Rezension
Drei eingängige Kapitel formen Lisandro Alonsos 2023 in Cannes uraufgeführten Genrehybriden: Ein Western in Schwarzweiß, in dem ein verruchter Pistolenheld (Viggo Mortensen) eine karge Gegend nach seiner Tochter durchstreift; ein Blick in die Gegenwart, zu einer jungen Polizistin, die eine unruhige Nacht im Pine Ridge Reservat in South Dakota verbringt und ein Ausflug tief in den Amazonas-Regenwald. Elegisch entblättern sich jene Geschichten, die Erwartungen an konventionelle (Western-)Erzählungen mit viel Geduld unterlaufen und ein ausschnitthaftes wie faszinierendes Panorama indigenen Lebens über Jahrzehnte und Kontinente hinweg zeichnen.
Lose Anfänge und Enden summieren sich zu einem erzählerischen Dreigespann, welches Bedeutung und Gewicht seiner einzelnen, auf unterschiedlichste Art und Weise eingehenden Erzählstücke erst im Laufe der Zeit zu erkennen gibt. Jeder Übergang zu einem inhaltlich wie gestalterisch neuen Abschnitt wirkt auf den ersten Blick wie ein harter Bruch, ist jedoch eng verknüpft in seinen mystischen Gestalten, zentralen Motiven und Themen. Sie erzählen von Strukturproblemen, Korruption, marginalisierten Lebensrealitäten und Sehnsüchten und sie alle erweisen sich als facettenreiche Bestandteile einer von Rätseln, aber nur wenigen Antworten durchdrungenen Reise.
Die Federn der Jahrzehnte
Ruhevoll heftet sich der Film an die Fersen seiner wortkargen Protagonist*innen, die sich unabhängig voneinander stets auf der Suche befinden. Der Suche nach einer Tochter, nach Gerechtigkeit, Sicherheit und Selbstverwirklichung oder nach einem Ausweg aus der gegenwärtigen Welt, die nur wenig zu versprechen und noch weniger einzuhalten weiß. Mündet jene Suche in einem von wenigen, aber eindringlich phantastischen Momenten, durchbricht der Film nicht nur seine nüchternen, unvorhersehbar verzweigten und von einem hervorragenden Schauspielensemble getragenen Alltagsschilderungen, sondern auch das bestehende Zeit- und Figurengefüge.
Und damit nicht genug: Alonso, der das kontemporäre argentinische Kino nicht zum ersten Mal aufwühlt, lässt in seinem neusten Film auch diverse Genre ineinanderfließen, die sich in den mächtigen Naturaufnahmen und geerdeten Figurenporträts prachtvoll entfesseln. Als Bindeglied durchstreift ein Marabu die von indigenen Perspektiven sensibel gezeichneten Teile des Films, hebt ab und gleitet gleich der Erzählweise des Films dahin. Gemein sind den einzelnen Einblicken die Spuren der Kolonialisierung, die sich nicht nur in der Vergangenheit und der heroischen Fernsehadaption, zu Teilen dort aufgenommen, wo Sergio Leone Werke wie ZWEI GLORREICHE HALUNKEN drehte, sondern gleichermaßen in der Gegenwart äußern.
Er versuche, so der Regisseur in einem Interview zum Film, zu vermeiden, eine Geschichte mit Worten zu erzählen. In EUREKA gelingt ihm das eindrucksvoll, auch in verschiedenen Filmformaten: vom Gesang eines Indigenen auf einem schroffen Felsen am Meer über das emotionale Brodeln unter Alaina Cliffords gefassten Gesichtsausdruck bis zu den gleitenden Kamerafahrten durch den Regenwald breitet sich in vermeintlich ereignisarmen Aufnahmen große Erzählwucht aus. Manchmal schonungslos rau, dann bildgewaltig und hypnotisch, mal bedrückend und einschnürend und manchmal kaum in Worte zu fassen.
Fazit
In eingehend bebilderten zweieinhalb Stunden und drei auf ihre eigene Art eindringlichen, komplexen Kapiteln führt Lisandro Alonso durch Jahrzehnte, Kontinente und Schicksale und entwirft ein meditatives wie rätselhaftes, leise imposantes und soghaftes Kino-Kunststück.
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Originaltitel | Eureka |
Kinostart | 21.1.2024 |
Länge: | 147 minuten |
Produktionsland | Argentina |
Genre: | Drama |
Regie | Lisandro Alonso |
Executive Producer | Jasmine Zeinal-Zade | Andreas Roald | Jamal Zeinal Zade | Dan Wechsler |
Producer | Jonas Dornbach | Denise Ping Lee | Rafael Ley | Carine Leblanc | Karla Badillo | María José Córdova | Roberto Minervini | Marianne Slot | Hedi Zardi | Regina Solórzano |
Kamera | Timo Salminen |
Visual Effects | Leandro Pugliese |
Cast | Viggo Mortensen, Chiara Mastroianni, Alaina Clifford, Sadie Lapontie, Viilbjørk Malling Agger, Adanilo, Márcio Mariante, Luísa Cruz, Rafi Pitts, Maria de Medeiros, Santiago Fumagalli, Natalia Ruiz, José María Yázpik, Liliana Alavez |
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