Der weiße Faden, der sich zu Beginn des Films beim Abnehmerspiel zweier Kinder in sich verflechtet, gleicht einem Vorboten nachfolgender Spielminuten. Ähnlich wie dieser verstricken sich auch die Schicksale der Figuren in Kim Ki-youngs Klassiker des südkoreanischen Kinos, der in Kooperation mit der von Martin Scorsese gegründeten The Film Foundation nun beim Streaminganbieter MUBI erscheint. Das vom Korean Film Archive und dem World Cinema Project restaurierte Thrillerdrama ist der erste Teil Ki-youngs Hausmädchen-Trilogie, die er Jahre später mit WOMAN OF FIRE (1970) und WOMAN OF FIRE 82 (1982) fortsetzte.[1] Innerhalb dessen aber auch darüber hinaus zählt der 1960 erschienene HANYO – DAS HAUSMÄDCHEN (THE HOUSEMAID) zu Ki-youngs bekanntesten Werken. Kein Wunder, dass dem Film fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen ein gleichnamiges Remake beschert war und er auch von Bong Joon-ho als Inspirationsquelle für seinen oscarprämierten Film PARASITE genannt wurde.
Jene Anerkennung blieb dem Film von Kim Ki-young verwehrt, der nach anfänglichen Kassenerfolg erst Ende der 1990er internationale Aufmerksamkeit erhielt und heute zu den besten südkoreanischen Filmen aller Zeiten zählt.[2] Zu den Darsteller*innen des melodramatisch eingefangenen Psychothrillers gehören unter anderem Kim Jin-kyu und Ju Jeung-ryu, die ihrerzeit in vielen hunderten Filmproduktionen beschäftigt waren, sowie die damalige Debütantin Lee Eun-shim.
Darum geht es
Gemeinsam mit seiner Familie zieht ein Komponist und Klavierlehrer in ein neues, zweistöckiges Wohnhaus. Während seine Frau zuhause an der Nähmaschine ihr Geld verdient und auf die Kinder aufpasst, gibt er musikalische Unterrichtsstunden für Fabrikarbeiterinnen. Eines Tages erleidet seine Frau einen Schwächeanfall, und Dong-shik beschließt, ein Hausmädchen für den Haushalt einzustellen. Von einer seiner Schülerinnen wird ihm ein Dienstmädchen vorgestellt, welches sich schnell mit unkonventionellen Vorgehensweisen bemerkbar macht. Sie fängt Ratten mit bloßen Händen und rückt dem Familienvater verführerisch näher. Als sich dessen Frau außer Haus befindet, nehmen schreckliche Vorfälle ihren Lauf, die das gesittete Leben der vierköpfigen Familie auf tragische Art und Weise beenden …
Rezension
Kontrastreich wie das Spiel mit Licht und Dunkelheit in den schaurig gefilmten Schwarzweiß-Bildern ist auch Ansehen und Leben der unterschiedlichen Figuren, die als traditionelle, gut situierte Familie und als einfache Haushaltshilfe aufeinandertreffen. Harmonie gibt es in beiden Lebensrealitäten selten. Von Beginn an liegt flüchtiges Potential von Anspannungen in der Luft, seien es kleine Streitereien der Kinder, ein Liebesbrief an den Herren des Hauses oder das Inspizieren der Hände vorm Klavierspielen. Tatsächlich greifbar werden diese jedoch erst mit Einführung des titelgebenden Hausmädchens, welches sich gleich beim ersten Kennenlernen heimlich und wie auf findigen Katzenpfoten durch die Zimmer des Hauses schleicht und welcher von verschiedensten Seiten Argwohn entgegenschlägt.
Mit ihrer Anwesenheit und den unversteckten sexuellen Avancen beginnt die gutbürgerliche Fassade der Familie im Chaos zu versinken und die Handlung, etliche dramatische Wendungen einzuschlagen. Wo PARASITE Jahre später spielerisch die Genregrenzen zwischen Comedy, Thriller und Drama aufweichen sollte, lässt sich THE HOUSEMAID unmissverständlich als Psychothriller und Horrordrama einordnen. Mittels melodramatischen Musikeinsatzes werden einzelne Schockmomente aufgebläht, die aber schon wenig später keinen emotionalen Impact mehr auf die Figuren haben und diesen auch keine Zeit zur Verarbeitung der Geschehnisse geben. Ab einem gewissen Punkt der anhaltenden Zuspitzung überwiegt der Rausch der Figuren, der jegliche rationale Betrachtungsweisen widersinnig macht.
Die Klaviatur des Horrorthrillers
Aufgeladen ist in vielen Szenen nicht nur die überdeutliche Musikgestaltung, sondern auch das Schauspiel, welches selten ohne theatralische Züge auskommt. Die Beziehungsgeflechte und deren besorgniserregenden Dilemmata sind hochdramatisch ausgespielt, die schrecklichen Konsequenzen erst recht. Das situative Over-Acting, bei welchem ein handfester Streit auch mal den Fernseher durchs Zimmer fliegen lässt, kaschiert den Realismus, entwickelt jedoch in Anbetracht der waschechten Horroreinschläge eine eigene, wenn auch oft schreiend vorgetragene Wirkung. Lee Eun-shim spielt die junge Haushaltshelferin darüber hinaus mit eindringlicher Mimik und Ambivalenz, die Kim Jin-guys Rolle des Familienvaters und anerkannten Klavierspielers in Sachen Ausdruckstärke übertreffen kann. Ihr Schauspiel ist dem Thrill filmtechnischer Raffinessen ebenbürtig.
Von solchen gibt es in THE HOUSEMAID zahlreiche und sie bekräftigen die Stärken des Films. Mag das Schauspiel stellenweise eine Frage der Gewöhnung sein, Atmosphäre und Kniffe im Schnitt sind nahezu zeitlos. Das Spiel mit Perspektiven, Hell-Dunkel-Kontraste und die Beschränkung auf und perfekte Ausnutzung der wenigen Kulissen trägt zur klaustrophobischen Stimmung der Geschehnisse bei. Ebenso schnüren Wiederholungen und Abwandlungen von etablierten Klavierstücken den Film auf künstlerischer und das wiederholte Auftauchen von Handlungsorten den Film auf erzählerischer Ebene immer fester zusammen, sodass THE HOUSEMAID seine Wirkung auch heute noch entfalten kann.
Fazit
Kim Ki-youngs THE HOUSEMAID wartet nicht lang, sondern etabliert seinen unbehaglichen, einengenden Flair bereits in einer stimmungsvollen Credit-Sequenz. Atmosphärisch reißt der Bann daraufhin niemals ab, gewinnt durch die saubere und kontrastreiche Kameraarbeit sowie effektvolle Schnitte und eindringlichen Score nur noch an Intensität. Angestaubt wirken da nur einzelne Performances und die unentwegt melodramatische Überzeichnung wichtiger Momente, die selten Spielraum für subtile Emotionen und Reaktionen lässt. Für Genrefans und Freunde des südkoreanischen Kinos ist der Thriller-Klassiker, der nachfolgende Filme inspirieren sollte, dennoch zu empfehlen.
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Quellen:
[1] 100 Korean Films, zuletzt abgerufen am 24.04.2022
[2] 1960-1969, koreanfilm.org, zuletzt abgerufen am 24.04.2022
Originaltitel | Hanyo (하녀) |
Erstveröffentlichung | 1960 |
Streaming – Release | 27.04.2022 |
Länge | ca. 109 Minuten |
Produktionsland | Südkorea |
Genre | Krimi | Drama | Thriller |
Re-Release bei | MUBI |
FSK | unbekannt |
Regie | Kim Ki-young |
Drehbuch | Kim Ki-young |
Musik | Sang-gi Han |
Kamera | Deok-jin Kim |
Schnitt | Young-Keun Oh |
Besetzung | Rolle |
Jin Kyu Kim | Dong-sik Kim |
Jeung-nyeo Ju | Mrs. Kim |
Eun-shim Lee | Myung-sook |
Aeng-ran Eom | Kyung-hee Cho |
Seon-ae Ko | Seon-young Kwak |
Sook-Rang Wang | |
Seok-je Kang | |
Jeong-ok Na | |
Sung-Ki Ahn | Chang-soon Kim |
Yoo-ri Lee | Ae-soon Kim |
Jeong-hee Ok | |
Ok-joo Le | |
Nam-hyeon Choi | |
Bang-Choon Nam |
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