Was haben BARBIE und OPPENHEIMER außer ihres gleichzeitigen Kinostarts im vergangenen Jahr gemein? In Italien wurden beide Filme von einem anderen Film in den Schatten gestellt. Dieser war Anfang April auch in den deutschen Kinos zu sehen und ist der erste Film unseres heutigen Rückblicks: Die Kinostarts im April 2024.
Die Rede ist vom italienischen Schwarzweiß-Drama MORGEN IST AUCH NOCH EIN TAG, das von der Ehefrau und Mutter Delia (Paola Cortellesi) Ende der 1940er Jahre, häuslicher Gewalt und einem mysteriösen Brief erzählt.
Trotz der klassistischen Karikaturen und Klischees, rassistischer Stereotypisierung und reaktionärer Retusche gibt es in Paola Cortellesis (…) Kostüm-Komödie vage Momente, die das ungebrochen aktuelle Thema misogyner Gewalt in systemischer, sozialer und struktureller Form tatsächlich anpacken, statt nur ostentativ hochzuhalten. Doch statt die internalisierten Idealen von Ehe und Familie, heterosexistische Hierarchien und toxische Tradition als maßgebliche Faktoren aufzuzeigen, klammert sich die unebene Inszenierung ebenso verbissen daran (…). (Lida Bach)
Taumelnde Kolosse
Nach dem Showdown in GODZILLA VS. KONG stand am ersten Startwochenende im April außerdem der nächste Eintrag ins MonsterVerse an: GODZILLA X KONG: THE NEW EMPIRE ließ beide Monsterikone erneut gemeinsam auftreten und kämpfen, also zumindest dem Titel nach. Das Ergebnis ist ein weiterer seelenarmer Blockbuster, dem abermals sein menschliches Beiwerk zum Verhängnis wird.
Narrative Logik verlangt bei einem Creature Feature niemand. Umso ärgerlicher ist die krude Expositionshandlung, die Drehbuch-Autoren-Trio Terry Rossio, Simon Barrett und Jeremy Slater den ebenso unbedeutenden wie uninteressanten Protagonisten anhängen. Tatsächlich verstärken die sentimentalen Klischees die kommerzielle Konformität eines schablonenhaften Spektakels, das weder zu Selbstironie noch Härte den Mut besitzt. Uninspirierte Kulissen und Merchandising-Design untergraben die Wirkung der soliden, aber unbeeindruckenden Effekte. Cast und Regisseur wirken des Ganzen schon müde bevor es das Publikum ist. (Lida Bach)
Auf und unter der Erde
Ein Gedicht der iranischen Dichterin Forugh Farrochzad diente Ali Asgari und Alireza Khatami als Inspirationsquelle für ihr knapp achtzigminütiges, gleichnamiges Episodendrama IRDISCHE VERSE. Zentrum dieses ist die iranische Hauptstadt Teheran, in der sich zehn, in jeweils nur einer Einstellung gefilmte Miniaturen abspielen: Die Geschichte eines Mannes, der beim Standesamt den Namen seines Sohnes David durchsetzen möchte, die einer Schülerin, die mit einem Jungen auf einem Motorrad gesehen wurde und die einer Frau, die beschuldigt wird, in ihrem Auto keinen Hijab getragen zu haben. Kurze Einblicke in die Lebenssituationen verschiedener Iraner*innen, die sich mit politischen, religiösen und gesellschaftlichen Autoritäten konfrontiert sehen.
Fühlte sich UNTIL TOMORROW ebenso nüchtern und doch eindringlicher in die (Gefühls-)Welt einer jungen Mutter ein, bleibt in seinem Gemeinschaftswerk mit Khatami oft nur die Ebene der Botschaft übrig. Jene wirkt in Kurzform aber nicht immer so ausgefeilt, wie im Schaffen anderer iranischer Filmemacher*innen wie Vater und Sohn Panahi, auch wenn der Film wiederholt auf ausdrückliche Momente hinarbeitet. Zum Ende kehrt er dahin zurück, wo der Prolog des knapp achtzigminütigen Spielfilms einsetzte: zum Stadtbild Teherans. Diesmal betrachtet durch das Wohnungsfenster eines alten Mannes, der als einziger Protagonist kein einziges Wort ausspricht. Draußen vor dem Fenster kollabiert eine Stadt. Häuser fallen in sich zusammen, mit ihnen ein System. IRDISCHE VERSE hätte sicherlich gern die Inbrunst gehabt, die gezeigten Restriktionen und Marginalisierungen auf ähnliche Art und Weise einzureißen. (Paul Seidel)
Mythen, Märchen und Magischer Realismus vereint Alice Rohrwachers bezaubernder Wettbewerbsbeitrag zu einer visuell und narrativ gleichsam faszinierenden Film-Fabel. Deren Geschichte und Bilder sind so reich an verborgenen Facetten, jede mit einer den Interpretationsspielraum erweiternden Hintergrund-Historie, wie der Boden im ländlichen Italien. (Lida Bach)
Zwischen Gut und Böse
Der Titel Alex Garlands kalkulierten Kriegsdramas antizipiert weder eine zeitaktuelle Thematik noch politische Provokation, sondern lediglich ein kommerzieller Köder für ein maximal breitgefächertes Publikum. In ihrer soziologischen und systemkritischen Substanzlosigkeit erinnert die in martialischen Moralismus getränkte Story an ein ideologisches Malbuch, in dem alle die sich aus obskuren Gründen bekriegenden Fronten selbst ausfüllen können – in neo-libertären Konturen. Diese Farblosigkeit teilen die eindimensionalen Charaktere, deren Schicksal ihre prototypische Persona vorgibt. (LIDA BACH)
Unheil lauert indes auch in Matt Bettinelli-Olpins und Tyler Gilletts Vampirhorror ABIGAIL über eine Gruppe von Kriminellen, die die junge gleichnamige Ballerina entführen und eine Nacht lang in einem entlegenen Herrenhaus bewachsen sollen und in EVIL DOES NOT EXIST, dem neuen Film von Ryusuke Hamaguchi über ein abgelegenes, japanisches Dörfchen, in dem eine Glamping-Anlage entstehen soll. Letzterer verpackt sein Unheil in eine gewohnt entschleunigte, aber dennoch unheimlich soghafte Inszenierung mit fesselnden Bildern und einprägsamer Musik von Eiko Ishibashi.
Ein Rascheln in den Zweigen
Ein ebenso kleiner wie erwähnenswerter Kinostart wurde Elene Naverianis AMSEL IM BROMBEERSTRAUCH in der zweiten Hälfte des Kinomonats April zu Teil. Im Spielfilmdrama der georgischen Regieperson wird das Leben einer Ende 40jährigen nach einem Unfall ordentlich aufgerüttelt und es entsteht …
… ein einfühlsames Figurenporträt, ein ungezwungener, kitschfreier Blick auf Körper, Sexualität und Begehren, ein Gegenzeichnen äußerer und innerer Perspektiven, ein Träumen, Bangen, Sehnsüchtesuchen. Ein Aufbrechen patriarchaler Selbstverständlichkeiten, ein lebendiges Spiel der Farben und Erinnerungen, ohne traumtänzerisch verloren zu gehen. Ein dichtes Geäst aus Schönheit, Traurigkeit und Emanzipation, aus Älterwerden und (Un-)Glücklichsein. (Paul Seidel)
Aufruhr am Ende des Monats
Zum Ende des Monats fegte dann noch die neue Action-Komödie von David Leitch über die Leinwände: THE FALL GUY mit Ryan Gosling und Emily Blunt tauchte in die Stuntman- und Schauspiel-Branche ein, verknüpfte Huldigung mit Liebesgeschichte, flache Witze mit gefälliger Action. Im April waren wir auf der Europapremiere des Films und konnten ein paar O-Töne der Stars sammeln:
Bereits einige Tage zuvor startete mit MARS EXPRESS von Jérémie Périn zudem ein französischer Animationsfilm in den deutschen Kinos. Der dystopische Science-Fiction-Krimi folgt einer Privatdetektivin im 23. Jahrhundert, die in einer Welt, in der Menschen und Androiden leben, einem Mord nachgeht.
MARS EXPRESS bietet spannende animierte Unterhaltung und bedient damit eine Zielgruppe, welche viel zu oft auf Filme für sich warten muss. Die Science-Fiction Animation im Cyberpunk-Setting überzeugt durch detailverliebte Designs, passende Sounds, einen bewegenden Soundtrack, sowie philosophische Fragen, die zum Nachdenken anregen. Einzig ein Hänger in der Mitte des Films, der sich zu sehr in der Philosophie verliert, fällt negativ auf. Die Story wird in diesem Strang nebensächlich, woraufhin dieser entfernt werden könnte. Abseits davon ist MARS EXPRESS eine Empfehlung für alle, die philosophische Filme lieben und sich nach ansprechender Animation für Erwachsene sehnen. (Hel)
Weitere Starts im April 2024
MONKEY MAN von Dev Patel
“Dev Patel als Regisseur und Hauptdarsteller auf generisch Rachestreifzug zwischen wuchtig und klischeehaft” (Paul Seidel)
ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN von Josef Hader
IMMACULATE von Michael Mohan
UNION – DIE BESTEN ALLER TAGE von Annekatrin Hendel
zu unserem Interview mit u.a. Annekatrin Hendel geht es hier entlang: INTERVIEW
ICH CAPITANO von Matteo Garrone
OMEN von Baloji
BACK TO BLACK von Sam Taylor-Johnson
SIEGER SEIN von Soleen Yusef
zu unserem Interview mit Cast und Crew geht es hier entlang: INTERVIEW
DAS ERSTE OMEN von Arkasha Stevenson
“Ausdrucksarme Ästhetik und patente Darstellende auf Autopilot komplettieren den Edel-Trash.” (Lida Bach)
EIN GLÜCKSFALL von Woody Allen
NILAS TRAUM IM GARTEN EDEN von Niloufar Taghizadeh
ES SIND DIE KLEINEN DINGE von Melanie Auffret
ARTHUR DER GROßE von Simon Cellan Jones
“Konformes Retorten-Kino, dessen heuchlerische Rührseligkeit mehr erschöpft als jeder Gewaltmarsch.” (Lida Bach)
CHALLENGERS von Luca Guadagnino
STERBEN von Matthias Glasner
EUREKA von Lisandro Alonso
“Entwirft ein meditatives wie rätselhaftes, leise imposantes und soghaftes Kino-Kunststück.” (Paul Seidel)
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