Originaltitel: Lara
Kinostart: 07.11.2019
DVD/Blu-ray – Release: 23.04.2020
Länge: ca. 98 Minuten
Produktionsland: Deutschland
Regie: Jan-Ole Gerster
Schauspieler:innen: Corinna Harfouch | Tom Schilling | André Jung
Genre: Drama
Verleiher: StudioCanal Deutschland
Jan-Ole Gerster hat trotz langjähriger Erfahrung erst wenige Filmprojekte in seinem Leben durchgeführt. Die wenigen jedoch hat er stets mit vollem Elan und Enthusiasmus abgeliefert. Nachdem er bereits im Alter von 23 Jahren als persönlicher Regieassistent von Wolfgang Becker beim Film GOOD BYE, LENIN! beteiligt war, folgte neun Jahre später der Beginn seiner ersten eigenen Produktion. Als Abschlussarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin hat er den Film OH BOY produziert, welches 2012 fertig gestellt wurde und bereits hochklassig besetzt war. So konnte er für seine Hauptrolle Tom Schilling gewinnen, der auch in Gersters zweiten Film LARA einen groß angelegten Auftritt erhielt und ebenfalls im dritten Film IMPERIUM, über den bis heute nichts näheres bekannt ist, den wichtigsten Schauspielpart. Sowohl OH BOY als auch LARA konnten viele Erfolge verzeichnen und wurden bei verschiedenen Filmfesten gleich mehrfach ausgezeichnet.
Darum geht es…
In seinem letztjährigen Werk erzählt Gerster nun von Lara Jenkins, die unerwarteterweise einen recht turbulenten 60. Geburtstag erlebt. Schon früh am Morgen wird sie von zwei Polizisten geweckt und muss bei ihrem Nachbarn als Zeugin für eine Wohnungsdurchsuchung herhalten, obwohl sie daran absolut kein Interesse hatte. Ursprünglich spielte sie nämlich mit dem Gedanken aus dem Fenster zu springen und Selbstmord zu begehen, denn am Abend dieses Tages würde ihr Sohn ein großes Klavier-Konzert präsentieren, welches sie nicht ertragen könnte. Sie selbst hat lange Zeit dieses Musikinstrument zu spielen gelernt und ihr Wissen später auch an ihren Sohn Viktor weitergegeben. Nun jedoch scheint dieser den Erfolg zu durchleben, welchen Lara nie hatte. Wie wird es also mit ihr ausgehen? Wird sie die Qual des Neides überstehen oder sich ihren Selbstmordgedanken hingeben?
Rezension
Wieder einmal schafft es eine deutsche Produktion mich sprachlos zu machen. Nicht jedoch, weil sie so überragend gut wäre, sondern vielmehr, weil die tolle Kernaussage, die gute Idee dahinter und der eigentlich angenehme Erzählaufbau im völligen qualitativen Gegensatz zur schauspielerischen Darstellung und der visuellen Ansehnlichkeit stehen. Jan-Ole Gerster wirft uns als Zuschauer in kleinen Häppchen immer wieder Informationen über die Protagonisten, gespielt von Corinna Harfouch, zu, die es nur schwierig machen ein Gesamtbild der Hauptfigur zu erstellen. Eins jedoch ist frühzeitig klar. Sie scheint eine verbitterte, nicht liebenswerte und mürrische alte Frau zu sein, die zwar weitestgehend von der Familie verstoßen wurde, doch immer noch eine große Restliebe in sich trägt und diese erstmals in ihrem Leben auch zeigen möchte.
An dieser Stelle jedoch setzen einige Probleme ein, denn das darstellende Spiel zeigt keine Leichtigkeit und dementsprechend auch keine Natürlichkeit. Alle Szenen wirken etwas abgehackt und darauf gepolt als würde man unbedingt sagen wollen: Schaut her, ich überlege gerade und lasse meine Gedanken schweifen, weil mich etwas erschüttert. Diversen Dialogen fehlt der Schwung einer realen Konversation. Jede Figur bekommt immer wieder Zeit nach einer Antwort oder Frage zu überlegen und dann selbst seinen Beitrag zu liefern. Esprit und Reaktionsfähigkeit fehlen fast völlig und sorgen daher für ein sehr trägen und unschönen Handlungsaufbau, wie er leider in deutschen Werken keine Seltenheit ist.
Trüb und doch charmant
Doch möchte ich hier nicht nur kritisieren, denn Gerster zeigt uns ja noch viel mehr und durchaus auch tiefgründige und ansprechende Momente. So gefällt vor allem der charakterliche Aufbau der Hauptfigur recht gut, denn scheibchenweise erhält der Zuschauer immer mehr Wissen über die Frau, wodurch sich aus einer griesgrämigen, grantigen und neiderfüllten Person eine fast schon bemitleidenswerte Dame entwickelt. Immer wieder fragt man sich als Zuschauer, warum die Figur gewisse Dinge einfach tut, wie zum Beispiel der Aufkauf eines gesamten Restbestandes an Konzertkarten und deren anschließende Verschenkung an die unterschiedlichsten Personen. Doch wird es geschafft eben jene Fragen gekonnt zu beantworten, ohne den Rezipienten mit der Nase explizit darauf zu stoßen, wodurch eine gewisse uncharmante Harmonie erzeugt wird, die eine persönliche Befriedigung mit sich bringt.
Etwas schade ist es, dass die fast allgegenwärtige trübselige, missmutige und deprimierende Stimmung sich auch auf das Publikum niederschlägt, denn dadurch setzt sich ein unschönes Gefühl im Kopf fest, welches man auch nach dem Film nicht mehr so recht los wird. So schön und rund das Gesamtkonzept auch erscheint im Nachhinein entwickelt sich leider nicht der Wunsch den Film unbedingt noch ein zweites Mal zu sehen, ganz zu schweigen davon, dass die an den Tag gelegte Gemächlichkeit auch darin auswirkt, dass scheinbar schon bei der ersten Sichtung alle Einzelheiten klar und unverfälscht aufgenommen werden können.
Schilling und Bock in bekannter Stärke
Stark anzusehen, wie so häufig, sind Tom Schilling und Rainer Bock, die beide jedoch kaum nennenswerte Nebenfiguren darstellen und die bei weitem nicht die schwerste Arbeit hatten. Dennoch muss zu Tom Schilling ergänzt werden, dass er das finale Musikstück tatsächlich selbst gespielt haben soll, denn dieses soll tatsächlich auf seine Fähigkeiten hin komponiert wurden sein. Womit wir zeitgleich beim Score angelangt sind, der sich charmant in die Handlung einfädelt und kaum merklich die Stimmung vorgibt. Im Gegensatz dazu steht die optische Ausarbeitung, die sich der breiten Masse an deutschen Produktionen wieder einmal angleicht, und vor allem durch Tristesse und Farblosigkeit gekennzeichnet ist. Einzig lobenswert dabei ist der geschickte Farbakzent des Mantels der Protagonistin, der sie stets von allem anderen abhebt und ein wenig die Wirkung eines schwarz/weiß-Bildes erzeugt, in dem ein einziger Gegenstand knallig bunt gezeigt wird.
Insgesamt ist LARA schon ein sehenswerter Film, der vor allem zum Ende hin deutlich an Qualität noch einmal zulegt und mit vielen Interpretationsebenen spielt. Dabei entsteht zudem die Möglichkeit sich ausgiebig über die eigenen Empfindungen auszutauschen und eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu finden, die bei so vielen anderen Werken einfach kaum gegeben ist. Dennoch sorgen Defizite in der Atmosphärengestaltung einfach für eine gewisse Unattraktivität, die nicht gerade schön anzusehen ist.
In typisch deutscher optischer Ausstrahlung überrascht Regisseur Jan-Ole Gerster anfangs kaum, denn triste Farben, langweilige Sets und unnatürliche Dialoge zeigen erneut eine nicht so schöne Unart der heimatlichen Filme. Doch sind diese Eindrücke und die recht lange Einführung erst einmal überwunden, entwickelt sich ein recht interessanter Charakteraufbau der Protagonistin, die zwar nicht so recht durch schauspielerisches Talent glänzen kann, dafür aber eine herrlich vielschichtige Persönlichkeit darstellt. Dies ist auch das wesentliche Handlungszentrum, um welches sich alles dreht. Gezeigt wird dabei nur ein einziger Tag aus dem Leben dieser Dame, der dennoch viele Überraschungen und Ereignisse parat hält und eine angenehme finale Wendung nimmt. Hochklassig besetzt bis in die kleinsten Rollen, schafft es auch dieser Film sich nicht von der deutschen Methodik zu trennen, bei der breitgefächert alle wichtigen und bekannten Schauspieler eine Rolle bekommen müssen. Zeitweise hätte dem Werk ein wenig Tempo gutgetan, denn einige Momente werden besonders durch die andauernde Miesmuffeligkeit der Protagonistin in eine unschöne und kaum packende Atmosphäre hineingezogen. Schade, denn die Story selbst finde ich gut geschrieben und absolut sehenswert.