FilmkritikCast
FSK 12

FSK 12 ©FSK

Originaltitel: Parwareshghah (پرورشگاه)
Internationaler Titel: The Orphanage
Kinostart: 04.11.2021
Länge: ca. 90 Minuten
Produktionsland: Dänemark | Luxemburg | Frankreich | Deutschland | Afghanistan | Südkorea | USA
Regie: Shahrbanoo Sadat
Schauspieler:innen: Masihullah | Anwar Hashimi | Karan Jeet Singh
Genre: Drama
Verleih: Wolf Kino

Kabul Kinderheim

Kabul Kinderheim ©2021 Wolf Kino | Virginie Surdej

Am 04. November erscheint der neue Film von Shahrbanoo Sadat in den deutschen Kinos. Es ist der zweite Spielfilm der afghanischen Regisseurin und Autorin. KABUL KINDERHEIM ist nach ihrem ersten Film WOLF AND SHEEP der zweite Teil einer Pentalogie. WOLF AND SHEEP spielt sich in den 70er Jahren ab, während KABUL KINDERHEIM Ende der 80er Jahre stattfindet. Der geplante letzte Teil wird sich auf die Gegenwart beziehen. Die Handlung des Films basiert auf das Tagebuch von Sharbanoo Sadats Freund Anwar. Das Tagebuch verfolgt die Geschichte von Afghanistan der letzten vierzig Jahre. Wie der Protagonist im Film war Sharbanoos Freund ebenfalls ein Waisenkind. Die Regisseurin hat als Ziel verfolgt möglichst die Handlung für ein internationales Publikum verständlich umzusetzen. Dabei hat sie den Zeitraum verkürzt. Der Film endet mit der Übernahme Kabuls durch die Mudschaheddin schon im Jahr 1992. Die Hindi-Lieder aus entsprechenden Filmen hat die Regisseurin zu der Handlung hinzugefügt. Shahrbanoo hat wie in ihrem letzten Film nicht professionelle Schauspieler aus Afghanistan ausgewählt. Gedreht wurde in Tadschikistan, Deutschland und Dänemark.



Darum geht es…

Afghanistan in den 1980er Jahren. Der junge Qodrat lebt als Waisenkind in den Straßen von Kabul. Er hält sich oft am Kino aus Kabul auf und verdient sein Geld, indem er Kinokarten und Kleinwaren auf dem Schwarzmarkt verkauft. Eines Tages wird Qodrat von den Behörden erwischt und daraufhin in ein Kinderheim in Kabul gebracht. Für ihn beginnt ein neues Leben voller neuer Erfahrungen und Erlebnisse. Zwischen seiner Realität und Fantasie lernt er neue Freunde kennen und verliebt sich zum ersten Mal. Außerdem lernt er lesen und schreiben und die Kinder aus dem Waisenhaus besuchen einen russischen Unterricht, da zu dieser Zeit die UdSSR die Macht in Afghanistan hatte. Qodrat gewöhnt sich langsam an sein neues Leben, während in Afghanistan der Krieg andauert. Während er und die anderen Kinder aufwachsen, werden sie Zeuge davon wie sich die Geschichte von Afghanistan ändert.

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Fremdes Bild aus Afghanistan

KABUL KINDERHEIM zeigt uns ein fremdes Bild von Afghanistan. Es ist eine Zeit aus dem Land, von der hierzulande wenige Kenntnis haben. Es ist eine Zeit, in der die Menschen in Afghanistan eine andere Lebensweise auslebten. Durch die Übernahme der UdSSR können die Menschen in dem Land leben wie sie wollen, solange sie sich an die Vorgaben halten. So ist es auch im Kabul Kinderheim, in dem sich der junge Qodrat aufhält. Der Film steigt ohne ein großes Opening in die Welt von Qodrat ein. Es gibt zu Beginn eine sehr charmante Szene im Kino. Qodrat schaut sich einen Hindi-Film an und man merkt relativ schnell, wie sehr alle begeistert davon sind und im Kinosaal applaudieren. Die Begeisterung der Afghanen zum indischen Kino wurde hier in einer Szene sehr schön dargestellt. Der Film lässt sich nicht viel Zeit, um das Leben des Jungen in den Straßen näher zu thematisieren, denn er wird schon in den ersten Minuten von der Behörde geschnappt. Dadurch fehlte mir die Nähe zu dem Leben der Afghanen.

Kabul Kinderheim

Kabul Kinderheim ©2021 Wolf Kino | Virginie Surdej

Eine Folge von Situationen

Die größte Schwäche, die der Film KABUL KINDERHEIM aufweist, ist, dass die Handlung keine rote Linie verfolgt. Das Drehbuch plätschert vor sich hin und zeigt uns eine Situation nach der anderen im Leben der Teenager. Dabei besitzen die einzelnen Szenen, die uns gezeigt werden, keine wirkliche Tiefe. Unteranderem gibt es zum Beispiel eine Szene, wo zwei Jungs im Waisenhaus ohne Anstand sich über die Frauen und Mädchen unterhalten. Dabei kam mir die Frage auf, was Regisseurin Shahrbanoo Sadat sagen wollte. Denn auf diese Szene wird im späteren Verlauf nicht mehr eingegangen. Denn mir ist auf jeden Fall bewusst, dass nicht alle Jungs aus Afghanistan so sind. Die Kamera ist am Geschehen der Charaktere nah dran, um eine authentische Atmosphäre zu erzeugen. Dies gelingt aber nur gering, denn durch die Dialoge, die ab und zu nicht besonders Sinn ergeben, werden Alltagssituationen von Afghanen nur angerissen. Die Freundschaft, die sich zwischen Qodrat und einer seiner Mitbewohner entwickelt, kommt dabei ebenfalls zu kurz und blass rüber.



Kabul Kinderheim

Kabul Kinderheim ©2021 Wolf Kino | Virginie Surdej

Liebe zum Filme machen

Auch wenn ich als Afghane mit dem Film KABUL KINDERHEIM eher enttäuscht bin, will ich an dieser Stelle darauf eingehen, dass man auf jeden Fall Sadats Liebe zum Filme machen sieht. Die Idee Bollywood Songs in Qodrats Fantasie einzubauen ist äußerst charmant. Die Aufmachung des Kostümdesigns ist definitiv ansehnlich. Traditionelle afghanische Kleidung mit moderner Kleidung sind an die Charaktere angepasst. Allerdings sind die Mudschaheddin zu klischeehaft umgesetzt worden. Auch wenn die Schauspieler im Film keine professionellen sind, hat man dennoch angemerkt, dass sie beim Drehen ihren Spaß hatten. Der Nachbau eines afghanischen Dorfs in Tadschikistan ist dem Team gut gelungen, dennoch können vor allem afghanische Zuschauer:innen merken, dass es sich hierbei nur um eine Nachbildung handelt. Die politische Wende, die im Film nebenbei thematisiert wird, ist für meinen Geschmack zu kurz dahergekommen. Die schlechte Seite der UdSSR wird überhaupt nicht gezeigt. Vor allem werden die Mudschaheddin sehr terrorhaft abgebildet. Dadurch wird nur die eine Seite der damaligen Wende in Afghanistan inszeniert und die andere wird völlig vergessen.

Fazit

KABUL KINDERHEIM von Shahrbanoo Sadat bringt die Zuschauer in ein damaliges Bild von Afghanistan, dass bei vielen Menschen aus Deutschland nicht bekannt ist. Das Leben der damaligen Afghanen wird zu kurz inszeniert und stattdessen konzentriert man sich sehr auf das Kinderheim. Der Film ist professionell produziert. Die Kostüme sind authentisch gestaltet und das Setting bildet ein möglichst glaubwürdiges Bild von Afghanistan wieder. Dafür mangelt es im Film an einer glaubwürdigen Handlung und dieser verfolgt kein großes Ziel. Hier und da gibt es Szenen, die durchaus Tiefe gehabt haben könnten, diese werden aber leider zu gering angerissen. Dadurch verliert sich die Handlung und das Gesamtprodukt wirkt nur wie eine Aneinanderreihung von Situationen der Charaktere. Alles in allem ist KABUL KINDERHEIM ein Film, der zu wenig bietet für ein internationales Kino. Es liegt schlussendlich an euch, ob ihr den Film schauen wollt oder nicht. Für diejenigen die mehr über die Geschichte von Afghanistan wissen wollen, ist der Film vielleicht einen Blick wert. Aber hier würde ich euch lieber eine Dokumentation vorschlagen.

Schauspieler:in Rolle
Masihullah Feraji
Anwar Hashimi Anwar
Karan Jeet Singh Karan Jeet
Hasibullah Rasooli Hasib
Abdul Rahman Formoli Rahman
Sediqa Sediqa
Eshanullah Kharoti Eshan
Daria Gaiduk Sima Petrovna
Nahid Yakmanesh Miss Deputy Director
Arthur Köstler Commander of Mujahideen
Ahmad Fayaz Osmani Fayaz
Fridoon Muradi Feraidoon
Asadullah Kabiri Asad
Qodrat Qodrat