Mode in der DDR
Eine nennenswerte Modeszene hat sich in der DDR erst in den 1980er-Jahren gegründet und war hauptsächlich in Städten vertreten. Es wurde zwar Mode in privater Hand hergestellt und verkauft, das große Highlight waren jedoch Modeshows. Diese dienten als Ventil für den Anpassungsdruck in der DDR. Da dies aber nur ein Parallelmarkt zum bereits existierenden Modeschaffen war und nicht von der Regierung unterstützt wurde, musste man kreativ werden, wenn man Mode schaffen wollte. So kamen Materialien wie Bett- und OP-Laken, Fallschirmseide und teils sogar Kleidung aus dem Handel zum Einsatz. Die Szene diente unter anderem dazu, die Elterngenerationen und den Staat herauszufordern. Viele Größen, wie Frank Schäfer, wurden schon in der Jugend vom Staat als nicht anpassungsfähig eingestuft, da sie ihren eigenen kreativen Kopf hatten. Daraus entstand schon fast ein Trotzverhalten, das für bunte, schrille Kleidung und einem permanenten Spiel mit den Geschlechterrollen führte.
Mit dieser Individualität und dem Drang des Andersseins wurde unter anderem die DDR mit ihrer geplanten Gleichschaltung kritisiert, weshalb die Stasi jeden verhaftete, der ihnen zu absurd aussah. Jedoch konnten diese Personen nie lange festgehalten werden, weshalb man sie bei der nächsten Modenschau einfach wieder verhaftete. Abseits davon wurde gegen die Modeszene nicht vorgegangen, obwohl diese eine Schattenökonomie war und auf den Märkten hohe Umsätze erzielte. Wahrscheinlich erleichterte es den Staat sogar, dass die Bürger*innen mit der selbstgeschaffenen Mode ein Ventil zur Kompensation hatten, da es bereits mehrere Proteste gab, die DDR und Stasi überlasteten.
Darum geht es
Suzie (gespielt von Marlene Burow) freut sich darauf, dass sie kurz vor ihrem Schulabschluss steht und dann endlich Literatur studieren kann, um Schriftstellerin zu werden. Doch es kommt alles anders, als sie dachte. Sie wird von der Stasi mit George Orwells „1984“ erwischt, somit von der Schule verwiesen und zur Arbeit im Kabelwerk Oberspree abgeordnet, damit sie wieder zu einem funktionierenden Teil der sozialistischen Gemeinschaft erzogen werden kann.
Auf dem Weg zur Arbeit wird sie eines Tages von dem Fotografen Coyote (gespielt von David Schütter) fotografiert und findet sich kurz darauf in der Modezeitschrift Sibylle wieder. In der Hoffnung, der sozialistischen Arbeit entfliehen zu können, meldet Suzie sich bei der Redaktion und sagt, dass sie das auf dem Bild sei. Sie bekommt die Gelegenheit, als Mannequin zu arbeiten und muss sich bald die Frage stellen, wie viel es ihr wert ist, den Traum der Individualität leben zu können.
Review
IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT ist eine Coming-of-Age-Geschichte über Marlene Burwos Charakter. Es geht um ihren Drang nach Freiheit, aus diesem System ausbrechen zu wollen und um jeden Preis anders zu sein als der Vater, der die DDR gleichgültig hinnimmt. Das schafft der Film überzeugend gut. Man bekommt von ihr regelmäßig zu hören, dass sie nicht in das System passt, sie frei und individuell sein will. Dies zeigt sich immer wieder, wenn sie beispielsweise die Arbeit im Kabelwerk drückt oder sie von zuhause verschwindet, um Teil der Modewelt zu werden und etwas Freiheit genießen zu können.
Diesen Drang der Freiheit nutzt der Film auch als Kritik an der DDR. Es wird sich die Frage gestellt, warum die eine Person studieren darf und die andere nicht. Warum eine als Model arbeiten darf und die andere nicht. Warum manche Menschen nicht reisen, professionell fotografieren oder ihren Traumberuf ausüben dürfen. Schnell kommt der Film zu der Antwort, dass das Regime einem damit Angst machen will. Sie zeigen somit, dass sie Kontrolle über alles und jeden haben.
Die Kritik an der DDR ist wichtig, aber leider zu oberflächig. Man hätte noch viel mehr darauf eingehen können, warum der Ausdruck der Freiheit und Individualität vom Regime unterdrückt wurde und wie die Regierung einen mit vermeintlicher Freiheit, wie der erlaubten Teilnahme der Modenschau in Paris, teils erpresst. Ein tieferer Einblick und eine somit verbundene Aufarbeitung wären nicht nur interessant, sondern auch thematisch passend gewesen.
Kreative Mode made in Ostdeutschland
IN EINEM LAND DAS ES NICHT MEHR GIBT schafft es, Menschen mit den Modeevents, Fotoshootings und der Modeschau in Leipzig für das Thema zu begeistern, auch wenn diese keine Ahnung von der Materie haben. Der Film gibt einen spannenden Einblick in die Modeszene der DDR. Man bewundert die Kreativität, wenn beispielsweise ein Kleid aus Leichenabdecktüchern kreiert wird.
Abseits der kurzen interessanten Einblicke auf die Mode an sich konzentriert sich der Film viel mehr auf Marlene Burow als Model und den Konflikt mit ihren Kolleginnen. Denn im Gegensatz zum Kabelwerk herrscht in der Modeszene kein sozialistischer Zusammenhalt, sondern ein erbittertes Konkurrenzverhalten. Einzig in den freizeitlichen Modeevents gibt es Harmonie und gegenseitige Unterstützung. Es entstehen geschützte Räume, an denen man sich wohlfühlt. Damit zeigt der Film, dass die Verbindung von Kunst und Kommerz immer zu Machtkämpfen führen wird.
Eine Reise nach Ostberlin
Die schauspielerische Leistung der darstellenden Personen ist solide und weckt bei Menschen, die aus der Region um Ostberlin kommen, durch Berlinern und ein freches Mundwerk von Jördis Triebel als Gisela nostalgische Gefühle.
Diese Gefühle erzeugt IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT immer wieder. Sei es die typisch markante Straßenbahn mit ihren drei elendig hohen Treppen, die gelben U-Bahnen, die man auch noch heute in Berlin bewundern kann, oder das Straßenleben mit den vereinzelten Trabbis und Wartburgs. Es gibt zwar kleine Fehler, wie falsche Autobahnschilder, aber das ist zu verzeihen, da diese nur kurz zu sehen sind und den meisten Menschen wahrscheinlich nur bei einer Recherche auffallen.
Eine Familien- und Liebesbeziehung nach Filmklischees
Einer der größten Kritikpunkte ist die Familie von Marlene Burow. Diese ist nicht glaubhaft inszeniert und für die Handlung fast schon belanglos. Gerade die Chemie zwischen Marlene und ihrer Schwester, die von Zoé Höche verkörpert wird, wirkt erzwungen, teils sogar nervig. Gleichzeitig wird sich für diese Familiengeschichte immer wieder verschiedener oberflächiger Dramaelemente bedient, die man in vielen deutschen Filmen wiederfindet.
Auch die vorhandene Liebesbeziehung zwischen der Protagonistin und David Schütter ist eine Schwäche und wirkt so, als ob man für IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT unbedingt eine Liebe haben muss. Bei dieser fehlt einem als zuschauende Person aber der Moment, in dem zu erkennen ist, dass die beiden sich ineinander verlieben. Ein Gespräch über Kunst und die Unterdrückung durch Stasi und Staat reicht nicht aus. Generell wäre eine platonische Beziehung, in der es bei einem Austausch über Kunst bleibt, angenehmer gewesen.
Der Fehler im Detail
Obwohl der Film sich intensiv mit Modefotografie beschäftigt, gibt es bei der Darstellung der Fotografie gleich mehrere Fehler. Die Kameras erzeugen bei Betätigung des Auslösers sowie Nachziehen des Films die falschen oder gleich gar keine Geräusche. David Schütter nutzt, obwohl er regelmäßig für Ostdeutschlands wichtigstes Modemagazin fotografiert, mit der Praktica B100 lediglich eine Amateurfotokamera. Zudem ist es sehr fragwürdig, ob er überhaupt noch eine eigene Kamera besitzen darf, da er von der Stasi als „asoziales Subjekt“ eingestuft und ihm das Fotografieren untersagt wurde.
Fazit
IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT schafft einen lohnenden Einblick in die ostdeutsche Modeszene und greift nebenbei Themen wie die Verfolgung durch die Stasi auf. Diese sind zwar spannend inszeniert, kommen aber gerade in ihrer Kritik zu kurz. Gleichzeitig sind die Familien- und Liebesgeschichten ermüdend und tragen nicht zur Handlung bei. Wer aber einen Film haben möchte, der einen in die Welt von Ostberlin eintauchen und nostalgisch werden lässt, ist hier gut beraten.
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Originaltitel | In einem Land, das es nicht mehr gibt |
Kinostart | 2.10.2022 |
Länge: | 100 minuten |
Produktionsland | Germany |
Genre: | Drama |
Regie | Aelrun Goette |
Executive Producer | Susa Kusche |
Producer | Tanja Ziegler |
Kamera | Benedict Neuenfels |
Cast | Marlene Burow, Sabin Tambrea, David Schütter, Claudia Michelsen, Jördis Triebel, Peter Schneider, Bernd Hölscher, Sven-Eric Bechtolf, Hannah Ehrlichmann, Gabriele Völsch, Sira Topic, Zoé Höche, Hans Klima, Felix Kruttke, Berit Künnecke, Anna-Katharina Muck, Thomas Stecher, Meikel Engelmann, Lucia Peraza Rios, Tino Ranacher |
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