Folgen, was auch als Motiv für seine Antagonisten herhalten muss, aber nur bedingt funktioniert.
Gewalt als Ventil
Das Problem beginnt schon beim Stichwort Zufall. Was als normaler Raub, samt Psychospielchen beginnt, eskaliert in Sekundenschnelle zur knallharten Tour de Force. Durch den Schock der explosionsartigen Gewalt bleibt den Zuschauer*innen wenig Zeit sich über die konstruiert wirkende Ausgangslage, die als Trigger für die noch kommende Perfidität des Killer-Duos dienen, nachzudenken. Legt sich diese Ohnmacht einmal, wirkt der Zufall in der Retrospektive doch arg an den Haaren herbeigezogen. Erschwerend kommt hinzu, dass COMING HOME IN THE DARK erst einmal ordentlich auf die Bremse drückt und sehr lange Zeit Probleme damit hat die Spannungskurve wieder einzupendeln. Der komplette Mittelteil hängt stark durch und zieht sich ungemein. Hier wird dem Publikum ausreichend Zeit gegeben den Zufall sowie das sich dadurch auftuende Motiv (Ist Alan Hoaganraad doch nicht der liebenswerte Familienvater?) zu überdenken. Denn trotz des Versuchs eine Erklärung für die Taten von Mandrake und Tubs zu liefern und Alans düstere Vergangenheit zu beleuchten, wirkt ihr Antrieb wenig plausibel und nachvollziehbar, vor allem, wenn dabei Dritte zu Schaden kommen – ohne mit der Wimper zu zucken und mit diabolischer Gelassenheit.
Eine Rechtfertigung für die Taten von Mandrake und Tubs liefert uns James Ashcroft nicht, noch stehen sie auch nur annähernd im Verhältnissen zu den im Raum stehenden Vorwürfen gegenüber Alan Hoaganraad. Nur lässt einen das Gefühl nicht los, als versuche der Auto uns weiszumachen, er setze sich ambivalent mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dafür ist die Gewalt zu nihilistisch und die Charaktere viel zu eindimensional geschrieben. Auch das Rachemotiv kollidiert mit der billigenden Inkaufnahme von „Kollateralschäden“. Nun ist das natürlich kein Totschlagargument für einen Film eines Genres, in dem es vornehmlich um Nervenkitzel und Unterhaltungswert geht. In der Ersthaftigkeit wie COMING HOME IN THE DARK sich dem Thema annähert, hinterlässt es umgangssprachlich dennoch ein gewisses Gschmäckle.
Der Schock sitzt tief und kaschiert die Schwächen
Betrachtet man COMING HOME IN THE DARK als reinen Genrefilm und dabei komplett losgelöst von tieferen Eben – Filme wie der australische WOLF CREEK oder der Terror-Klassiker HITCHER, DER HIGHWAY KILLER kommen schließlich auch ohne doppelten Boden aus – fehlt es dem neuseeländischen Thriller auch hier an gewissen Stellen. Während der Auftakt samt dem erschütternden WTF-Moment wirklich fantastisch funktioniert, braucht es im Anschluss eine ganze Weile, ehe der Film wieder in Fahrt kommt und selbst dann wirkt er in seinen repetitiven Szenenabfolgen eher ermüdend als wirklich bedrohlich oder gar fesselnd. Der Plot bleibt wenig überraschend und wandert auf bekannten Genrepfaden inklusive gängiger Klischees und unlogischem Verhalten der Figuren. Zudem scheint mit den Offenbarungen über die Vergangenheit Alans nicht nur die Bindung zwischen den Eheleuten, sondern auch die zum Publikum zu bröckeln. Ohne klaren Sympathieträger fällt das Mitfiebern schwer und so nähert sich der Psycho-Roadtrip eher unspektakulär der Ziellinie.
Eine gewisse Atmosphäre lässt sich dem Psychothriller jedoch nicht absprechen. Die düstere und deprimierende Grundstimmung lässt sich trotz der offensichtlichen Schwächen über die gesamte Laufzeit aufrechterhalten – der erste Schockmoment steckt noch immer tief in den Knochen. Selbst über den Abspann hinaus arbeitet COMING HOME IN THE DARK mit seiner ansteckenden Niedergeschlagenheit weiter und strapaziert auch noch Stunden später die aufgewühlten Nerven. Das steht natürlich im kompletten Kontrast zu den genannten Schwächen und den Längen, mit denen man als Zuschauer*in immer wieder zu kämpfen hat. Letztlich siegt aber auch hier das Herz über den Verstand. Lieber ein Film mit Makeln, der dafür einen nachhaltigen Effekt erzielt und im Gedächtnis bleibt, als ein glatter, oberflächlicher, der nach dem Prinzip „Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn“ sofort wieder verfliegt.
Fazit
COMING HOME IN THE DARK macht keine Gefangen. Mit seinen kompromisslosen, explosionsartigen Gewaltausbrüchen verfehlt der Terrorfilm auf keinen Fall seine Wirkung und schickt das Publikum bereits in der ersten Runde mit einem gezielten Schlag in die Magengrube taumelnd in die Seile. Während der Ringrichter die schwer getroffenen Zuschauer*innen anzählt, bleibt wenig Zeit darüber nachzudenken, was in den folgenden Minuten eigentlich schiefläuft. Aber lässt die Wirkung des Treffers erst einmal nach, kommt die Ernüchterung. So effektiv die starken Einzelmomente und die einnehmende Stimmung des Thrillers auch sein mögen, leidet er doch immer wieder an seinem wenig subtilen Drehbuch und den eindimensionalen Charakteren, was immer wieder zu spürbaren Längen führt. Nichtsdestotrotz ist COMING HOME IN THE DARK ein intensives Erlebnis, das im Gedächtnis bleibt.
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Originaltitel | Coming Home in the Dark |
DVD/Blu-ray – Release | 14.04.2022 |
Länge | ca. 93 Minuten |
Produktionsland | Neuseeland |
Genre | Horror | Thriller |
Verleih | capelight pictures |
FSK |
Regie | James Ashcroft |
Drehbuch | James Ashcroft | Eli Kent | Owen Marshall (Vorlage) |
Produzierende | James Ashcroft | Desray Armstrong | Catherine Fitzgerald | Mike Minogue |
Musik | John Gibson |
Kamera | Matt Henley |
Schnitt | Annie Collins |
Besetzung | Rolle |
Daniel Gillies | Mandrake |
Erik Thomson | Hoaggie |
Miriam McDowell | Jill |
Matthias Luafutu | Tubs |
Billy Paratene | Maika |
Frankie Paratene | Jordan |
Desray Armstrong | Traffic Patrol Officer |
Alan Palmer | Paul |
Ike Hamon | Male Tourist |
Sam Carter | 10 Jahre alter Junge |
Bailey Cowan | Kynan |
Timon Zeiss | Josh |
Tioti O’Donnell | Caleb |
Kaira O’Donnell | Jess |
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