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Jetzt auf Amazon kaufen oder leihen Originaltitel: Il Traditore
Kinostart: ursprünglich 23.04.2020 – neuer Termin: 13.08.2020

FSK 12

FSK 12 ©FSK

Länge: ca. 153 Minuten
Produktionsland: Italien | Frankreich | Deutschland | Brasilien
Regie: Marco Bellocchio
Schauspieler:innen: Pierfrancesco Favino | Maria Fernanda Candido | Fabrizio Ferracane
Genre: Biografie | Drama | Juristik
Verleiher: Pandora Filmverleih

Il Traditore

Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra ©Lia Pasqualino

Der Begriff Mafia wird in der heutigen Zeit recht inflationär für diverse Verbrecherorganisationen verwendet. Ihren Ursprung jedoch hat sie im 19. Jahrhundert in Sizilien, wo ein streng hierarchischer Geheimbund sich selbst organisierte und seine Macht durch Erpressung, Gewalt und politische Einflussnahme festigen wollte. Die seit vielen Jahren weltweit agierende Cosa Nostra – Alternativbegriff für die sizilianische Mafia – ist ein streng gegliedertes Konstrukt von Hierarchien, ähnlich einer familiären Diktatur. So gibt es einen capo di tutti i capi (Don) – Boss der Bosse – mit uneingeschränkter Macht über alle Familien, der zudem vom Segundo – Unterboss – unterstützt wird. Dies wiederum gliedert sich auf mehrere Capo – „Kapitäne“ – auf, die wiederum Soldato – Soldaten – anführen, welche wiederum über der Gesellschaft beziehungsweise den Mitgliedern stehen. Diese Pyramidenstruktur existiert seit Anbeginn und ist noch heute tief verwurzelt.

Doch hatte die Mafia es oftmals nicht leicht sich durchzusetzen, da die Organisation auf internationaler Ebene strikt bekämpft wurde und sich auch von innen heraus vor große Herausforderungen stellte. Dabei schreckte der Bund jedoch nicht vor drastischeren Maßnahmen zurück und ermordete insbesondere in den 80er und 90er Jahren viele Staatsanwälte, die ihnen Steine in den Weg legen wollten. Dies geschah zumeist im Zuge der Maxi- beziehungsweise Mammutprozesse, die 1984 ihren Anfang nahmen und weit über 400 Mitglieder der Cosa Nostra hinter Gitter brachte. Diese Zeit wurde nun von Marco Bellocchio filmisch aufgearbeitet mit dem Protagonisten Pierfrancesco Favino, der schon früher im Mafiosi-Film FALCONE – IM FADENKREUZ DER MAFIA zu sehen war und sich danach eher auf internationale Bühnenproduktionen konzentrierte.

Il Traditore

Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra ©Lia Pasqualino

Darum geht es…

Il Traditore ist italienisch für Der Verräter. Auf wahren Begebenheiten beruhend, wird Pierfrancesco Favinos Figur zu eben jenem Verräter, nachdem er sich während der Clankriege der Cosa Nostra in Italien schließlich nach Brasilien abgesetzt hat und dort von der örtlichen Polizei aufgegriffen wird. Auch auf Wunsch seiner Frau und aus eigenem Sinneswandel, beginnt der treue Cosa Nostra Anhänger Tommaso „Don Masino“ Buscetta mit den italienischen Staatsanwälten zu kooperieren und Geheimnisse der Mafia auszuplaudern. Dies begründet sich vor allem in den Streitigkeiten, die es zwischen den verschiedenen Familienclans gibt und die darüber hinaus dazu führten, dass sich gute und langjährige Freunde plötzlich gegen seine eigene Familie gestellt haben.

Selbstverständlich gerät er nun noch mehr ins Fadenkreuz der Mitglieder der italienischen Vereinigung, welche bestrebt sind ihn als unglaubwürdig hinzustellen oder gar zu ermorden. Zudem stellt es für alle eine große Herausforderung dar über 300 Prozessfälle gleichzeitig zu behandeln. Diese Tortur hat weitreichende Folgen für den millionenschweren Mafiaboss, bietet aber auch den Ausweg in ein neues Leben. Steht die Cosa Nostra also endlich vor dem Aus?

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Rezension

Ihr wart begeistert von DER PATE oder THE IRISHMAN? Dann solltet ihr euch dieses Werk nicht entgehen lassen. Trotz deutlich kürzer Laufzeit als bei solch vergleichbaren Werken, erwartet den Zuschauer dennoch ein Film mit rund 150 Spielminuten. Doch ein sei gesagt: Diese vergehen fast schon wie im Flug, denn endlich mal gibt es einen wirklich spannenden Mafiosi-Film, der nicht nur von Moment zu Moment lebt und sich durch die Atmosphäre auszeichnet sowie durch einzelne bravourös inszenierten Augenblicken, sondern auch von einer ruhigen und dennoch spannenden Handlung. Während viele ähnliche Filme erst einmal lange benötigen, um die riesigen italienischen Familienclans angemessen einzuführen, hält sich Regisseur Marco Bellocchio nicht lang mit solchen Mitteln auf und steigt recht zügig in die recht umfassende Story ein.

Il Traditore

Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra ©2020 Pandora

Hierbei handelt es sich mehr um eine Biografie als einen Spielfilm, denn im Fokus der Handlung steht stets der verratende Überläufer Tommaso Buscetta. Dennoch hält die Kamera nicht statisch an dieser Figur fest wie sonst so oft, sondern wird auch auf parallel oder zeitversetzte Szenen geblendet, die ein deutlich umfassenderes Bild der Figur und den Beweggründen vermitteln. Dabei ist es klassischerweise anfangs noch recht schwer sich in die Handlung hineinzusehen, da dem Zuschauer ein großer Haufen von Namen, Daten und Fakten entgegengeworfen werden, die ihn ohne Vorwissen zur Handlung schnell überfordern können. Auch während des Films werden immer wieder Figuren eingeführt, die zwar namentlich häufig schon genannt wurden, aber nie oder nur beiläufig aufgetaucht sind, womit es immer wieder schwer ist den Verläufen optimal zu folgen.

Lebhaft interessanter Plot

Hat man diese Hürde jedoch einmal genommen und versteht Stück für Stück die stattfinden Prozesse, entwickelt sich ein kleines Meisterwerk internationaler Produktionen, welches zurecht auch für die diesjährigen Oscars eingereicht wurde, leider jedoch keine weitere Berücksichtigung fand. Mit dezenten, aber dennoch tollen stilistischen Ideen, wird abgesehen von der ohnehin schon interessanten Grundgeschichte eine gewisse Spannung erzeugt die neugierig auf mehr macht. Überraschende Entwicklungen, die wie immer nur das Leben am besten schreiben kann, sind dabei ein wesentlicher Schwerpunkt von IL TRADITORE – ALS KRONZEUGE GEGEN DIE COSA NOSTRA.

Il Traditore

Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra ©Lia Pasqualino

Während die Darsteller weitestgehend vollkommen austauschbar sind, da man abgesehen vom Protagonisten zu keiner Figur eine wirkliche Verbindung aufbauen kann, ist Pierfrancesco Favino wohl die optimale Besetzung, da er es sowohl schafft den erhabenen und führenden Charme eines Mafiabosses auszustrahlen und gleichzeitig der bodenständige Familienvater zu sein, dem die Dramatik seiner Lebenssituation vollkommen bewusst ist und dennoch entschlossen versucht einmal im Leben das Richtige zu tun.

Eine wichtige Erfolgsgrundlage für dieses Werk ist, dass Regisseur Bellocchio stets weiß im richtigen Moment die Zügel anzuziehen und Fahrt aufzunehmen und gleichzeitig danach angemessen die Situation ausklingen zu lassen, ohne dabei Monotonie zu versprühen. Denn gibt es nach Beendigung eines großen Prozesses einen massiven Einbruch, der nur schwer abgefangen werden kann, da der Zuschauer in die Erwartungshaltung des baldigen Endes rutschen könnte. Dieses zieht sich jedoch noch um einiges hinaus, weshalb die Handlung erst schrittweise wieder an Fahrt aufnehmen muss. Dadurch wurde jedoch wiederum erreicht, dass man einen zweiten hitzigen Höhepunkt erwarten kann.

Il Traditore

Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra ©2020 Pandora

Fabulöse Genialität Italiens

Selten habe ich ein italienisches Werk dieser Thematik so gespannt verfolgt wie dieses und ebenfalls selten war ich so neugierig auf mehr von solchen Filmen. Dies rührt wohl vor allem aus dem hervorragenden Gemisch aus italienischen Traditionen, die dem Zuschauer unterhaltsam näher gebracht werden, und dem spannungsgeladenen Juristik-Drama, welches grundlegend keine Überraschungen liefert, dennoch aber in den hervorragend geschriebenen Dialogen, die es in IL TRADITORE – ALS KRONZEUGE GEGEN DIE COSA NOSTRA wie Sand am Meer gibt, extrem gewinnt. Durch lange reglose Kameraeinstellungen wird zudem das Gefühl erzeugt selbst vor hunderten von gefährlichen Straftätern der übelsten Art im Zeugenstand sitzen zu müssen und dabei die eigene Glaubwürdigkeit verteidigen zu müssen. So macht auch das italienische Kino Spaß!

Die äußerst wahre Geschichte um den Mafiosi Tommaso Buscetta und seine Aussage als Kronzeuge und Verräter gegen die Cosa Nostra wird in diesem Werk von Marco Bellocchio angemessen gewürdigt. Zum einen schafft dieser es die Atmosphäre brasilianischer Lebensweisen geschickt mit italienischen Gepflogenheiten zu verknüpfen und dabei die angsteinflößende Macht der italienischen Mafia auf die emotionale Verfassung niederschlagen zu lassen. Interessant inszeniert, wird die ohnehin schon spannende Grundlage aufreibend verarbeitet und in einer doch sehr langen, aber deswegen keineswegs eintönigen Geschichte vermittelt. Dennoch kommen natürlich typisch italienische Eigenarten der Filmproduktion auch nicht zu kurz und es dauert eine Weile bis man sich in den Film hineingeschaut hat und auch die Figuren genaustens zuordnen kann, von denen es haufenweise gibt, jede mit einer anderen umfassenden Vorgeschichte. Da die Rückblicke glücklicherweise sehr gezielt und wohl dosiert eingesetzt werden, wirken diese eher unterstützend und bringen auch in viele Figurenkonstellationen deutlich mehr Licht ins Dunkel. Fans von Mafiosi-Filmen sei auf jeden Fall zu diesem Werk geraten, doch kann ich diesmal auch allen anderen Arthouse-Liebhabern einen Blick empfehlen.

Il Traditore

Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra ©2020 Pandora