FilmkunstmesseShiverAdamThe French Dispatch
Filmkunstmesse 21

Filmkunstmesse 2021 ©AG Kino – Gilde e.V.

Der Trubel ist fortgeblasen, das orange beschriebene rosafarbene Banner flattert nicht mehr im Wind vor dem kleinen Torbogen, und die Passagekinos kehren zum Normalbetrieb zurück. Nach fünf reich bestückten Messetagen, preisgekrönten Filmbeiträgen und allerlei Seminare und Sonderveranstaltungen fand die diesjährige Filmkunstmesse Leipzig nun ihr Ende. Zum 21. Mal waren eine Vielzahl von Kinobetreiber*innen, Verleih- und Institutionenvertreter*innen sowie weiteres Fachpublikum und Filmschaffende aus ganz Deutschland zum Austausch und Netzwerken, zum Sichten und Diskutieren zusammengekommen. Vom 20.-24. September 2021 konnten über 70 Filme gesichtet und über ein Dutzend Panels und Workshops zum Kino selbst und zur Kinoentwicklung besucht werden, verteilt über drei Kinos und sechs weitere Veranstaltungsorte rundum die Messestadt Leipzig.

Zur Zukunft der Branche

Zum jährlichen Treffen der Arthousebranche kamen viele hundert Fachbesucher*innen zusammen. Innovation, Professionalisierung und Vernetzung war dabei nicht nur Teil sondern auch Mittelpunkt vieler Veranstaltungen, wie beim Klimaschutz im Grünen Kino, der Entwicklung der Landkinos und den aktuellen Zahlen und Fakten zum Kinomarkt im Hinblick auf Corona und speziell auf Programmkinos. Im filmpolitischen Panel der Filmkunstmesse wurden die Auswirkung der Corona-Krise auf Kino und Förderung von Fachgästen wie dem Vorsitzenden AG-Kino Gilde Christian Bräuer, der Geschäftsführerin des Max Ophüls Preises Svenja Böttger und weiteren professionellen Branchen-Vertreter*innen diskutiert.

Filmkunstmesse 21

Filmkunstmesse 2021 ©AG Kino – Gilde e.V.

Es geht um etwas. Krisenbewältigung und Nachwirkungen, Zukunft und Innovation im Kino – Schlüsselworte, die den Messealltag spürbar durchzogen, von vielen Gesprächen der Fachbesucher*innen und gemeinsamen Netzwerken begleitet. Für Außenstehende könnte schnell der Eindruck entstehen, viele der angesprochenen Themen würden nie die cinephile Blase verlassen. Einige Inhalte, wie die weibliche Perspektive im Film und Internationale Netzwerkprojekte zum European Arthouse Cinema sind jedoch auch über Branchengrenzen hinaus aktuell und auf der offiziellen Seite der Filmkunstmesse näher nachzulesen.

Von Filmen und Preisen

Natürlich standen darüber hinaus auch Filme selbst und Gespräche mit Filmschaffenden im Mittelpunkt, die einen Großteil des Vormittags- und Nachmittagsprogramms ausfüllten. Eröffnet wurde die Filmkunstmesse von Wes Andersons neusten und lang herbeigesehnten Film THE FRENCH DISPATCH, zu dem sich im Laufe der Woche neun weitere Beiträge gesellten, die bereits bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes zu sehen gewesen waren. Unter anderen DRIVE MY CAR, der dort den Preis für das Beste Drehbuch erhielt und TITANE, welcher den Hauptpreis in Cannes gewinnen konnte. Inmitten vieler internationaler Produktionen lief außerdem der neuste Film von PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN – Regisseurin Celine Sciamma PETITE MAMAN, der neue Film von Woody Allen RIFKINS FESTIVAL und einer der aktuellsten Filme aus dem Hause A24 LAMB. An deutschsprachigen Beiträgen gab es unter anderem GROẞE FREIHEIT von Sebastian Meise, MEIN SOHN von Lena Stahl und NICO von Eline Gehring zu sehen.

Filmkunstmesse 21

Filmkunstmesse 2021 ©AG Kino – Gilde e.V.

Bei der Vergabe des Gilde Filmpreises triumphierte SCHACHNOVELLE von Philipp Stölzl als bester nationaler Film und IVIE WIE IVIE als bester Film im Jungen Kino. Den Publikumspreis der Filmkunstmesse gewann LUNANA – DAS GLÜCK LIEGT IM HIMALAYA. An anderer Stelle verlieh die Mitteldeutsche Medienförderung im Rahmen der Filmkunstmesse die Auszeichnung für das Beste Kinoprogramm 2020. Der mit 20.000 Euro dotierte Hauptreis ging an das Chemnitzer Kino Metropol.

Filmkunstmesse 21

Filmkunstmesse 2021 ©AG Kino – Gilde e.V.

Schlusswort

Nach einigen Tagen der Filmkunstmesse Leipzig ist das Repertoire an neuen Filmen und interessanten Eindrücken aufgestockt, die Kontaktliste einiger Fachbesucher*innen um einige Zeilen erweitert und die aktuellen Entwicklungen der Branche diskutiert. Wie auch in der Politik heißt es, dass es ein „weiter so“ nicht geben wird, wie in den offiziellen Artikeln zur Filmkunstmesse zu lesen ist. Weiter gehen wird es mit der Filmkunstmesse jedoch in jedem Falle, für die 22. Auflage sind bereits für nächstes Jahr die Termine bekannt gegeben worden. Dann wird es neue Filme und aktualisierte Bestandsaufnahmen, spannende Gäste und Diskussionsrunden und neben den Flyern und Materialien zu Filmen vielleicht wieder einer Packung bunter Nudeln im Begleitbeutel der Akkreditierten geben.

Als Kostprobe einiger cineastisch ereignisreicher Tage, gibt es hier nun drei kurze Eindrücke von Filmen, die im Programm der Filmkunstmesse Leipzig liefen und unser Journalist Paul unter anderem sichten konnte. Weitere ausführlichere Reviews werden in den nächsten Wochen folgen.

Trommeln im Wind

Wessen Ohren beim Sounddesign von Denis Villeneuves Dune dieses Jahr hellhörig geworden sind, dem dürfte jenen Sinnesorganen auch dieser Film eine große Freude bereiten. Die Dokumentation über die Taiko, großen japanischen Röhrentrommeln, entfaltet kein stringentes Narrativ, wohl aber eine fesselnde Klangwelt, die sich über die Laufzeit hinweg immer selbst zu übertreffen versucht. Der Film Toshiaki Toyoda kommt ganz ohne Worte aus und erzählt dabei mehr über das Instrument und die Leidenschaft der Musik, als es eine Dokumentation mit Voice-Over und Interviews je erzählen könnte.

Kinogänger*innen schwelgen auf einer essayhaften Reise zwischen Meditation und Überwältigung. Die Leidenschaften der Akteur*innen ist bemerkenswert und äußert sich neben der Musik in kraftvollen und intimen Bildern des Musizierens. Manche Musikstücke tragen zur Beruhigung bei, andere wiederum sind experimentell und äußerst aufwühlend in Szene gesetzt, sodass sie das Publikum in mehrerlei Hinsicht aufrütteln können. Und auch wenn der langsame Aufbau der Dokumentation die Geduld seiner Zuschauer*innen manchmal herausfordern kann, trommeln die ausdrucksstarken Taikos mit Leichtigkeit darüber hinweg.

Der Film SHIVER – DIE KUNST DER TAIKO TROMMELN erscheint voraussichtlich am 24. Februar 2022.

Emanzipation auf Marokkanisch

Ganz im Gegensatz zum wortkargen und männerdominierten Dokumentarfilm SHIVER steht der marokkanische Film ADAM. Das Spielfilmdebüt der Regisseurin Maryam Touzani erzählt die Geschichte von zwei Frauen, deren Wege sich in Casablanca auf unverhoffte Weise kreuzen. Samia (Nisrin Erradi) ist jung, schwanger und auf der Suche nach Unterkunft und Arbeit, welche sie nach langer Suche in der bescheidenen Bäckerei von Abla (Lubna Azabal) findet. Abla hat ihren Mann verloren und lebt seitdem allein mit ihrer Tochter Warda. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine besondere Freundschaft, die beide Leben aufwühlen soll.

Adam

Adam ©2021 Grandfilm GmbH

Nicht nur zeigt der Film dabei zwei vielschichtige Frauencharaktere, sondern ebenso zwei starke Schauspielerinnen, deren Miteinander überzeugt. Ihr Verbindung durch die Bäckerei, erinnert an Kelly Reichardts FIRST COW nur ohne die entsprechende Personifizierung der Probleme durch eine Kuh. Stattdessen zeigt der Film gesellschaftliche Missstände gleichsam wie intime und einfühlsame Momente, Einblicke in eine ferne Kultur und eigensinnige hartnäckige Charakterentscheidungen. Eine unaufgeregte, nachdenkliche und nahbare Charakterstudie aus Marokko.

Der Film ADAM erscheint voraussichtlich am 09. Dezember 2021.

Der phantastische und überladene Boulevard des Wes Anderson

Nach seiner Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes war Wes Andersons neuster Film sicherlich einer der meisterwarteten Filme der Filmkunstmesse. In gewohnt symmetrischer und stilsicherer Manier und mit gigantischen Staraufgebot (unter anderem Bill Murray, Benicio del Toro, Frances McDormand, Adrien Brody, Tilda Swinton, Owen Wilson, Timothée Chalamet …), erzählt Anderson in seinem neusten Film vom fiktiven Magazin THE FRENCH DISPATCH und dessen ulkigen Journalist*innen und Redakteur*innen.

The French Dispatch

© 2020 Twentieth Century Fox Film Corporation All Rights Reserved | The Walt Disney Company

In Kurzfilmstruktur eifert Anderson dem Blättern in einer Zeitung nach. Einem Künstlerporträt folgt der Politikteil, der Politik ein Bericht über einen Koch und eine Entführung. THE FRENCH DISPATCH platzt dabei so sehr aus allen Nähten wie kaum ein anderer Film des Regisseurs zuvor, nicht nur aufgrund der Stars, sondern auch wegen der Vielzahl an Stilen und Details. Eine Überhäufung und Überspitzung, die am ehesten die waschechten Anderson-Fans abholen, jedoch nur wenige darüber hinaus begeistern dürfte.

THE FRENCH DISPATCH sprüht vor Einfällen, bietet schwarzen Humor und großartige Ironie, in vielen Momenten jedoch eine Schippe zu viel. Kulissen und Kostüme besitzen ihren typischen Charme, die Kameraführung ihre bekannte Starrheit in der Bewegung und die Musik ihren französischen Flair – hundert Minuten, die sich nicht immer so leicht und beschwingt schauen lassen, wie es andere Filme des Regisseurs wie MOONRISE KINGDOM oder GRAND BUDAPEST HOTEL vorher taten, aber immer noch unterhalten können.

Zum baldigen Kinostart am 21. Oktober 2021 wird es auf dieser Seite voraussichtlich noch einen tieferen Einblick in den Film geben.