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Review Fakten + Credits


Nach Kim Ki-Youngs packenden Schwarzweiß-Thriller HANYO – DAS HAUSMÄDCHEN, Mohammad Reza Aslanis verloren geglaubter Perle THE CHESS GAME OF THE WIND, Med Hondos entlarvenden Debütfilm OH, SUN sowie etlichen anderen Filmen setzt Streaminganbieter MUBI die Kooperation mit Martin Scorseses World Cinema Foundation fort. Diesmal verschlägt es das cinephile Publikum nach Südostasien zu einem Klassiker der philippinischen Filmgeschichte. Längst erlangte Lino Brockas MANILA (oft mit dem englischsprachigen Zusatz: IN THE CLAWS OF LIGHT) internationale Anerkennung, wurde bei den Filmfestspielen von Cannes wiederaufgeführt und erhielt eine umfassende Restaurierung durch die 1990 gegründete Film Foundation.

Der auf ein Werk des philippinischen Schriftstellers Edgardo M. Reyes basierende Spielfilm wirft einen Blick auf die titelgebende Großstadt MANILA, heute Hauptstadt des unabhängigen Inselstaates. In der bewegenden Geschichte des Landes porträtiert der Film eine Zeit unter dem Regime Ferdinand Marcos, unter dessen Führung es nicht nur zu Korruption und Menschenrechtsverletzungen, sondern auch zeitweise zur Verhängung des Kriegsrechtes im Lande kam. Teil des Filmklassikers von den Philippinen, deren vor wenigen Monaten neu gewählter Machtinhaber der Sohn Marcos ist[1], sind so vor allem ungeschönte Blicke auf ausbeuterische und missbräuchliche Gesellschaftsstrukturen.

Darum geht es

Julio Madiaga (Bembol Roco) kommt von der Provinz Marinduque in die Großstadt Manila. Er ist auf der Suche nach seiner Liebe Ligaya (Hilda Koronel), die in Hoffnung auf eine bessere Ausbildung ebenfalls nach Manila gegangen war. Als einziges Andenken hat er stets einen Brief von ihr dabei. Desillusioniert vom Großstadtleben stolpert Julio von einer schweren Arbeit zur nächsten und gerät an den Stricher Bobby (Jojo Abella), der ihn in seine Arbeit einweiht …

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Rezension

Episodisch folgt der Film Julios städtischer Odysee, einer überwiegend glücklosen Suche nach seiner verschwundenen Liebe. Dass es in seinem Leben auch glücklichere Zeiten gegeben hat, lassen Erinnerungsfetzen an die Vergangenheit nur erahnen. Seine Gegenwart ist ungewiss, desillusioniert und düster. Manila ist keineswegs die Metropole, die sowohl ihm als auch seiner Geliebten, insgesamt vielen der jungen Generation versprochen wurde. Es ist eine problembelastete Großstadt, in der Armut, Ungerechtigkeit und zwielichtige Geschäfte gleichermaßen gedeihen und Menschen in ihre Abgründe ziehen.

Brocka zeigt die Stadt fernab von Sehenswürdigkeiten, zeigt Gassen, nächtliche Straßen, überfüllte Märkte, Baustellen, dunkle Hinterzimmer. Er widmet sich Figuren, die zu Überleben und ihren eigenen Weg in missbräuchlichen, habgierigen Strukturen zu finden versuchen, aber oft zu scheitern drohen. In unterschiedlichsten sozialen Gefügen werden Missstände vor allem in Bezug auf die ahnungslose, hin und wieder passive Hauptfigur Julio deutlich und andere machtvolle, etwa patriarchale Strukturen und deren verheerende Folgen für Mädchen und Frauen kommen nur anteilhaft aber nicht minder bestürzend zur Geltung.




In den Fängen einer Stadt

Julios Naivität und Unsicherheit führt ihn durch verschiedene Milieus, zu den unterschiedlichsten Menschen, zu Bauarbeitern, unnachsichtigen Aufsehern und letztendlich zu Call-Boys. So eindeutig seine Motivation, seine Liebe ausfindig zu machen, scheint, so mehrschichtig ist das Auftreten seiner Figur, die sich von falschen Vorstellungen und Versprechungen lösen muss und der gleichzeitig jugendlicher Entdeckungs- und Erfahrungswille Inne wohnen. Die Liebe zu Ligaya findet immer wieder (visuelle) Erwähnung, ohne auch nur einen Funken Kitsch aus Bildern von Sonnenuntergängen zu ziehen. Die ausweglose und zum Teil zerstörerische Realität holt romantische Motive ein, ehe  sie trügerisches Glück verbreiten können.

Gestalterisch ist MANILA ebenso einvernehmend, wie es der internationale Titel MANILA IN THE CLAWS OF THE LIGHT über die philippinische Großstadt sagt. Einzelne Orte pulsieren in Dreck und Hitze, lassen Ohnmachtsanfälle spürbar nah an das Publikum heran. In anderen Momenten blinken Lichter und Werbetafeln verlockend in der Nacht, doch sie sind nichts anderes als hintergründige Kulissen, um die sich der Protagonist nicht scheren kann. Besonders beklemmend und fesselnd stechen Musik und das Sounddesign hervor, weil sie Elendssituationen nie durch leidselige Melodien zu unterstreichen versuchen, sondern durch experimentelle Klänge und Verzerrungen zur Desorientierung und Irritation beitragen. Dissonante Töne erweitern die Dimensionen des ungeschönten Porträts einer Stadt, die nicht zuletzt dadurch selbst zur wirkungsvollen Bedrohung für die Figuren wird.

Fazit

MANILA ist ein weiteres Highlight der Kooperation MUBIs und der World Cinema Foundation. Lino Brockas auf einen Roman basierender Spielfilm ist spannendes wie eigenwilliges Weltkino in überwiegend glanzlosen und dadurch noch wirkungsvolleren Bildern.  Ein bedrückendes, ausschnitthaftes Stadt- und Gesellschaftsporträt und gleichzeitig eine tragische Geschichte von verlorengegangener Liebe, Ungerechtigkeit und dem Ende der unversehrten Jugend. Mit seiner visuellen und auditiven Eindringlichkeit, seinen Zeitzeugnissen, den authentischen Darsteller*innen und der Gesellschafts- und Regimekritik ist es nicht verwunderlich, dass er als einer der bedeutendsten Filme des philippinischen Kinos gilt.

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Quelle

[1] Neuer Präsident der Philippinen: Wahlsieg mit dem Namen des Vaters | tagesschau.de