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Review

In Deutschland herrscht bereits seit Jahren der Pflegenotstand und spätestens seit der Coronapandemie zeigt sich, wie sehr die Pflegeversorgung am seidenen Faden hängt. Die Politik ignoriert das Problem seit jeher, obwohl es alle betrifft und bis zum Jahr 2029 bis zu 260000 Pflegekräfte fehlen können. Auch in der deutschen Filmlandschaft ist das Thema bisher nur eine nette Seitenkritik gewesen. Umso wichtiger ist die Idee des schweizer-deutschen Films HELDIN von Petra Biondina Volpe, der auf dem Buch „Unser Beruf ist nicht das Problem: es sind die Umstände“ basiert und Leonie Benesch als Pflegefachfrau in einer überfordernden Spätschicht in den Mittelpunkt stellt.

Um das Geschehen realistischer wirken zu lassen, hat Leonie Benesch durch ein Praktikum in einem Schweizer Krankenhaus Erfahrungen gesammelt, die die Art ihres Schauspiels erheblich geprägt haben. So berichtet die Schauspielerin geschockt von den Tagesabläufen, dass ruhige Schichten eher die Seltenheit sind und HELDIN das Chaos zwar treffend, aber in manchen Punkten wahrscheinlich geschönt präsentiert. Der Film zeigt den Normalzustand der Pflege, was zu denken geben sollte, da es sich um einen Ausnahmezustand handelt, der nur gehässig auf Fehler wartet.

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Die Schauspielerin für undankbare Berufe

Bereits in DAS LEHRERZIMMER konnte Leonie Benesch ihr Talent für stressige Berufe unter Beweis stellen und verkörperte die Grundschullehrerin, die mit überfordernden Kindern konfrontiert wird, treffend. Doch mit ihrem realitätsnahen Schauspiel in HELDIN übertrifft die Schauspielerin sich selbst. Leonie Benesch setzt die höfliche Miene bei Patienten auf, versucht Ruhe zu vermitteln, aber lässt ihre Emotionen in besonders stressigen Situationen entgleiten. Das Publikum ist vom Letzteren geschockt und bewundert zugleich, denn dieses weiß, dass es bereits viel früher die Fassung verloren hätte. Leonie Benesch erinnert an eigene Erfahrungen mit Pflegefachkräften und zieht dadurch in den Bann.

Das ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil auf ein realistisches Umfeld geachtet wurde. Damit ist nicht mal die Tatsache gemeint, dass HELDIN im leerstehenden See-Spital in Kilchberg und im Kantonsspital Baselland gedreht wurde. Sondern vielmehr geht es um den Alltag: Es gibt Patienten, die die Extrawurst haben wollen und auf ein Einzelzimmer pochen, die drängelnden Angehörigen, die alles sofort wissen wollen und die Privatpatienten, die einen Aufenthalt wie im Sternehotel erwarten. Gerade bei Letzteren entgleitet selbst Leonie Benesch das Gesicht. Ein wichtiger Charakterzug, da selbst die mächtigste Fassade irgendwann bröckelt.

ein langer, hell erleuchteter Krankenhausgang, Leonie Benesch schiebt ein Bett den Gang entlang

Heldin ©2025 TOBIS Film GmbH

Höllenjob Pflege

HELDIN zeigt auf, was längst bekannt sein sollte: der Beruf Pflege ist undankbar und dennoch wichtig. Die Fachkräfte geben auch unterbesetzt ihr Bestes, sind aber gleichzeitig mit Auszubildender (Selma Jamal Aldin) an der Seite maßlos überfordert. Im Krankenhaus kommt es nie zur Ruhe und der normale Ablauf der Patientenbesuche wird regelmäßig durch Anrufe, Notfälle, Abholungen aus OPs und weiteren unterbrochen, wodurch das Stresslevel unausweichlich steigt. HELDIN inszeniert das Geschehen dabei rasant und setzt auf Suspense, welches Zuschauenden schier den letzten Nerv raubt. Denn diese warten auf das Unausweichliche: einen folgeschweren Fehler.

Als dieser geschieht, weil Leonie Benesch die Schmerzmittel zweier Patienten vertauscht, bangen die Rezipienten und gehen vom schlimmstmöglichen aus. Denn solche Fehler können über Leben und Tod sowie die juristische Freiheit der Pflegefachkraft entscheiden. Doch HELDIN löst die Szene auf eine Art, die als zweischneidiges Schwert im Raum steht. Einerseits zeigt der Film nicht genug auf, wie verheerend Fehler in der Pflege sind, währenddessen der Zusammenhalt als Notwendigkeit und die Gefahr des Notstandes aufgezeigt werden. Denn mit dem Fachkräftemangel sind unterbesetzte Schichten eine Zumutung und können nur zu Fehlern führen. Doch in Zeiten, in denen dringend benötigtes Geld für Gesundheit und Soziales lieber ausschließlich in Rüstung investiert wird, kann sich nichts zum positiven ändern.

umringt von braun-orangen Stahlschränken sitzt eine Krankenschwester auf einer Bank

Heldin ©2025 TOBIS Film GmbH

Das Leiden aller Seiten

Und somit wird das Pflegepersonal zum Stressball für Ärzte, die mehr Einsatz fordern sowie Patienten, die verdiente Klarheit wollen. Der Dampf und Ärger wird an diesen ausgelassen, obwohl das Problem weiter oben liegt und systemisch ist. Doch HELDIN zeigt auf, dass es für die meisten Menschen einfacher ist, nach unten zu treten und das direkte Umfeld für ein Chaos verantwortlich zu machen. Damit zumindest die Patienten nicht mit einer 100% Arschlochquote präsentiert werden, bietet der Film auch Perspektiven aus deren Seite, in die sich hineinversetz werden kann. Diese Patientenperspektiven wollen Leonie Benesch nicht auf die Füße treten und zeigen, dass dieser Notstand eine Last für Alle ist.

Fazit

HELDIN reißt die Zuschauenden mit, ist mit seinem dokumentarisch gefilmten Stil (Kamera: Judith Kaufmann) immersiv, geht unter die Haut und ist mit seiner Thematik aktueller denn je. Denn wir leben in Zeiten, in denen Corona vor fünf Jahren gezeigt hat, dass alles zusammenbrechen kann, sich aber niemand in der Politik dafür zu interessieren scheint. Und die letzten Gesundheitsminister haben wenn überhaupt widerwillig ein Interesse für die Pflege geheuchelt. Doch gerade in Zeiten, in denen Wehrpflicht und die Verteidigungsfähigkeit des Landes diskutiert wird, muss eine Reform der Pflege her. Denn es stellt sich die Frage, wie verteidigungswürdig ein Land ist, das sich nicht um die Alten sowie Kranken kümmern kann und scheinbar auch nicht will.

HELDIN wird durch seine gesellschaftskritische Message zum Pflichtprogramm. Denn der Film zeigt nicht nur auf Missstände in der Pflege auf, sondern bietet den Zuschauenden den Raum für Selbstkritik. „Ist ein Besuch im Krankenhaus notwendig?“, „Sollte ich zum Personal demnächst geduldiger sein“ und „Wie kann ich den Ablauf als Patient unterstützen?“ sind Fragen, die bei der Sichtung aufkommen. Es ist beeindruckend, was der Film für gerade mal vier Millionen Schweizer Franken bietet. Schade nur, dass HELDIN wie schon DAS LEHRERZIMMER vor zwei Jahren kaum ein Publikum in den Kinos gefunden hat.

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Originaltitel Heldin
Kinostart 27.2.2025
Länge: 92 minuten
Produktionsland Switzerland
Genre: Drama
Regie Petra Biondina Volpe
Producer Lukas Hobi | Reto Schärli | Bastian Griese
Kamera Judith Kaufmann
Musik Emilie Levienaise-Farrouch
Cast Leonie Benesch, Alireza Bayram, Jürg Plüss, Jasmin Mattei, Lale Yavaş, Andreas Beutler, Urs Bihler, Sonja Riesen, Ali Kandas, Margherita Schoch, Nicole Bachmann, Doris Schefer, Selma Jamal Aldin, Albana Agaj, Ridvan Murati, Urbain Guiguemde, Elisabeth Roll, Heinz Wyssling, Eva Fredholm, Onur Kurtulmus

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