FilmkritikFakten + Credits

Bad Tales - Es war einmal ein Traum

Bad Tales – Es war einmal ein Traum ©2022 Angelo Turetta

Den silbernen Bären für das beste Drehbuch der Berlinale 2020 im Gepäck, schlägt der zweite Spielfilm der Zwillingsbrüder D’Innocenzo Anfang des Jahres in den deutschen Kinos auf. Die italienisch-Schweizer Koproduktion, die im italienischen Original den Titel FAVOLACCE (dt. „Schlechtes Gewissen“) trägt, erhielt darüber hinaus sieben Auszeichnungen beim Nastro d’Argento, dem ältesten jährlich vergebenen Filmpreis Italiens, sowie eine Drehbuch-Nominierung für den Europäischen Filmpreis. Vorzeichen für einen neue Delikatesse des modernen italienischen Kinos und ein lohnenswerter Start in ein neues Kinojahr?

Das grotesk gestaltete Plakat, eine überschattete Vorstadtsiedlung wächst aus einer aufgeschlagenen Buchseite, und der deutsche Titel BAD TALES – ES WAR EINMAL EIN TRAUM (nicht zu verwechseln mit dem argentinischen Episodenfilm WILD TALES!), schüren weiteres Interesse, welches vom Film auf ambivalente Art und Weise beantwortet wird. Dabei ist er neben seichter Groteske und verklärten Vergangenheitsblicken vor allem ungemütlich anzusehen, zum erzählerischen Vor- aber auch großen Nachteil der 98 Minuten Spielzeit.

Darum geht es…

Anstoßpunkt für die Geschichte ist, sofern dem namenlosen Erzähler vertraut werden darf, das verlorene Tagebuch eines Mädchens, aus dessen Einträgen sich ein Blick auf ein hochsommerliches Vorörtchen Roms ergibt. Dort sprießt das Familienidyll förmlich aus den steril und symmetrisch angelegten Grundstücken. Glückliche Eltern und strebsame Kinder sind jedoch nur eine Fassade, hinter der sich Gewalt, krude Fantasien und zunehmende Verrohung und Entfremdung verbergen …

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Rezension

Es dauert nicht lang, und das eingangs beschriebene Gefühl des Unwohlseins legt sich über die erste Familienzusammenkunft. Die Kinder werden mit ihren Zeugnis- und Betragensnoten vorgeführt, gescholten, wenn einer Note eins das dazugehörige plus fehlt. Die fast schon zeremonielle Zurschaustellung schürft von Beginn an am peniblen und scheinheiligen Auftreten der Eltern unter dem wohlwollenden Deckmantel einer vermögenden bürgerlichen Familie. Die Dekonstruktion dieser und einzelner Vertreter*innen wird zum roten Faden der Geschehnisse gesponnen, die sonst nur grob von einem unzuverlässigen Erzähler zusammengehalten werden.

Bad Tales - Es war einmal ein Traum

Bad Tales – Es war einmal ein Traum ©2022 Angelo Turetta

Böse Träume, böses Erwachen

BAD TALES – ES WAR EINMAL EIN TRAUM zeigt viele voneinander losgelöste Kapitel, die sowohl in der Zeit springen, als auch ihre Hauptakteur*innen ständig wechseln. Das szenische Mosaik reicht von gemeinsamen Familienessen über erste sexuelle Erfahrungen und Bombenbasteln im Kinderzimmer bishin zur nächtlichen Zerstörung eines Pools und ungewöhnlicher Beigabe zu Keksen. Willkürlich wird begonnen, an der einen Stelle von verführerischer Liebe zu erzählen, während andernorts über eine Vergewaltigung fantasiert wird. Undurchsichtig in seinen Aussagen reiht der Film Momente aneinander, die gelegentlich nicht vor kruden Männerfantasien und der frühreifen, zum Teil sexualisierten Darstellung einzelner Jungdarsteller*innen zurückscheut. Dass diese Momente sich dem beinah nostalgisch gefärbten Charakter des Films einfügen, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.

Für eine Vorort-Satire fehlt der nötige Biss, für ein ernstzunehmendes Drama sind viele der Szenerien zu zerschnitten und befremdlich. Statt das überspitzte Bild der Vorzeigeeltern/ Vorzeigefamilie richtig auseinanderzunehmen, kratzt Bad Tales einige Male daran und flüchtet dann zu einer anderen Nebenfigur, deren Handlungsstrang ähnliches durchlebt und ebenfalls seicht provoziert. Der Film kreiert zwar einen luftigen Mix aus unter anderem Drama, Thriller, Komödie und Coming of Age, zu wahren Höhenflügen in diesen Genren macht er sich allerdings nicht auf. Leider ist selten eine der Figuren, trotz oftmaligen Gefühls- und Gewaltausbrüchen der Erwachsenen, zugkräftig genug, um ihren Teil der Geschichte etwas Eigenständiges oder Reizvolles zu verleihen, obwohl viele der Schauspieler*innen ihre Rollen und deren Ekelhaftigkeiten sowie Macho-Gehabe durchaus ausdrucksstark mimen.

Bad Tales - Es war einmal ein Traum

Bad Tales – Es war einmal ein Traum ©2022 Angelo Turetta

Nicht alles Gold, was glänzt

Eingefangen ist das zum Teil konfus erzählte Konstrukt in hochwertiger Optik, welche die heile Welt ebenso gut auszugestalten und zu verbildlichen weiß, wie die düsteren und pessimistischen Gestaltsänderungen derselben. Häufig im Vordergrund stehen Bilder sommerlichen Begehrens und vermeintlichen Familienidyllen, bis die Charaktere meist des nachts mit ihren Worten und Taten Kontrastpunkte setzen, etwa wenn der Vater wütend den Abendbrottisch verlässt oder seinen Sohn nach einer empfindlichen Frage vermöbelt. Auch der schiefe Sound und die Musik geben sich alle Mühe, das Unwohlsein des Gezeigten zu maximieren und dem Gefühlschaos inszenatorische Ecken zu verleihen. So entstehen durchaus (alb-)traumhafte Momente, die sich aber selten durchzusetzen wissen. Zu wenig, um in etwa anderthalb Stunden einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Fazit

BAD TALES – ES WAR EINMAL EIN TRAUM zeigt ein paar kleine, perfide Szenen in einem Film, der im Gesamten wenig Eindringliches zu erzählen hat. Unfokussiert wandert der Film zwischen satirischen Einschüben, einer ungewöhnlichen Tragödie und einer Coming-of-Age-Erzählung umher, ohne in seinen Aussagen immer so deutlich zu werden wie zu Beginn. Dadurch kann sich gelegentlich ein fader Beigeschmack einstellen, den selbst die häufig sonnendurchflutete Ästhetik des Ganzen nicht überstrahlen kann. Ungemütliches, befremdliches und in seiner Zusammensetzung zerstreutes Kino, das selbst bei seiner überschaubaren Laufzeit Längen birgt.

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Originaltitel Favolacce
Kinostart 06.01.2022
Länge ca. 98 Minuten
Produktionsland Italien | Schweiz
Genre Drama | Mystery | Thriller
Verleih Filmperlen
FSK unbekannt

Regie Damiano D’Innocenzo | Fabio D’Innocenzo
Drehbuch Damiano D’innocenzo | Fabio D’Innocenzo
Produzierende Giovanni Cova | Gabriella de Gara | Alessandro De Rita | Giorgio Gasparini | Salvatore Pecoraro | Michela Pini | Agostino Saccà | Giuseppe Saccà | Tiziana Soudani
Kamera Paolo Carnera
Schnitt Esmeralda Calabria

Besetzung Rolle
Elio Germano Bruno Placido
Tommaso Di Cola Dennis Placido
Giulietta Rebeggiani Alessia Placido
Gabriel Montesi Amelio Guerrini
Justin Korovkin Geremia Guerrini
Barbara Chichiarelli Dalila Chichiarelli
Lino Musella Professor Bernardini
Ileana D’Ambra Vilma Tommasi
Max Malatesta Pietro Rosa
Aldo Ottobrino Padre di Ada
Cristina Pellegrino Susanna Rosa
Giulia Melillo Viola Rosa
Laura Borgioli Ada Tartaglia
Enrico Pittari Cugino die Amelio

 

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