FilmkritikCast
Endlich Tacheles

Endlich Tacheles ©2021 Schramm Matthes Film

Originaltitel: Endlich Tacheles
Kinostart: 14.10.2021
Länge: ca. 104 Minuten
FSK: unbekannt
Produktionsland: Deutschland
Regie: Jana Matthes | Andrea Schramm
Genre: Dokumentation
Verleih: Real Fiction

Darum geht es…

Yaar lebt in Berlin und steht kurz vor seinem Gamedesign Studium. Er selbst ist leidenschaftlicher Gamer und hat bereits eine Idee, für ein eigenes Spiel, dass er durch das Studium verwirklichen möchte. Unter dem Titel „Shoa. Als Gott schlief“ will er ein Spiel schaffen, in dem er seine jüdische Familiengeschichte aufarbeiten möchte. Der junge Mann leidet unter dem Trauma, dass seine Vorfahren erlitten haben und von Generation zu Generation weitergeben, er möchte aus der Opferrolle ausbrechen. Deswegen soll man in seinem Spiel die Möglichkeit haben, die Geschehnisse aus zwei Perspektiven zu betrachten. Zum einen soll ein junges jüdisches Mädchen im Zentrum stehen, dass auf ihren Bruder aufpasst, angelehnt an Yaars Großmutter Rina, die als Kind im KZ Płaszow war. Auf der anderen Seite soll man einen Wehrmachtssoldaten spielen können, der das Herz am rechten Fleck haben soll. Als Yaar seinem Vater Ilei von der Idee erzählt ist dieser fassungslos, über das was sein Sohn mit seinen Freunden vorhat. Bei der Recherche für sein Spiel, beginnt der junge Entwickler aber seinen Vater zu verstehen.

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Rezension

Bei ENDLICH TACHELES handelt es sich um einen Dokumentarfilm, über einen jüdischen Spieleentwickler, der sich zum ersten Mal mit seiner eigenen Identität auseinandersetzt. Der Film wurde von Jana Matthes und Andrea Schramm realisiert und von Gunter Hanfgarn produziert. Während der Laufzeit von 104 Minuten entsteht ein Film, der ein zuerst fassungslos mit dem Kopf schütteln lässt, dann aber eine große emotionale Tiefe entwickelt und den Film zu einer erinnerungswürdigen Erfahrung macht.

Endlich Tacheles

Endlich Tacheles ©2021 Schramm Matthes Film

Was den Film so unangenehm macht sind Yaar, Marcel und Sarah, die drei die an dem Spiel arbeiten. Für Yaar ist es ein großes Bestreben, aus der Opferrolle herauszukommen, die er in der jüdischen Bevölkerung sieht. Für ihn und seine Freunde gibt es keine Bezugspunkte zum Dritten Reich und zum Holocaust. Es klingt häuft durch, dass die drei sich Fragen, was sie mit historischen Ereignissen von vor 80 Jahren zu tun haben und dass jetzt lang genug getrauert wurde. Dadurch wirken die drei sehr ignorant. Das Leid, dass viele Familien, seit Generationen in sich tragen, spielt für sie keine Rolle, sie verschließen die Augen davor, dass für viele Menschen Rassismus und Ausgrenzung immer noch Alltag ist. In der Mitte des Films gibt es dazu einen sehr unangenehmen Moment: Als die drei gerade über den Wehrmachtsoldaten in ihrem Spiel sprechen und dabei viel Stuss geredet wird, schreitet die Stimme hinter der Kamera ein, weil sie so viel Ignoranz nicht erträgt. Gerade für Betroffene kann die erste Hälfte der Dokumentation deswegen sehr unangenehm sein, aber es lohnt sich dranzubleiben.

Ein noch immer gegenwärtiger Schmerz

Yaar beginnt sich, für sein Spiel, mit seiner Identität auseinanderzusetzen und taucht dafür sehr tief in die Geschichte seines Vaters und dessen Mutter ein. Er hatte immer ein sehr schwieriges Verhältnis zu seinem Vater und konnte sich nicht erklären, wieso sein Vater so ist, wie er ist. Je mehr er recherchiert und mit seinem Vater und seiner Großmutter spricht, desto mehr beginnt er aber zu verstehen, woher die Spannungen kommen. Man kann Yaar dabei beobachten, wie er sich entwickelt und seinen Blick schärft, gerade das macht eine sehr große Stärke der Dokumentation aus.

Endlich Tacheles

Endlich Tacheles ©2021 Schramm Matthes Film

Ein zentraler Punkt des Films ist das große Leid, dass den jüdischen Bürgern widerfahren ist. Die meisten von uns wissen wahrscheinlich nur aus Erzählungen, der Schule, oder aus Filmen, wie schlimm es den Menschen im Dritten Reich ergangen ist. Es wird aber selten darüber gesprochen, wie sich ein so furchtbarer Schmerz durch mehrere Generationen vererbt. Mit ENDLICH TACHELES bekommt man eine neue Sichtweise auf die jüdische Bevölkerung. Besonders durch die echten Emotionen von Yaars Familie, bekommen wir einen eindrucksvollen Einblick in deren dunkle Vergangenheit.

Alles nur einstudiert?

Was Jana Matthes und Andrea Schramm sehr gut gelungen ist, ist dass wir die Protagonisten der Dokumentation nur begleiten, es aber keine*n Erzähler*in gibt. Niemand erklärt uns die Hintergründe und ordnet das Gesehene ein, stattdessen Begleiten wir Menschen in ihrem alltäglichen Tun und es ergibt sich langsam ein großes Gesamtbild. Meistens wirkt der Film dadurch sehr natürlich, es kommt aber ab und zu Szenen, die sehr gestellt wirken. Wenn Yaar beispielsweise beim Therapeuten sitzt, ist es fraglich, ob er sich genauso Verhalten würde, wenn keine Kamera vor seinem Gesicht wäre. Wenn man genau hinsieht, bemerkt man, dass Kameras bewusst platziert wurden und dann erst gesprochen wurde. Um bei der Therapiesitzung zu bleiben: Man sieht den Raum teilweise in der Totalen, im nächsten Moment haben Yaar und sein Therapeut dann aber Kameras vor dem Gesicht, die in der Totalen nicht zu sehen waren. Dadurch wirken einige Szenen inszeniert, was einen aus der Dokumentation rausreißen kann. Allgemein wirkt Yaar am Anfang der Dokumentation sehr unnatürlich, allerdings merkt man im Laufe der Zeit, dass er sich an die Kamera gewöhnt und sich so verhält, wie er wirklich ist. Das kann man ihm nicht wirklich vorwerfen.

Endlich Tacheles

Endlich Tacheles ©2021 Schramm Matthes Film

Trotzdem schaffen es die beiden Regisseurinnen, neben der Geschichte, um Yaar einige sehr schöne Bilder zu erzeugen. Hervorzuheben wäre da eine Szene, in der Yaars Großmutter von ihrer Kindheit unter den Nationalsozialisten erzählt. Das Bild ändert sich zu simplen Landschaftsaufnahmen, während die Großmutter erzählt, dabei sind die Bilder so geschickt gewählt, dass man sich voll und ganz auf die Erzählung konzentriert und sich einem der Magen zuschnürt.

Fazit

Ich muss ehrlich sagen, dass ich kurz davor war den Film abzuschalten, weil ich das Verhalten von Yaar und seinen Freunden nicht ertragen habe. Allerdings bin ich sehr froh, dass ich ENDLICH TACHELES bis zum Schluss gesehen habe. Es handelt sich bei dem Film um die Art Dokumentation, über die man noch tagelang nachdenkt. Sollte man die Chance haben ENDLICH TACHELES zu sehen, sollte man es auf jeden Fall tun. Meine absolute Empfehlung.