Vom Sandsturm in DUNE: PART TWO dauerte es nur wenige Wochen bis in GHOSTBUSTERS: FROZEN EMPIRE schlagartig eine Eiszeit über den Leinwänden hierzulande einbrach. Kontraste wie diese zeigt der Kinomonat März wie seine Vorgänger nicht nur zwischen Blockbustern, sondern auch in vielen kleinen Produktionen. Ein paar davon haben wir euch hier wieder zusammengestellt: Die Kinostarts im März 2024.
Studentin und Spektakel
Nach Laetitia Colombanis Episodenfilm DER ZOPF um drei Frauen und deren Schicksale rundum den Globus (zu einem Interview mit der Regisseurin geht es hier entlang: INTERVIEW) und Ethan Coens erste eigene, leider nur mäßig begeisternde Regiearbeit DRIVE-AWAY DOLLS, zwei Filme, die gleich zu Beginn des Monats erschienen sind, kehrte Mitte März Zeit auch unter anderem Martin Freeman auf die Leinwand zurück.
In Jade Halley Bartletts MILLER’S GIRL spielte er an Seite von Jenna Ortega einen Literaturprofessor, dessen Beziehung zu eben jener Studentin folgenschwere Ereignisse in Gang setzt. Überzeugen konnten weder Ortega, Freeman noch der Film, der besten Gewissens zu den Lowlights des Kinojahres 2024 gezählt werden darf:
Sexy sei ihr egal, sie wolle nur smart wirken, echot Jenna Ortegas sexistisches Stereotyp die pseudo-progressive Prätention Jade Halley Bartletts misogyner Moral-Mär. Deren krampfig cleverer Konservativismus verurteilt Sensibilität für professionelle, psychische und physische Übergriffe als Bias gegen schwer unterdrückte reiche weiße alte cis Männer. Deren Ruin ist in der unfreiwilligen Farce das in manierierten Monologen erklärte Ziel lehrerverführender Lolitas. Als solche entfaltet Ortega zwar darstellerische Präsenz. Doch der fehlt die nötige Subversion zum Untergraben der abstoßend zynische Message, eine von den toxischen Theorien eines verstaubten Literaturkanons inspirierte destruktive Dynamik sei Quelle kreativer Inspiration. Was aus dieser wird, zeigt abschreckend Bartletts Beispiel. (Lida Bach)
Um einen Film wie Millers Girl aus dem Gedächtnis zu drängen, braucht es schon Filme eines anderen Kalibers. Vielleicht einen solchen wie CREATION OF THE GODS: KINGDOM OF STORMS, einen chinesischen Fantasy-Film, der am selben Startwochenende die Kinosäle durchrüttelte. Als erster Teil einer Trilogie erzählt das zweieinhalbstündige Epos vom letzten Herrscher der Shang-Dynastie und schmückt sein historisches und politisches Setting mit allerhand magischen Elementen aus. Das Ergebnis ist einer der wuchtigsten Filme des Jahres, der durch allem voran durch sein Übermaß und nicht durch Zwischentöne oder Tiefe im Gedächtnis bleibt.
Zwischen Wach- und Traumzustand
Auf andere Art und Weise schlich sich Nicolas Cage eine Woche später tief ins Gedächtnis vieler Menschen ein. DREAM SCENARIO erzählt die Geschichte eines Mannes, der eines Tages in den Träumen etlicher Menschen auftaucht und dessen Leben sich daraufhin schlagartig verändert. Lida Bach schätzte die Fantasy-Komödie von Kristoffer Borgli wiefolgt ein:
Wie so oft ist es Nicolas Cages intensive Darstellung, die in diesem Fall aus Kristoffer Borglis parodistischer Persönlichkeitsskizze mehr macht als eine gehässige Groteske. Die zwischen Unheimlichem, Unterbewusstem und Unwirklichem changierenden Bilder verdichten sich zu einer parapsychologischer Phantasmagorie über Projektion, Popkultur und Product Placement. Das in elliptische Abstraktion driftende Unfertige der Story passt auf paradoxe Weise zum wortwörtlich traumhaften Tenor einer Inszenierung, die besser als eine filmische Kollektion absurder Episoden funktioniert denn als einheitliche Erzählung. (Lida Bach)
Deutlich entschleunigter zeigte sich der 2023 in Cannes uraufgeführte Slow-Cinema-Heistfilm DIE MISSETÄTER von Rodrigo Moreno, dem MUBI hierzulande einen kurzen Kinostart ermöglichte. Elegisch brechen in diesem Konventionen bekannter Heist-, Gefängnis- und Liebesdramen elegisch auseinander: Die Sehnsucht nach Freiheit überkommt die dreistündige Erzählung und ihre nüchtern auftretenden Figuren. Malerisch, existentialistisch und schleppend, – Kino bis kurz vor den Stillstand.
Schmutzige Briefe aus dem Märchenland
Vor knapp sieben Jahren war es endlich geschafft. Die Schüler*innen der FACK JU GÖTHE Gesamtschule hatten dank des Einsatzes ihres Ex-Knacki-Lehrers Zeki Müller (Elyas M’Barek) endlich das Abitur und das Kino-Publikum war nach drei Teilen erlöst von dem filmgewordenen Klassismus-Witz. Und wenn sie nicht gestorben sind … Nein, nichts da. Solange sich noch ein Euro aus der nunmehr zum Franchise ausgebauten Trilogie quetschen lässt, haben Chantal (Jella Haase) Co. höchstens Pause, aber nie Schluss.
Es war sicher nicht das Comeback, auf welches das geneigte Kinopublikum gewartet hat, aber eines, das wohl leider absehbar gewesen ist. Wer auf einen Fortschritt gegenüber der Fack Ju Göthe Reihe hofft, wird eines besseren belehrt:
Das heißt wieder klassistische Kloaken-Sprache zur bourgeoisen Belustigung, neben der die fadenscheinige Feminismus-Botschaft so verlogen wirkt wie die plakative Kritik an Macho-Message-Märchen, zu denen der stereotype Stoff letztlich selbst zählt. Da versprüht man den gleichen Wunsch, den Zeynep einmal äußert: Jede Sekunde davon zu vergessen. (Lida Bach)
Einige Figuren des nächsten Films hätten zu dem einen oder anderen Film dieses Rückblicks sicherlich derbere Worte gefunden als unsere Redakteur*innen. Zumindest wenn man an den Wortlaut jener Briefe denkt, die das Küstenstädtchen Littlehampton West Sussex in KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE durchqueren. Dort blüht Olivia Coleman als alte Jungfer Edith Swan in genüsslich-perfider Schauspielgröße auf und wird zum Highlight Thea Sharrocks kurzweiliger Historienkomödie. Auch unsere Autorin Sophia Foertsch konnte der Film mit Jessie Buckley, Anjana Vasan und Timothy Spall in weiteren Rollen überzeugen:
Geht es in der ersten Hälfte von KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE eher darum den oder die Verfasser:in der Schmähbriefe zu finden, entwickelt sich die Handlung zu einer ausdrucksstarken Gesellschaftskritik, bei der die drei Frauen versuchen sich aus dem Korsett der Misogynie – also dem frauenfeindlichen System – heraus zu emanzipieren. (…) KLEINE SCHMUTZIGE BRIEFE brilliert auf allen Linien: Storytelling, Schauspiel, Kostüm, Szenenbild, Kamera. Eine unterhaltsame Tragikomödie mit wunderbarer Fallhöhe und einem Hauch Feminismus sowie drei großartigen und herausragenden Frauenfiguren. (Sophia Foertsch)
Rückblicke auf ein Leben
Auf der Zielgeraden des Monats März erwartete das Kinopublikum außerdem das auf wahre Begebenheiten basierende Weltkriegsdrama ONE LIFE. Mit unter anderem Anthony Hopkins und Helena Bonham Carter war James Hawes Regiearbeit prominent besetzt. Das dies jedoch nicht mit großer Eindringlichkeit oder einem herausragenden Film gleichzusetzen sein muss, stellt der Film unter Beweis:
Es gibt Filme, die funktionieren einzig dank einer hervorragenden Darstellung. Andere funktionieren trotz einer hervorragenden Darstellung nicht. James Hawes auf Tatsachen basierendes Weltkriegsdrama zählt überdeutlich zur zweiten Kategorie. Selbst für die mit der Geschichte des Bankers Nicholas Winton (in der Rahmenhandlung Anthony Hopkins), der 1938 als junger Mann (Johnny Flynn) in der Tschechoslowakei 669 jüdische Kinder vor der Deportation durch die Nazis bewahrte, Unvertrauten ist die Handlung von der ersten bis zur letzten Szene vorhersehbar. (Lida Bach)
Ende März erschien zudem noch ein besonderer Film: In etwas über anderthalb Stunden birgt dieser weder extravagante Bilder oder eine wendungsreiche Geschichte, sondern einzig und allein einen Mann am Klavier: Ryuichi Sakamoto. In Neo Soras OPUS spielt der oscarprämierte Komponist von DER LETZTE KAISER und THE REVENANT sowie Schauspieler in Filmen wie MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE zwanzig kuratierte Musikstücke in einnehmenden Schwarzweiß-Aufnahmen. Entstanden ist eine sehens- und hörenswerte Musikdokumentation, die allein die Musik und das besänftigende Spiel seines Ausnahmekünstlers für sich sprechen lässt.
Weitere Kinostarts im März
WUNDERLAND – VOM KINDHEITSTRAUM ZUM WELTERFOLG von Sabine Howe
GONDOLA von Veit Helmer
“Ähnlich gemächlich wie die Gondeln ihrer nächsten Station entgegenfahren, inszeniert Veit Helmer in GONDOLA ein gekünsteltes, romantisches Pop-Up-Märchen mit schablonenhaften Figuren und harm-, aber nicht bedenkenloser Handlung.” (Paul Seidel)
HELKE SANDER: AUFRÄUMEN von Claudia Richarz
SULTANAS TRAUM von Isabel Herguera
DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS von Georg Maas und Judith Kaufmann
IMAGINARY von Jeff Wadlow
KUNG FU PANDA 4 von Mike Mitchell
THE PERSIAN VERSION von Maryam Keshavarz
DIE UNSCHULD von Hirokazu Kore-eda
THE KILL ROOM von Nicol Paone
RADICAL – EINE KLASSE FÜR SICH von Christophr Zalla
SLOW von Marija Kavtaradze
CLUB ZERO von Jessica Hausner
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