Filmkritik
FSK 12

FSK 12 ©FSK

Originaltitel: Dear Future Children
Kinostart: 14.10.2021
Länge: ca. 93 Minuten
Produktionsland: Deutschland | Österreich | Vereinigtes Königreich
Regie: Franz Böhm
Genre: Dokumentation
Verleih: Camino Filmverleih

Dear Future Children

Dear Future Children ©2021 Camino Filmverleih

Sie stehen in vorderster Reihe, tausende Demonstrierende hinter sich, ihre Erscheinungsbild in Rauch und Rufe gehüllt. Drei Stimmen aus drei Ländern schallen über drei Kontinente hinweg bis in die deutschen Kinos. In ihrer Dokumentation über jungen Aktivismus porträtieren Regisseur Franz Böhm und seine gleichermaßen junge Filmcrew drei außergewöhnlichen Geschichten rundum den Globus, folgen ihren Protagonistinnen in deren alltäglichen Kämpfen und Widerständen und umreißen die Zukunftsvisionen und Bestrebungen einer heranwachsenden Generation.

Darum geht es…

Es geht um Gerechtigkeit, Freiheit und Klimawandel und das selten tiefschürfend, sondern vor allem emotional und wuchtig. Keine wissenschaftliche oder gesellschaftspolitische Zäsur, sondern ein gezielter Appell. Kein komplexer und exakter Bericht, sondern eher eine Dokumentation mit der Dramaturgie und Inszenierung eines Spielfilms. Diese Herangehensweise kann Zuschauer*innen zurecht abschrecken, durch ihre Simplizität und Ausstrahlungskraft aber ebensolche auch erreichen. Womöglich sogar mehr als mit einer eher umfassenderen und analytischen Dokumentation.

Die emotionale Aufgeladenheit der Dokumentation ist bereits eindrucksvoll im Trailer zu erkennen. Und DEAR FUTURE CHILDREN hinterlässt Eindruck, am besten im Kino, auf großer Leinwand und bei aufgedrehter Soundanlage. Dann rüttelt er förmlich an seinem Publikum und lässt es über seine Laufzeit und im besten Fall auch lang darüber hinaus nicht mehr los.

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Rezension

Das ambitionierte Projekt vereinte Teammitglieder aus der ganzen Welt. Mitwirkende aus 15 Nationen arbeiteten circa zwei Jahre und zuletzt unter den Einschränkungen der weltweiten Covid-19-Pandemie an dem Porträt über drei junge Aktivistinnen, die sich aus den verschiedensten Gründen auf die Straßen ihres Landes begeben. Die deutschösterreichisch und britische Koproduktion blickt dabei auf Uganda, Hong Kong und Chile, auf drei nationale Bewegungen.

Dear Future Children

Dear Future Children ©2021 Camino Filmverleih

In Chile protestiert Rayen gegen die soziale Ungerechtigkeit in ihrem Land, Pepper in Hong Kong gegen die Peking-nahe Administration unter Carrie Lam und Hilda kämpft als eine der Initiator*innen der Fridays for Future Bewegung in Uganda gegen die Umweltverschmutzung und den Klimawandel. Die jungen Frauen eint vor allem ihr tagtägliches Durchhaltevermögen, ihre Kraftakte, Freunde und Familien zurückzustellen und ihr unbändiger Wille für eine lebenswerte und bessere Zukunft einzustehen. DEAR FUTURE CHILDREN sieht größtenteils davon ab, sie blind und widerspruchslos zu idealisieren, wenngleich ihre aus dem Off erzählten Geschichte auch schnell einmal mit dramatischer Musik unterlegt werden. In kleinen Momenten gibt der Film auch Einblick in Selbstzweifel und hinterfragt die Rollen seiner Protagonistinnen, doch bevor auch dort die volle Tiefe erschöpft ist, blendet die Dokumentation zum nächsten Handlungsstrang um.

Der Film ist bemüht, seine Handlungsstränge gleichmäßig und verschlungen zu erzählen und sie durch das Überthema des „Jungen Aktivismus“ zu verbinden. Inhaltlich bleiben diese Überschneidungen und Bedingungen untereinander merklich zurück, Verknüpfungen zwischen den einzelnen bewegenden Themen wie sozialer Ungerechtigkeit und dem Klimawandel hätten die Handlungsstränge noch deutlicher zusammenschweißen können. So ist die Dreiteilung ein Mittel der Dramaturgie, welches vor allem für die Abwechslung und Kurzweiligkeit sorgt.

Dear Future Children

Dear Future Children ©2021 Camino Filmverleih

Im Auge des Sturms

In Szenen der Konfrontation arbeitet der Film unter anderem mit Handyaufnahmen, zeigt übergriffige Szenen und Gewalttaten, schonungslos aber nicht immer nüchtern oder sachlich. Besonders auffällig ist die Musik, die in Protest- oder auch Eskalationssequenzen unangenehm in den Vordergrund dringt und stellenweise das leise Gefühl erzeugen kann, die Avengers würden gleich zur Rettung nahen. Dieser Einsatz bildet wenige Ausnahmen, schmeckt in seiner Verwendung jedoch gleich mehrfach bitter. Bloße unbearbeitete Einspieler der Geschehnisse wären in dem Falle zwar Stilbrecher, aber auch ernsthafter und schockierender gewesen.

Wirksamer erscheint da die Abwechslung von hochwertigen Bildern und Smartphoneaufnahmen: die heile Welt in geordneter Optik, die Heillose oftmals verwackelt oder vernebelt. Die Aufnahmen sind kontrastreich, energiegeladen und funktionieren auf der großen Leinwand. Und auch hier gilt: die Bilder scheinen eher aus einem dystopischen Spielfilm gegriffen und nicht wie aus einer reinen Dokumentation.

Dear Future Children

Dear Future Children ©2021 Camino Filmverleih

Was erwartet uns alle?

DEAR FUTURE CHILDREN zeigt mutige Protagonistinnen und Hoffnung gebende Bewegungen macht aber auch keinen Bogen um deren Scheitern. Die Covid-19-Pandemie hat dahingehend keinerlei Einfluss auf die gezeigten Bilder und könnte vermutlich noch einmal gesondert betrachtet. In Hong Kong reichen die verschärften politischen Bedingungen, um den Protest zum Erliegen zu bringen. In Chile erleben Rayen und den Zuschauer*innen die Geschichten von Opfern der Demonstrationen, und Hilda schafft es bis in die Reihen einer internationalen Klimaversammlung, um trotz einer emotionalen Rede vor Augen geführt zu bekommen, was für ein winziges Puzzlestück sie und ihre Bewegung auf dem globalen Spielfeld darstellen.

Der Ausgang aller Handlungsstränge ist offen, eine Fortsetzung derer zu jeder Zeit möglich. Updates einzufangen gäbe es vieles, doch würden sie in dieser Herangehensweise vermutlich nichts Neues hinzufügen. Wo Fridays for Future zur globalen Bewegung wurde, ist von Chile nur sehr wenig zu hören. Wo die Namen derer im Abspann genannt werden, die in Uganda und Chile für ihre Zukunft kämpfen, müssen diejenigen Namen, die in Hong Kong für Freiheit auf die Straße gingen, ausgelassen werden, um Verhaftungen oder Verfolgungen zu verhindern. Wie nachhaltig die Dokumentation wirklich ist, lässt sich schwer beurteilen, dafür sind die Fäden zu lose, die Inszenierung zu offensiv, wenngleich diskussionsoffen.

Dear Future Children

Dear Future Children ©2021 Camino Filmverleih

Fazit

DEAR FUTURE CHILDREN zeigt drei Geschichten, drei Bewegungen und drei ausdauernde Protagonistinnen in einer aufwühlenden Dokumentation. Dabei verzichtet der Film auf komplexe Hintergründe, Einordnungen oder Subtilität und setzt stattdessen auf eine emotionale Bandbreite und eine mitreißende Inszenierung. Über das Pro und Kontra dieser Herangehensweise kann berechtigterweise diskutiert werden, als ausschnitthaftes, kraftvolles Porträt eines jungen Aktivismus ist er jedoch wirkungsvoll.