Rechnet man die Spielzeit aller Beiträge zu den diesjährigen Berlinale Shorts zusammen, ergeben sich in etwa sechs Stunden Spielzeit. In dieser Zeit könnte man vier Mal den Eröffnungsfilm SMALL THINGS LIKE THESE schauen, immerhin zweimal Matthias Glasners Wettbewerbs-Beitrag STERBEN und bei EXERGUE – ON DOCUMENTA 14 käme man fast bis zur Hälfte. Anders als Dimitris Athiridis Dokumentationsriesen, der sich in 14 Kapitel teilt, besteht das Programm der Berlinale Shorts aus 20 verschiedenen Beiträgen. Zu einer Handvoll dieser Kurzfilme haben wir euch an dieser Stelle ebenso knappe Eindrücke zusammengetragen.
STADTMUSEUM von Boris Dewjatkin
Collagenartig reihen sich die Bilder in Boris Dewjatkins Kurzfilm aneinander, getrieben von einem gestochen formulierten Voice Over, das belehrt, reflektiert und theorisiert. Entstanden ist eine rastlose, dokumentarisch-essayistische Aufarbeitung des Lebensraums “Stadt” als offenes Kunstwerk, als Rezipient und Produzent, formend und formbar. Eine extrovertierte Mischung aus wackeligen Aufnahmen, Anekdoten und verzerrten Stimmen inszeniert die Stadt als Museum der radikalen, unvorhersehbaren Art.
LICK A WOUND von Nathan Ghali
Animation, Dokumentation und Installation verschwimmen im Keller einer Kirche zu Einblicken in ein ungewöhnliches Milieu. Zentrum diese sind Tiere, die durch die Dunkelheit tappen, dösen, sich erinnern, grübeln und trauern. Untertitel interpretieren ihr Schnurren und andere Laute, drücken den Figuren menschliche Gedanken und Eigenschaften förmlich auf. So künstlich wie die animierten Hauptdarsteller sind letztlich viele der bedeutungsschwangeren, zähen Spielminuten und Aufnahmen, in denen die Assoziationskraft des Publikums nahezu keinen Platz findet.
THE MOON ALSO RISES von Yuyan Wang
Computerstimmen und das Licht von Bildschirmen und Neonröhren übernehmen die Sprache der zurückgezogen lebenden Hauptfiguren, zu denen selten eine Nachricht von der Außenwelt dringt, es sei denn, künstliche Monde sollen ins All geschossen werden. Mit wenigen Mitteln gestaltet sich ein hypnotischer Blick in eine dystopische Zukunft, nicht allzu weit entfernt vom aktuellen Zeitgeist. Elegisch und gelegentlich experimentell – vierundzwanzig Minuten Science-Fiction, die einmal mehr zeigen, was mit überschaubaren Effekten und Kulissen möglich ist.
TOWARDS THE SUN, FAR FROM THE CENTER von Luciana Merino und Pascal Viveros
Dicht an dicht schwitzen die Häuser der Kleinstadt, wenige Menschen setzen einen Schritt vor die Tür. Zwei von ihnen sind die Protagonist*innen des Kurzfilms. Kommentarlos beobachtet der Film die im verschwommenen Stadtpanorama winzig erscheinenden Spielfiguren, die umhergehen, suchen und finden. AL SOL, LEJOS DEL CENTRO zeichnet kleine unaufdringliche Gesten am Rande, weit weg vom Zentrum der Stadt, vom Zentrum des eigenen Umfeldes und ist dabei gelegentlich so behäbig und schleierhaft wie die Bilder, die nur erahnen lassen, welche Gemüter sich dem queeren Paar außerhalb der Sonne entgegenschlagen.
CITY OF POETS von Sara Rajaeis
Alte Fotoaufnahmen, in denen die Wolken vorüberziehen, sonst jedoch die Zeit stillsteht, sind nur eines von vielen geisterhaften und poetischen Fragmenten Sara Rajaeis filmischen Spaziergangs durch eine Stadt, in der alle Straßen nach Poeten benannt sind. Puzzleartig fließen die Geschichte einer Stadt und die umrissartiger Figuren ineinander wie Ort und Zeit in der Aneinanderreihung der Archivaufnahmen. Die Erinnerungen an vergessene Dichter mögen mit laufender Zeit den Straßennamen von Nationalhelden, Königen, Wissenschaftlern, Bergen weichen, die poetisch-assoziative Aufmachung aber nie einer konventionellen Erzählstruktur.
Weitere Gedanken zu Beiträgen der Berlinale Shorts
Ungewöhnliches Regenwetter gibt es in KAWAUSO,
das Wiedersehen zweier einst Verliebter in GOODBYE FIRST LOVE,
und Einblicke in das Leben einer chinesischen Familie in REMAINS OF THE HOT DAY.
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