Kinostart: 20.02.2020
Länge: ca. 89 Minuten
Produktionsland: Deutschland
Regie: Tim Dünschede
Schauspieler:innen: Elisa Schlott | Tilman Strauss | Martin Semmelrogge
Genre: Drama | Thriller
Verleih: Nordpolaris
Vor kurzem noch überraschte uns 1917 mit einer grandiosen Kameraperformance, die zurecht auch in den internationalen Preisvergaben mehrfach ausgezeichnet wurde. Sam Mendes gaukelt darin dem Publikum vor einen Film, ohne einen einzigen Schnitt gedreht zu haben, was bekanntermaßen natürlich nicht so ganz stimmt. Nun jedoch taucht aus dem Nichts eine deutsche Produktion auf mit dem Untertitel: Drei Leben. 90 Minuten. Ein Take. Und hier handelt es sich, sofern nicht unkenntlich für den Zuschauer doch getrickst wurde, tatsächlich um einen One-Shot-Film.
One-Shot: Was ist das?
Doch was heißt das eigentlich? Im Grunde nur, dass LIMBO in einer Live-Performance gedreht wurde. Sprich die Kamera läuft 90 Minuten durch, ohne dass sie ein einziges Mal ausgeschalten wird. Der fertige Film enthält keine weiteren Schnitte, um andere Blickwinkel oder Handlungsorte einzubringen oder einfach etwas Zeit vergehen zu lassen. Alles wird in Echtzeit gespielt! Das klingt echt aufwendig und ist es natürlich auch. Während vor der Kamera der Zuschauer kaum etwas merkt und getrost der Handlung folgen kann, werden im Hintergrund ständig die Sets umgebaut (meist an realen Schauplätzen), die Requisiten vorbereitet, die Texte der nächsten Szenen noch einmal durchgegangen sowie Maske und Kostüm angepasst. Dafür existiert jeweils nur wenig Zeit und alles muss auf den Punkt geplant sein. Insbesondere das Kamerateam muss dabei genaustens bescheid wissen, wo wann was gedreht wird und wie sie sich zu bewegen haben, denn ein einziger Fehler könnte die Aufnahme ruinieren.
Für das Produktionsteam bestehend aus Holger Jungnickel, Tim Dünschede und Fabian Halbig bedeutet LIMBO jedoch noch viel mehr, denn zum einen ist dies der Abschlussfilm des Studiums von Holger und Tim, zum anderen stellt dies ein beispielloses Projekt für Fabian dar. Laut eigener Aussage brachte ihm diese Produktion einige seiner wertvollsten filmischen Erfahrungen ein und forderte das Team auf eine neue, zuvor undenkbare Art und Weise. Doch hat sich all die Mühe auch gelohnt?
Ein Finanzproblem wirft Fragen auf
Ana ist eine junge aufstrebende und engagierte Compliance Managerin, die am liebsten rund um die Uhr arbeiten würde, wenn sie nicht auch etwas Schlaf bräuchte. Eines Freitagabends fallen ihr recht hohe Rechnungen ihrer Firma ins Auge, die ihr unerklärlich scheinen, woraufhin sie sofort handelt und versucht die Führungsebenen zu kontaktieren. Doch leider sind fast alle schon im Wochenende und niemand hat mehr so recht Lust sich um dieses Problem zu scheren. Doch vor der Tür ihrer Firma trifft sie doch noch auf CEO Frank Mailing, der verzweifelt versucht sie abzuwatschen, während dessen nebenstehender Kunde sie jedoch herzlich ins gemeinsame Taxi einlädt die Beiden zu begleiten. Es geht für alle in eine illegale Lokalität, in der Bare-Knuckle-Fights ausgetragen werden. Doch wird Ana es dort schaffen dem CEO die Dramatik des Problems klar zu machen und ihn zum Handeln bewegen?
Schon vorweggenommen kann gesagt werden, dass LIMBO ein äußerst mutiges Projekt ist. Zum einen, weil es, wie eingehend schon erwähnt, eine Menge Arbeit und Vorbereitung benötigt einen One-Take-Film zu drehen, zum anderen, weil die Handlung in Bezug auf die Spieldauer sehr beschränkt ist und daher wenig Entwicklungsspielraum lässt und daher exakt stimmen muss, um den Zuschauer nicht zu verlieren. Nun besteht natürlich die Frage, wie beide Herausforderungen dem Filmteam geglückt sind?
Ungeklärte Motivation der Protagonisten
Ausbaufähig ist wohl die treffendste Beschreibung für diesen Film, denn während es eine ganze Weile dauert, bis die Handlung wirklich in Fahrt ist, schafft es der Schluss diesen Mangeln nicht wieder auszugleichen. In der ersten Dreiviertelstunde passiert gefühlt nichts Relevantes. Hier werden Stück für Stück die einzelnen Figuren vorgestellt, die auf völlig unterschiedliche Wege aufeinandertreffen. Lange Dialogszenen überspielen jegliche Möglichkeit visuellen Charme zu erzeugen, gefolgt von zwei langen Autofahrten, die die Story kein bisschen voranbringen und doch eher nervig und langweilig erscheinen. Diese vermitteln vielmehr das Gefühl, dass die Setdesigner am finalen Handlungsschauplatz noch nicht ganz fertig waren und daher der Zuschauer noch ein paar extra Runden zugeteilt bekommt, um nicht vorzeitig ein halbfertiges Set betrachten zu müssen.
Doch leider ist dies noch das geringste Problem. Leider wird nämlich die Motivation für die Handlungen einzelner Figuren nur bedingt klar. Elisa Schlott vermittelt in den ersten Minuten das Gefühl, sie hätte als Ana die Macht eine große Bankenkrise, einen atomaren Supergau oder einen Terroranschlag zu vereiteln, liefert jedoch dann nur eine kleine Problematik um zu viel gezahlte Ausgaben einer Firma. Mit dieser dramatischen Zuspitzung wird zwar erstmal eine Grundspannung erzeugt, die seinen Reiz vor allem darin findet, dass sie keine Lösung findet diesen Supergau noch zu verhindert, da niemand daran Interesse zeigt, jedoch jegliche Brisanz verliert sobald klar wird, dass es sich nur um ein läppisches Wirtschaftsproblem handelt.
Ein Staffellauf durch die Szenen
Ebenso wird die Wichtigkeit einzelner Szenen völlig untergraben von belanglosem Vorgeplänkel, weshalb diese im Gesamtkonzept etwas untergehen. So wird Tilman Strauss‘ erster Auftritt nur beiläufig wahrgenommen und vielmehr als Staffelstab angesehen, um an einen neuen Schauplatz zu führen, wie es kurz vorher mit der Verkäuferin eines kleinen Ladens auch der Fall ist. In Wahrheit verrät dieser Moment jedoch schon wichtige Informationen für die kommenden Geschehnisse.
Diese Methodik wird gleich mehrfach genutzt, wobei die Kamera stets als eben jener Staffelstab dient. Diese folgt immer wieder einem der Protagonisten solange, bis dieser auf einen anderen wesentlichen Darsteller trifft. Von da an folgt das Bild dann plötzlich der nächsten Figur. Dadurch entsteht ein wenig der Eindruck, dass stets ein Etappenziel erreicht wird und die Schauspieler sich in Abwesenheit der Kamera schnell auf die nächste Einstellung vorbereiten müssen. Ähnlich wie ein Theaterstück, wo die Bühnenstars hinter dem Vorhang noch einmal einen schnellen letzten Blick auf ihren Text werfen. Die daraus entstehende Dynamik hat einen etwas seltsam, erzwungenen Charakter.
Der Showdown, der sich in der Zusammenfassung auch deutlich als solch einer liest, verpufft in LIMBO dann doch etwas, da das Gefühl aufkommt, das Produktionsteam hätte keine Zeit mehr und müsse daher den letzten Kniff schnell noch raushauen. Sprich zu Beginn wurde viel Zeit verschenkt, die im Showdown wichtig gewesen wäre. Die schnelle Abarbeitung der finalen Geschehnisse behält zwar stets eine gewisse Spannung bei, schafft es jedoch weder emotional noch visuell zu überzeugen.
Beeindruckend, aber nicht spektakulär
Doch neben all diesen Kritikpunkten sei natürlich gesagt, dass es sich egal wie, doch um eine beeindruckende Leistung aller Akteure handelt. Es gibt viele Ansatzpunkte an denen zukünftig gefeilt werden müsste und die fern ab von dem überragenden Vergleichsfilm VICTORIA sind, doch hat vor allem Martin Semmelrogge eine für mich beeindruckende Arbeit gezeigt, die ich in seinem Alter nicht mehr von ihm erwartet hätte, angesichts der vielen Trash-Rollen in seiner Karriere. Die dramaturgische Entwicklung ist weitestgehend sinnvoll und bietet einen recht sympathischen Schlusspunkt, welcher nicht unbedingt zu erwarten war. Schade ist, dass Protagonistin Elisa Schlott doch weitestgehend sehr gekünstelt rüberkommt und daher keine locker leichte Rolle in diesem Ensemblefilm schafft zu präsentieren. Bei allen anderen Darstellern kommt jedenfalls viel eher das Gefühl auf, dass sie sich in ihrer Figur wohlfühlen.
Insgesamt ein Film, den man sich durchaus mal anschauen kann, insbesondere um die hervorragende Arbeit der etwas älteren deutschen Produktion VICTORIA würdigen zu lernen, in der doch einiges etwas runder lief. Als Abschlussarbeit für ein Studium ist dieser Film jedoch nicht zu verachten und weist einige spannende Momente auf. Generell ist es mutig einen One-Shot-Film zu produzieren im Angesicht mit der großen Gefahr an Fehlerquellen. Sprich jegliche kritisierende Anteile dieser Review werden durch den im Hintergrund stattfinden Produktionsaufwand etwas abgemildert und lassen die Hoffnung bestehen, dass dieser noch recht junge Regisseur zukünftig häufiger diese Art des Filmdrehs aufgreift und damit den Realismus zurück auf die Kinoleinwände deutscher Produktionen bringt.
Nach der genialen Inszenierung des Films VICTORIA ist LIMBO nun der nächste aus Deutschland stammende One-Shot-Versuch. Inszeniert vom noch recht jungen Tim Dünschede, zeigt dieser Film eine recht spannende Story mit einem ungewöhnlich starken Martin Semmelrogge. Dieser legt etwas seinen üblichen zwielichtigen Schauspielcharme ab und erfindet sich neu als alter Gauner, der das illegale Geschäft endlich an den Nagel hängen möchte. Während das Werk natürlich durch die Kameraarbeit begeistert und einen interessanten Staffellauf visualisiert, bei dem stets die Hauptfiguren wechseln, gibt es doch auch einige gravierende Mängel, die sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch ins Gewicht fallen. Etwas durchdachter, etwas peppiger und vor allem etwas hellere Bilder hätten LIMBO wirklich gutgetan und daraus ein spannendes kleines Meisterwerk entstehen lassen können. Schade, dass dies nicht geschehen ist und so reiht sich das Werk in die langweiligen deutschen Krimiproduktionen vorne ein.